Warum sich Ärzte für Fehler entschuldigen sollten

Eine Studie belegt den Zusammenhang zwischen der Offenlegung von Zwischenfällen und dem Wohlbefinden von Chirurgen und Patienten.

, 13. September 2016 um 06:52
image
  • praxis
  • ärzte
  • kunstfehler
  • arbeitswelt
  • patientensicherheit
«Sorry seems to be the hardest word» ist wohl darum eine der bekanntesten Zeilen der Musikgeschichte, weil sie so wahr ist. Wie ausgeprägt ist die Fähigkeit, sich zu entschuldigen, bei Ärzten, speziell bei Chirurgen? 
«Für die konstruktive Bewältigung eines Zwischenfalls sind die Offenlegung der Fakten sowie die emotionale Unterstützung entscheidend», heisst es dazu in den Richtlinien der Stiftung Patientensicherheit, und weiter: zur Kommunikation gehöre auch, Bedauern auszudrücken. So viel zur Theorie.

Bedauern ausdrücken

Wissenschaftler der Boston University sind nun der Frage nachgegangen, wie sehr diese international anerkannten Vorgaben eingehalten werden und welche Vorteile sie bringen. Die Ergebnisse der an drei US-Spitälern durchgeführten Studie wurden in «Jama Surgery» veröffentlicht. 
Praktisch alle teilnehmenden Mediziner verhielten sich weisungskonform: Passierte ein Behandlungsfehler, informierten 97 Prozent der Chirurgen ihre Patienten und deren Angehörige routinemässig innert 24 Stunden. 87 Prozent äusserten zudem ihr Bedauern. 

Ungeliebte Entschuldigung

Als es aber darum ging, den Zwischenfall im Detail zu besprechen, über Vorkehrungen zu informieren oder sich gar zu entschuldigen, sank die Quote rapid. 
Nur gut die Hälfte der Chirurgen sprachen darüber, wie der Fehler zustande gekommen ist, ob er hätte verhindert werden können und was unternommen wird, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Die Patienten äusserten aber klar das Bedürfnis nach diesen Informationen.  

Wohlbefinden steigt

Besonders bemerkenswert ist die Aussage, dass die Chirurgen, welche ihre Patienten nur summarisch informierten und ihnen die detaillierten Informationen vorenthielten, sich schlechter fühlten als die anderen.  
«Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der detaillierten Offenlegung und dem psychischen Wohlbefinden von Patienten und Chirurgen», so Studienautor A. Rani Elwy, «Offenlegung und Entschuldigung bringen nur Vorteile, denn sie wirken für alle Beteiligten entlastend». 

Schuld und Scham abbauen

«Eine ernstgemeinte Entschuldigung ist essenziell», sagte schon Lucian Leape von der Harvard School of Public Health, ein Pionier der Patientensicherheit. Gemäss seinen Untersuchungen hilft eine Entschuldigung, beim medizinischen Personal Schuld und Scham abzubauen und die emotionale Balance wiederherzustellen. Patienten streben auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit Rechtsfälle an, wenn sie merken, dass man ganz ehrlich mit ihnen ist. 
Studie:
A. Rani Elwy, Kamal M.F. Itani, Barbara G. Bokhour, Nora M. Mueller, Mark E. Glickman, Shibei Zhao, Amy K. Rosen, Dana Lynge, Melissa Perkal, Erica A. Brotschi, Vivian M. Sanchez, Thomas Gallagher: «Surgeons' Disclosures of Clinical Adverse Events» - in: «Jama Surgery», 2016

«Wo Schweigen gefährlich ist»

Vom 12. bis am 17. September 2016 findet in den Schweizer Spitälern die Aktionswoche Patientensicherheit statt. Die Zürcher Klinik Hirslanden begeht den Aktionstag am 13. September 2016, er findet unter dem Motto «Wo Schweigen gefährlich ist - Bedeutung der Kommunikation in der Patientensicherheit». Im Fokus steht die Überwindung von Kommunikationsproblemen im Spitalalltag. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Pflege: Erste Klinik führt 37-Stunden-Woche ein

Das Sanatorium Kilchberg erhofft sich vom Stundenabbau im Schichtdienst stabilere Teams – und weniger offene Stellen.

image

«Physioswiss weiss, dass die grosse Mehrheit der Praxen einwandfrei abrechnet»

Trick 7311: Der «K-Tipp» wirft Physiotherapie-Praxen vor, einen zu hohen Tarif abzurechnen. Physioswiss erklärt, was rechtens ist.

image

Bern: Physiotherapie gehört in die integrierte Versorgung

Das Berner Kantonsparlament spricht sich klar für eine Stärkung der Physiotherapie aus: Sie soll in die Notfallstationen integriert werden – und mehr Kompetenzen bekommen. Der Regierungsrat muss dies nun angehen.

image

So will ein Landwirt die Tarifpartner entmachten

Die Hausärzte und Hausärztinnen sollen per Gesetzesänderung besser gestellt werden, verlangt eine Motion: Die Tarifpartner seien dazu nicht in der Lage.

image

Innovative Kinderradiologie am Kantonsspital Baden

Das Kantonsspital Baden setzt in seinem Neubau neue Massstäbe in der patientenfreundlichen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Die Kinderradiologie bietet ein breites Spektrum an diagnostischen und therapeutischen Leistungen und arbeitet eng mit anderen Fachbereichen zusammen.

image

Teilzeit im Spital: Flexibilität ist alles – bei der Kinderbetreuung

Teilzeitarbeit ist längst ein zentraler Faktor für Spitäler und Gesundheitsbetriebe. Mit weitreichenden Folgen.

Vom gleichen Autor

image

Pflege: Zu wenig Zeit für Patienten, zu viele Überstunden

Eine Umfrage des Pflegeberufsverbands SBK legt Schwachpunkte im Pflegealltag offen, die auch Risiken für die Patientensicherheit bergen.

image

Spital Frutigen: Personeller Aderlass in der Gynäkologie

Gleich zwei leitende Gynäkologen verlassen nach kurzer Zeit das Spital.

image

Spitalfinanzierung erhält gute Noten

Der Bundesrat zieht eine positive Bilanz der neuen Spitalfinanzierung. «Ein paar Schwachstellen» hat er dennoch ausgemacht.