Ärzte müssen Patienten, die sie operieren, zuerst untersuchen - könnte man meinen. Doch was medizinische Laien völlig normal finden, ist offenbar nicht bei allen Ärzten gängige Praxis. Anders lässt sich nicht erklären, warum der Ärzte-Dachverband FMCH in seinem neuen Verhaltens-Kodex ausdrücklich festlegen muss, dass Ärzte nicht allein aufgrund eines E-Mails oder eines Telefons zum Skalpell greifen dürfen.
Telefongespräch reicht nicht für Operation
So ruft der Verband seinen Mitgliedern in den neuen Richtlinien unter dem Punkt «Grundsätze der ärztlichen Tätigkeit» in Erinnerung:
- Sie unterlassen operative und invasive Behandlungen, die sich ausschliesslich auf schriftlich, telefonisch oder elektronisch übermittelte Schilderungen von Beschwerden stützen.
Die FMCH ist der Dachverband von 23 Fachgesellschaften und Berufsverbänden. In den Fachgesellschaften sind hauptsächlich operativ und invasiv tätige Ärztinnen und Ärzte zusammengeschlossen, darunter Chirurgen, Orthopäden, Herzchirurgen, Augenärzte, Urologen und Gynäkologen.
FMCH will den Ruf der Ärzte wiederherstellen
Die neuen Richtlinien hat die Vereinigung erstellt, weil sie nicht bereit sei, berufliches Fehlverhalten einzelner chirurgisch oder invasiv tätiger Ärzte zu tolerieren, erklärt die FMCH, und wird noch deutlicher: «Schwarze Schafe, die dagegen verstossen – etwa mit überhöhten Honorarforderungen – schädigen den Ruf und das Ansehen der gesamten Ärzteschaft. Sie untergraben damit auch das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt.»
Mit dem Verhaltenskodex will die FMCH die Normen der ärztlichen Tätigkeit «in Erinnerung rufen bzw. klarstellen». Liest man dann im Kodex, was einige Ärzte offenbar nicht oder nicht mehr wissen, zeigt sich, was für Praktiken einzelne Ärzte – eben die «schwarzen Schafe» – offenbar anwenden.
Lügen im OP-Bericht sind verboten
Einige weitere Beispiele aus den Richtlinien:
- Sie unterlassen fachfremde Behandlungen sowie Therapien ohne ausreichende Erfahrung.
- Sie vermerken in Berichten, insbesondere OP-Berichten, wahrheitsgetreu, wer und in welcher Funktion (Operateur, Assistent, Instruktor, Gast) bei der Behandlung beteiligt gewesen ist.
Ärzte dürfen in Anwesenheit von Patienten nicht lästern
Offenbar ist auch der Umgangston unter Ärzten oft unzimperlich. So schreibt der Kodex vor, dass sich die Ärzte zumindest in der Nähe von Patienten anständig benehmen müssen:
- Sie enthalten sich jeglicher abwertenden Kommentare über andere Ärztinnen, Ärzte und Leistungserbringer in Hörweite der Patientinnen und Patienten.
Keine falschen oder erfundene Titel
Dass einige Ärzte offenbar prahlen oder sogar betrügen, wenn es ums Anpreisen der eigenen Verdienste geht, zeigt die folgende Richtlinie:
- Sie verwenden in öffentlichen Auftritten und im Schriftverkehr nur die anerkannten Facharzt-Titel und Fähigkeitsausweise und verzichten auf Phantasie-Bezeichnungen.
Keine Kickbacks für die Zuweisung von Patienten
Auch beim Geldverdienen muss die FMCH dem Anstand einiger Ärzte nachhelfen und sie offensichtlich daran erinnern, dass sie niemanden bestechen dürfen und sich auch nicht bestechen lassen dürfen:
- Sie nehmen keine Geldleistungen oder geldwertige Zuwendungen für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten entgegen – weder von anderen Ärztinnen und Ärzten, noch von anderen Leistungserbringern (Spitäler, Institute) und Kostenträgern.
- Sie zahlen selber keine Entschädigungen oder leisten keine andere geldwertige Kickbacks an Zuweisende.
Damit der Verhaltenskodex nicht toter Buchstabe bleibt, hat die FMCH eine Anleitung im Umgang mit den «schwarzen Schafen» erlassen. Die Fachgesellschaften und die FMCH sind zwar Vereine mit beschränkten Sanktionsmöglichkeiten. Der FMCH empfiehlt jedoch seinen Mitgliedern, dass sie bei Verstössen den betreffenden Arzt oder die betreffende Ärztin zuerst verwarnen und bei wiederholten Verletzungen aus der Gesellschaft ausschliessen.
Entstanden ist der Kodex, weil sich etliche Fachgesellschaften an die FMCH gewendet haben mit der Bitte, sich gegen die fehlverhaltenden Ärzte zur Wehr zu setzen, sagt FMCH-Präsident Josef E. Brandenberg auf Anfrage von Medinside.
Die Zahl der schwarzen Schafe sei allerdings gering, betont Brandenberg. Gemäss jüngster Statistik hätten 0,5% der gesamten Ärzteschaft Honorare zurückbezahlen müssen. Und nur ein Teil davon sei operativ und invasiv tätig.
Brandenberg bestätigt, dass der Verhaltenskodex erstellt wurde aufgrund von tatsächlichen Vorkommnissen, welche Patienten, Ärzte und Versicherungen der FMCH gemeldet haben.