Weniger Therapieangebote - trotz grösserer Nachfrage wegen Corona

Das BAG behält die Begrenzung bei der telefonischer Psychotherapie im Grundsatz bei. Die Therapeutinnen und Therapeuten warnen vor den Folgen.

, 3. April 2020 um 10:27
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Die Coronakrise stellt für viel Menschen eine grosse Belastung dar. Die Zahl der Personen, die psychotherapeutische Behandlung brauchen, steigt deswegen an. Was in diesem Kontext skurril anmutet: Genau jetzt stehen weniger Therapiemöglichkeiten zur Verfügung als sonst. Der Grund: In der Tarifstruktur Tarmed ist die telefonische Konsultationen pro Patient und Semester auf 240 Minuten beschränkt. Dies zumindest in der delegierten Psychotherapie. Dadurch können physische Sitzungen nicht im gesamten Umfang durch Telefonsitzungen ersetzt werden.

Forderung an Bund

Am 16. März hatte der Fachverband der Psychologinnen und Psychologen (FSP) dem Bundesamt für Gesundheit deshalb ein Schreiben geschickt. «Viele Patientinnen und Patienten brauchengerade durch die unsichere Situation nicht weniger, sondern eher mehr Unterstützung», schrieb die Co-Präsidentin Yvik Adler. Für psychisch Kranke stelle die Bedrohung durch eine bisher unbekannte Viruserkrankung, die Isolation und die fehlende Struktur eine besondere Belastung dar. Der Verband verlangte deshalb, «dass wenigstens für eine begrenzte Zeit die Beschränkung auf 240 Minuten pro sechs Monate aufgehoben wird.» So könnten die laufende Psychotherapien  fortgesetzt werden.
Die Antwort des BAG liess auf sich warten: Zwei Wochen und mehrere Medienberichte später traf sie am Donnerstag ein, wie Recherchen von Medinisde zeigen.

360 statt 240 Minuten

Das BAG erfüllt die Hauptforderung nicht. Aus dem neuen BAG-Faktenblatt, das Medinside vorliegt, geht aber hervor, dass die Zeitbeschränkung für die Dauer der Coronakrise leicht erhöht werden. Delegierte Psychotherapie darf nun pro Semester maximal 360 Minuten telefonische Konsultationen abrechnen. Das sind 60 Minuten pro Monat. Zum Vergleich: Für eine regelmässige wöchentlichen Therapie wären monatlich rund 200 Minuten notwendig.
Auf Anfrage von Medinside schreibt das BAG, man habe «pragmatische und praxistaugliche Lösungen für die Abrechnung von Leistungen auf räumliche Distanz vorgeschlagen, die der aktuellen besonderen Situation Rechnung tragen.» Zudem dürfe «nicht vergessen werden, dass es auch weiterhin möglich ist, in dringlichen Fällen Leistungserbringer in ihrer Praxis aufzusuchen». Bezüglich der Psychotherapie betont das BAG zudem, «dass diese nicht nur von nicht ärztlichen Psychologen/Psychotherapeuten delegiert erbracht wird, sondern auch von Fachärzten der Psychiatrie und Psychotherapie und im Spital.» Insgesamt erfolge also gar «keine Reduktion, sondern vielmehr eine Ausweitung des Behandlungsangebots».

Therapeutinnen und Therapeuten sind nicht zufrieden

Beim FSP ist man mit der neuen Regelung aber nicht einverstanden. Durch die Limitierungen könnten viele Behandlungen nicht fortgeführt werden, sagt FSP-Sprecher Philipp Thüler. Das könne dramatische Folgen haben. 
Die Stellungsnahme des BAG wurde am Freitagnachmittag nachträglich eingefügt.
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