Spitäler zahlen Millionen zu viel

Ausländische Hersteller und Händler für medizinische Verbrauchsgütern schotten ihre Vertriebskanäle ab und verlangen hohe «Schweiz-Zuschläge». Eine neue Studie liefert Zahlen.

, 27. Februar 2020 um 06:18
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Spitälern entstehen durch die fehlende Beschaffungsfreiheit pro Jahr Mehrkosten von 600 Millionen Franken. Zu diesem Resultat kommt eine aktuelle Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz. 
Auf die Zahl kommt Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger, indem er die Kosten am Beispiel des Kantonsspitals Winterthur (KSW) von rund 12 Millionen auf alle Spitäler hochrechnet. Das KSW habe an den Gesamtkosten der Schweizer Spitäler für Verbrauchs- und Hilfsgüter einen Anteil von etwa einem Fünfzigstel. 

Mehr als ein Drittel höher als im Ausland

Das Kantonsspital untersuchte Preise von über 1'500 unterschiedlichen medizinischen Gütern. Im Durchschnitt seien die Preise in der Schweiz mehr als ein Drittel höher als im angrenzenden Ausland. 
Dabei handelt es sich laut KSW-Direktor Rolf Zehnder um identische Produkte ohne Wertschöpfung in der Schweiz. Die höheren Preise liessen sich auch nicht mit Serviceleistungen in der Schweiz rechtfertigen.

Katheter: 800 Franken versus 120 Franken 

Zum Beispiel verlangen die Hersteller von Dilatationskatheter von Schweizer Spitälern bis zu 800 Franken, während sie im Ausland nur 120 Franken in Rechnung stellen. Dies zeigt die Preiserhebung des Spitals, auf die sich die Studie von Binswanger im Auftrag des Vereins «Stop der Hochpreisinsel – für faire Preise» bezieht. 

Die Beschaffung von Verbrauchs- und Gebrauchsgütern erfolgt zu grössten Teilen direkt bei den Schweizer Niederlassungen der Hersteller. Schätzungsweise 70 Prozent der Güter könnten nach Expertenschätzungen auch im Ausland via Parallelimporteure beschafft werden.

Grosse Preisintransparenz in der Branche

Eine Direktbeschaffung im Ausland sei in der Regel aber nicht möglich. Der Grund: interessierte Spitäler/Einkäufer würden auf Schweizer Niederlassungen der Hersteller verwiesen. Zudem herrsche grosse Preisintransparenz in der Branche: Die Spitäler seien mehrheitlich vertraglich verpflichtet, über die Einkaufspreise Stillschweigen zu halten.
Viele Häuser zögern darüber hinaus auch bei Parallelimporten: Zum einen, weil sie oft zu Unrecht eine Einschränkung von Serviceleistungen bei Reparaturen und Unterhaltsarbeiten befürchten würden. Zudem gebe es häufig eine enge Bindung der Ärzteschaft an die Schweizer Niederlassungen der Medizinaltechnikfirmen.  

Einsparpotenzial ausschöpfen

Nicht nur im Spitalsektor ist das Sparpotential laut der Studie hoch. Auch anderen Branchen wie der Gastronomie oder Mode entgehen jedes Jahr Millionen. Für Ökonom Mathias Binswanger ist deshalb klar: «Für Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen sowie Konsumentinnen und Konsumenten muss möglich werden, im Ausland zu den dort angebotenen Marktpreisen einzukaufen und das individuelle Einsparpotential auszuschöpfen.»
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