Die Krankenkassen sollen weniger Prämien auf Vorrat erheben. Deshalb erlaubt der Bundesrat den Versicherern, dass sie ihre Reserven früher als bisher abbauen können.
Nur noch für ein Jahr Reserve nötig
Gegenwärtig müssen die Versicherer in jedem Fall Reservegeld haben, das mehr als 150 Prozent der in der Verordnung vorgeschriebenen Mindesthöhe betragen. Nun senkt der Bundesrat diese Grenze auf das Mindestniveau von 100 Prozent.
Solvenzquote heisst diese Grenze. Die Quote drückt die finanzielle Stabilität der einzelnen Krankenkassen aus. Eine Kasse muss mindestens ein Jahr lang zahlungsfähig bleiben, auch wenn ein Extremereignis eintritt, welches die Kosten explodieren lässt. Bisher waren eineinhalb Jahre die Mindestanforderung.
203 Prozent durchschnittliche Solvenzquote
Doch auch ohne diese Anforderungen sind die Reserven der Krankenkassen deutlich höher als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum. 2020 beliefen sie sich auf 11,3 Milliarden Franken, das heisst 203 Prozent des geforderten Minimums.
Unter dem neuen Grenzwert von 100 Prozent lag Anfang 2020 gerade mal eine Kasse, wie die Tabelle unten zeigt. Alle übrigen hatten mehr als 100 Prozent Reserven. Die Solvenzquote aller Kassen lag seit deren Einführung im Jahr 2012 meistens über dem geltenden Minimum von 150 Prozent.
Prämien knapper kalkulieren
Der Bundesrat ist ganz klar der Meinung, dass diese sehr hohen Reserven abgebaut und an die Versicherten verteilt werden müssen. Mit den neuen Solvenzquoten will der Bundesrat die Versicherungen dazu anhalten, die Prämien möglichst knapp zu kalkulieren und, wenn möglich, zu hohe Reserven abzubauen.
Bislang haben die Krankenkassen gezögert, ihre Reserven zu verteilen. Einige Experten finden dies gerade zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Idee, da mit der Pandemie weiterhin hohe Kosten auf die Kassen zukommen würden. Der Krankenkassenverband Santésuisse prognostizierte im Dezember, dass das Coronavirus die Krankenkassen 550 Millionen Franken kosten werde.
Reserven im Pandemiejahr sogar noch erhöht
Gemäss Recherchen der Zeitschrift «Saldo» mussten die Krankenkassen allerdings ihre Reserven im Pandemiejahr 2020 bisher nicht anzapfen. Die Krankenversicherer hätten ihr Vermögen im laufenden Jahr sogar weiter äufnen können.
Das heisst: Sie nahmen mehr Prämien ein, als sie für Leistungen der Versicherten bezahlen mussten. Denn trotz der Coronapandemie waren die zulasten der Grundversicherung entstandenen Gesundheitskosten laut Bundesamt für Gesundheit im ersten Halbjahr 2020 etwa gleich hoch wie im Vorjahr.
Groupe Mutuel zahlt zurück
Doch nicht alle Versicherer wollen ihre Reserven horten: Die Groupe Mutuel – deren aktuelle Solvenzquote bei 197 Prozent liegt – will nächstes Jahr 50 Millionen Franken an ihre Versicherten zurückzahlen. Dies, nachdem sie bereits im Vorjahr 101 Millionen Franken zurückerstattet hat.
«Reserven sind da, um für unvorhergesehene Ereignisse gewappnet zu sein. Die aktuelle Situation zeigt, wie nützlich sie sind. Aber es entspricht nicht unserer Strategie, diese unnötig zu erhöhen», sagt dazu Thomas Boyer, CEO der Groupe Mutuel.
Etwa 50 Franken pro Versicherten
Was das für die Versicherten heisst? «Nach Möglichkeit und mit dem Einverständnis des BAG möchten wir allen unseren Grundversicherten die gleiche Summe zurückerstatten», sagte Mutuel-Sprecher Serkan Isik auf Anfrage von Medinside. Das heisst: Jeder der rund 960 000 Grundversicherten erhält voraussichtlich 52 Franken.
Solvenzquote der Schweizer Krankenversicherer
Grafik: em. Quelle: Bundesamt für Gesundheit, Datenstand: 1.1.2020 (Sanagate ist bei dieser Aufstellung nicht berücksichtigt, da das BAG bei dieser Kasse eine Kapitalerhöhung beanstandet hat.)