Was Alain Berset immer wieder verschweigt

Unser Gesundheitsminister Alain Berset ist ein begnadeter Kommunikator. Interessant ist, was er jeweils nicht sagt, weil Medienschaffende nicht danach fragen. So auch im NZZ-Interview vom 13. Mai 2022.

, 13. Mai 2022 um 10:59
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  • felix schneuwly
  • politik
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Über meine Prämienprognose sagt Bundesrat Berset: «Das sind Spekulationen. Die letzten Prämienrunden fielen oft kleiner aus, als es gewisse Leute prognostiziert hatten. Doch die Tendenz ist leider richtig. Wir stellen tatsächlich nach zwei Jahren Pandemie einen besorgniserregenden Anstieg der Kosten fest – und das wird sich in der Folge auf die Prämien auswirken.» Er verschweigt, dass ausserordentliche Kostenschwankungen dank Reserven nicht zu ausserordentlichen Prämienschwankungen führen müssen, wenn unsere Gesundheitsminister die Krankenkassen nicht immer wieder zu Unzeiten zwingen, die Reserven abzubauen, wie die Grafik zeigt.  
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Quelle: Comparis

Was Alain Berset nicht erwähnt

Zum Kostenwachstum meint Bundesrat Berset: «Weil es zwei mächtige Treiber gibt: die Alterung der Bevölkerung und die Innovationen in der Medizin, auf deren Segnungen niemand verzichten will. Deshalb sind wachsende Gesundheitskosten überall eine ständige Herausforderung. Wir haben aber einiges erreicht. Seit ich im Amt bin, sind die Prämien weniger stark gestiegen als in den zehn Jahren davor. Wichtig waren vor allem zwei Projekte: Bei den Medikamenten haben wir wiederkehrende Einsparungen von über einer Milliarde erzielt. Und dank dem Eingriff in den Ärztetarif Tarmed 2017 kamen nochmals etwa 500 Millionen Franken jedes Jahr dazu. Nun braucht es weitere Anstrengungen, doch der Spielraum des Bundesrates ist damit ziemlich erschöpft.» Die Preise für Analysen sowie Mittel und Gegenstände erwähnt er nicht. Viel wichtiger als diese «zwei Projekte» ist die nachhaltige Wirkung der bei seinem Amtsantritt in Kraft getretene neue Spitalfinanzierung, die den Wettbewerb unter den Spitälern stärkt, obwohl die Kantone mit ihrem Protektionismus die Wirkung schwächen und obwohl dieser Wettbewerb als Qualitätswettbewerb und nicht bloss als Kostenwettbewerb besser wirken würde. 
Interessant ist, dass der regulierte Wettbewerb - seit 1996 die Basis des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) - in diesem Interview nicht erwähnt wird. Ein weiteres «Projekt», das Alain Berset nicht erwähnt, ist der in den letzten Jahren stetig verbesserte Risikoausgleich, der aus dem Wettbewerb der Krankenversicherer um die besten Risiken einen echten Leistungswettbewerb um die beste integrierte medizinische Versorgung macht und mit der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Medizin (Efas) noch mehr Nutzen stiften wird.

Gesundheitsminister lenkt geschickt ab

Dann verteidigt Bundesrat Berset im Interview seine Ideen, wie das Kostenwachstum gebremst werden kann. Sein Kostenröhrenblick ist beängstigend. Der zentrale Punkt in jedem Wirtschaftszweig, das Preis-Leistungs-Verhältnis kommt aber nicht zur Sprache. «Es ist höchste Zeit, dass wir mehr über die Kosten sprechen und weniger über die Prämien. 
Dazu sollten wir endlich einmal festlegen, welches Wachstum wir längerfristig als notwendig und tragbar erachten», warnt der Gesundheitsminister. Wer ohne über das Preis-Leistungs-Verhältnis zu reden, das Kostenwachstum durch staatliche Inputsteuerung (Zulassung von Ärztinnen und anderen medizinischen Fachpersonen, Kostenziele etc.), anstatt durch wettbewerbliche Anreize für Effizienz und Qualität, sollte mindestens so ehrlich sein und auch die Versicherungsdeckung begrenzen. Das tut Alain Berset nicht, weil er angeblich gegen Rationierung ist. Und warum die Krankenversicherer immer noch nicht konsequent nur noch wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Medizin zu Lasten der Grundversicherung vergüten, wie es das KVG seit 1996 verlangt, kommt nicht zur Sprache.
Auch mit seiner Kritik an den Tarifpartnern und an den zerstrittenen Verbänden lenkt er geschickt davon ab, dass er dem Bundesrat den Ärztetarif Tardoc längst hätte zur Genehmigung unterbreiten müssen, weil er die KVG-Anforderungen der Sachgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt, wie die Experten Ueli Kieser und Willy Oggier in ihrem Gutachten feststellen.
Am Schluss des Interviews wird die Rolle der Kantone erwähnt, aber nur in der Pandemie. Die Rollenkonflikte der Kantone im Gesundheitswesen und wie sie die einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Medizin hinauszögern, bleibt nicht erwähnt, obwohl ein Massnahmenvorschlag der von Alain Berset eingesetzten Expertengruppe die Entschärfung der Rollenkonflikte der Kantone war.
  • Eine Zusammenfassung des Interviews in der NZZ finden Sie hier
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