Ist Weiterbildung nur ein «Nebenprodukt» der Stelle?

Junge Ärztinnen und Ärzte kritisieren die Weiterbildung, die ihnen zuteil wird – oder eben nicht. Denn viele Arbeitgeber vernachlässigen diese Aufgabe.

, 26. Januar 2022 um 12:56
image
  • ärzte
  • vsao
  • assistenzärzte
  • weiterbildung
Eigentlich müssten Spitäler und Praxen, welche Ärzte ausbilden, mindestens vier Stunden Weiterbildung pro Woche anbieten. Doch offenbar tun dies manche Arbeitgeber zu wenig oder gar nicht. Das zeigt eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao) bei seinen Mitgliedern.

Zu viel Arbeit statt Weiterbildung

Die Rückmeldungen zeigen, dass vieles im argen liegt: Assistenzärzte würden zu stark als Arbeitskraft und zu wenig als Weiterzubildende angesehen, heisst es zum Beispiel. Und: Es sei gar nicht realistisch, auf die vorgeschriebenen vier Stunden strukturierte Weiterbildung pro Woche zu kommen, kritisieren einige Befragte. «Erstens wird gar nicht so viel angeboten und zweitens kann man an mindestens der Hälfte der Weiterbildung arbeitsbedingt nicht teilnehmen.»
Das sind keine Einzelfälle: Bei der Hälfte der Befragten wird die Weiterbildung offenbar nicht nach dem Weiterbildungskonzept umgesetzt. Zum Teil ist das Konzept gar nicht bekannt. Und das ist nicht etwa hauptsächlich in kleinen Spitälern oder personell unterdotierten Praxen der Fall. Die Mehrheit der Befragten, nämlich 41 Prozent, machen ihre Weiterbildung an einem Universitätsspital.

Nur mit Überstunden möglich

Die Assistenzärztinnen und -ärzte berichten von vielen Hindernissen bei der Weiterbildung: «Wer regelmässig an der Weiterbildung teilnimmt, muss häufig Überstunden in Kauf nehmen.» Oder: «In den Arbeitszeiten ist nicht eingeplant, dass auch einmal ein Artikel oder ein Lehrbuch gelesen werden kann.»
Problematisch ist auch die Schichtarbeit auf der Notfallstation: Dann ist eine strukturierte Weiterbildung schwierig. Eine befragte Person kommt gar zum Schluss: «Die Weiterbildung scheint eher ein Nebenprodukt der Anstellung zu sein.»

Nehmen Chefs die Weiterbildung zu wenig ernst?

Bei aller Kritik an den Arbeitgebern muss man auch einbeziehen, dass wegen der Pandemie viele Angebote wie Kolloquien oder Präsentationen gestrichen worden sind. Doch oft liegt es nicht Corona, dass die jungen Ärzte nicht in den Genuss von Weiterbildung kommen: Eine befragte Person berichtet: «Ich habe erfolglos versucht, mit meinem Chef zu sprechen. Er betrachtet mich als unmotiviert, wenn ich ihn auf die rechtlichen Vorgaben zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit und den Anspruch auf Weiterbildung hinweise. Die oberen Hierarchiestufen bei uns nehmen die Weiterbildungspflicht überhaupt nicht ernst.»
Oft fehlt es nicht am Angebot. Viele Spitäler bieten zwar Vorträge und Weiterbildungsanlässe an. «Aber», so eine Rückmeldung, «da man sein Telefon nicht abgeben oder abstellen konnte, wurde man ständig herausgeholt.» Oder: «Sehr oft fielen Weiterbildungsanlässe ins Wasser, weil die Chefs «Besseres» zu tun hatten.»

Doch es gibt auch grosszügige Vorgesetzte

Besser eingehalten werden die Vorgaben zu externen Weiterbildungsveranstaltungen. Für die externe Weiterbildung stehen meistens fünf Tage pro Jahr zur Verfügung. Und es gibt sogar Arbeitgeber, die darüber hinausgehen: «Unser Chef hat eine sehr grosszügige Weiterbildungsregelung für externe Weiterbildungen erwirkt. Wir können zehn Weiterbildungstage beziehen.»
Der vsao hat die Umfrage zur Weiterbildung gemacht, weil er den Anspruch auf die ärztliche Weiterbildung durchsetzen und fördern möchte. Das sei einer der zentralen Punkte für die Verbesserung der Arbeitssituation der jungen Ärztinnen und Ärzte, begründet der Verband sein Engagement.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Assistenzärzte: Vier Wege aus der Überforderung

Stress, Überstunden, Schlafmangel – und trotzdem gut drauf? Das geht. Eine Studie in Frankreich suchte gute Bewältigungsstrategien von jungen Medizinern.

image

«Wer mehr als 42+4 vertritt, gilt als hinterwäldlerisch»

Eine Arbeitszeitreduktion führe zu absehbaren Kompetenz- und damit Versorgungslücken in der Chirurgie, sagt der Zürcher Chirurg Othmar Schöb. Der VSAO zeigt sich irritiert.

image

Forschung und Praxis: Synergien für die Zukunft

Dr. Patrascu erklärt im Interview die Verbindung von Forschung und Praxis an der UFL. Er beschreibt die Vorteile des berufsbegleitenden Doktoratsprogramms in Medizinischen Wissenschaften und zeigt, wie die UFL durch praxisnahe Forschung und individuelle Betreuung Karrierechancen fördert.

image

«Als Arzt nach Deutschland – warum nicht?»

Für Schweizer Assistenzärzte kann die Arbeit an einem deutschen Krankenhaus interessant sein. Die Nachfrage steige, sagt Martin Werner von DocsGoSwiss im Kurzinterview.

image

Münchner Arzt vor Gericht wegen Sex während Darmspiegelung

Ein Arzt soll während Koloskopien 19 Patientinnen sexuell missbraucht haben. Er sagt, die Vorwürfe seien erfunden und eine Intrige.

image

Pflege- und Ärztemangel: Rekordwerte bei offenen Stellen

Die Gesundheitsbranche bleibt führend bei der Suche nach Fachkräften. Laut dem neuen Jobradar steigen die Vakanzen in mehreren Berufen wieder – entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt.

Vom gleichen Autor

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Medikamente: Diese fünf Irrtümer müssen alle kennen

Epinephrin statt Ephedrin? Solche Verwechslungen können tödliche Folgen haben. Gut zu wissen, wo die grössten Gefahren lauern.