Den Spezialärzten rechnete Santésuisse bereits vor einem knappen Jahr vor, dass sie – ausgerechnet – bei diesem schwer kontrollierbaren Abrechnungsposten grosse Zuwächse verzeichnen. Nun legt die
«Sonntagszeitung» Daten vor, laut denen auch die Spitäler in ihren Rechnungen für ambulante Behandlungen ziemlich inkonsistent erscheinen, sobald es diese Position auftaucht.
Konkret geraten zwei Spitäler ins Visier, nämlich das Inselspital und das Kantonsspital Aarau: Diese beiden Häuser berechneten auffällig mehr «Leistungen in Abwesenheit des Patienten» als der Durchschnitt.
40 Millionen Franken für den «Büroarbeits»-Posten
Basis für diese Aussage sind über 6 Millionen Spitalrechnungen aus den Jahren 2012 bis 2015, die durch Santésuisse ausgewertet worden waren.
Danach verrechnet das Inselspital pro ambulanten Spitalbesuch fast dreimal intensivere Arbeiten «in Abwesenheit des Patienten» als die anderen vier Universitätsspitäler: Pro Spitalbesuch sind es im Inselspital 15 Minuten Anschlussarbeiten in Form von – beispielsweise – Berichte lesen oder Unterlagen verfassen; bei den anderen Universitätsspitälern beträgt diese Zeitdauer 5 Minuten. Ähnlich hoch die Zahlen im Kantonsspital Aarau.
Die beiden genannten Spitäler generierten zwischen 2012 und 2015 mit dem «Büroarbeits-Posten» 40 Millionen Franken an Einnahmen.
Bislang waren die Spitäler aussen vor
Eine recht drastische Berechnung dabei: Das Inselspital verantwortete mit dieser einen Position mehr als ein Fünftel des Kostenwachstums, der in jenen Jahren im spitalambulanten Bereich des Kantons Bern registriert wurde.
Bereits letzten Sommer hatte Santésuisse moniert, dass bei den Spezialärzten das Wachstum bei der Position «Konsultation in Abwesenheit des Patienten»
verdächtig stark angestiegen sei: Dieser Tarifposten werde insbesondere von Radiologen, Gastroenterologen, Orthopäden und Urologen massiv ausgeschöpft, so die statistische Feststellung.
Damals schränkte der Krankenkassenverband allerdings noch ein: Im Bereich Spital ambulant sei die Papier-Position ebenfalls angestiegen – allerdings in etwas geringerem Umfang.
Dasselbe Thema brachte in der letzten Woche dann die TV-Sendung «10 vor 10» aufs Tapet – ebenfalls anhand von einer Datenauswertung von Santésuisse.
Das Hauptthema hier war die Mengenausweitung durch die Spezialärzte nach der bekannten Tarifkürzung von 2014 – wobei die Kosten für ambulante Behandlungen im Spital sogar am stärksten gestiegen waren. Verena Nold, die Santésuisse-Direktorin, thematisierte im TV-Beitrag ebenfalls, wie vermehrt Leistungen «in Abwesenheit des Patienten» abgerechnet wurde: «Das gilt nicht nur für die Spezialärzte, das gilt auch für die Hausärzte», so Nold. «Das ist eine allgemeine Entwicklung.»
Urs Stoffel vom
FMH-Zentralvorstand erklärte dies im Fernsehbeitrag übrigens mit einem Basiseffekt: Die Position des Aktenstudiums sei in den Jahren davor minim abgerechnet worden.
«Können machen, was sie wollen»
Angesichts der nun in der «Sonntagszeitung» thematisierten Unterschieden zwischen einzelnen Spitälern äussert Verena Nold nun klare Kritik. Die «Leistungen in Abwesenheit des Patienten» seien ein «Sammeltopf», so die Kassenvertreterin zur «Sonntagszeitung»: «Da können die Spitäler machen, was sie wollen. Es ist wie an einem Selbstbedienungsbuffet. Die Abweichungen sind aus rein medizinischen Gründen nicht erklärbar. Es wird in den Spitälern die gleiche Leistung unterschiedlich abgerechnet.»
Und weiter: Die Spitäler bewegten sich hier «in einem Graubereich; in unseren Augen verstossen sie gegen das Krankenversicherungsgesetz», das eine wirtschaftliche Abrechnung verlange.
«Der Versicherer darf sich gerne melden»
Der Spitalverband H+ wollte sich zu den Auswertungen nicht äussern. Für das Kantonsspital Aarau sagte Sprecherin Andrea Rüegg, man könne die erwähnten Zahlen nicht bestätigen, aber das Leistungsspektrum der Spitäler werde jedenfalls hier nicht berücksichtigt. Das Kantonsspital halte sich bei der Abrechnung an die Vorgaben:«Es steht den Versicherern jederzeit frei, sich bezüglich der Abrechnungen zu erkundigen und entsprechende Detailinformationen zum Einzelfall zu verlangen.»
Das Inselspital wiederum kommentiert: «Der Verhältnisvergleich einzelner Tarifpositionen lässt unseres Erachtens keine Aufschlüsse über die Wirtschaftlichkeit zu». Man überprüfe im Übrigen «jährlich die Richtigkeit und Vollständigkeit der Leistungsabrechnungen mittels Leistungsrevisionen. Der Versicherer darf sich also gerne bei uns melden, wenn es etwas zu beanstanden gibt.»