«Besonders wenn Sie eine Operation wegen Corona verschoben haben, sollten Sie sich jetzt umgehend melden – der Zeitpunkt ist optimal.» So unverhohlene Werbung für chirurgische Eingriffe hat es bisher noch nie gegeben. Der Kanton Bern hat daraus eine ganze Kampagne gemacht mit grossen Plakaten und Video-Clips in den sozialen Medien.
Nicht nur der Kanton, sondern auch die Gesundheitsinstitutionen machen mit: Spitäler, Arztpraxen, Spitex-Organisationen sowie die Alters- und Pflegeheime werben alle für einen schnellstmöglichen Besuch.
Auch Psychiater und Spitex werben
Wahlweise werden die Betrachter dazu aufgefordert, sich ins Spital, zur Ärztin, zur Therapeutin, ins Alters- oder Pflegeheim, zum Psychiater oder in die Reha zu begeben, oder auch Spitex-Hilfe zu beantragen.
Ein Grund für die Kampagne ist die ernsthafte Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung. Esther Hilfiker, Radiologin und Präsidentin der Aerztegesellschaft des Kantons Bern, ist überzeugt: «Viele Patienten verzichteten auf medizinische Behandlungen, obwohl sie nötig gewesen wären.»
«BAG verunsicherte die Risikopatienten»
Sie glaubt auch den Grund dafür zu kennen: «Die Kommunikation des Bundesamts für Gesundeitswesen verunsicherte gerade die Risikopatienten.»
Fachleute fürchten die Folgen: Dieses Zögern berge bei Menschen, die ärztliche oder pflegerische Betreuung in Anspruch nehmen sollten, die Gefahr von längerfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Kanton sorgt sich um Erträge seiner Spitäler
Es dürfte jedoch auch noch einen zweiten Grund für die Kampagne geben: Nämlich die Sorge um die wegbrechenden Einnahmen der Spitäler. Bereits am 26. März versprach der Berner Regierungsrat, dass er den Spitälern sowohl die Ertragsausfälle aus auch die Zusatzkosten bezahlt - und zwar noch ohne abschätzen zu können, was das bedeutet.
«Die finanziellen Auswirkungen der Unterstützung für die Spitäler können derzeit nicht beziffert werden. Die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung in den Spitälern hat für den Regierungsrat jedoch absolute Priorität», versicherte die Regierung damals.
Voraussichtlich 270 Millionen Franken verloren
Anfang Mai zeigte sich dann, dass der Kanton für ungefähr 270 Millionen Franken Einnahmeausfälle geradestehen werden muss. Die Pandemiewelle verlief im Kanton Bern relativ glimpflich - und weitaus schwächer als befürchtet: Der 7. April war der Tag mit den höchsten Zahlen im Kanton. Damals waren 123 Personen im Spital, 35 Personen in der Intensivpflege, davon wurden 27 künstlich beatmet.
Bereitgestellt hatten die Spitäler im Kanton ein Vielfaches an Betten: Nämlich gut 340 für die schweren Corona-Fälle, davon 148 Betten auf den Intensivpflegestationen.