Warum die Insel möglichst viel Grün pflanzen will

Die Berner fürchteten zuerst, dass auf dem Inselareal immer mehr Bäume der Medizin zum Opfer fallen würden. Doch das Inselspital will im Gegenteil mehr Grün – wegen des so genannten «Roseto-Effekts».

, 19. Juni 2019 um 11:00
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Derzeit sieht es so aus, wie wenn am Berner Inselplatz fünf Lindenbäume der medizinischen Forschung hätten weichen müssen: Wegen des riesigen neuen «Sitem»-Gebäudes wurden fünf Linden gefällt – ausgerechnet jene Bäume, welche dem heute als Inselplatz bekannten Verkehrsknotenpunkt ursprünglich seinen Namen gaben.

Einst eine idyllische Kreuzung mit einer Linde

Früher stand nämlich dort, wo sich Murten- und Freiburgstrasse verzweigen, eine Linde. Auch das Restaurant «Azzurro» am Inselplatz, hiess früher nach dem Baum auf der Kreuzung «Lindenhof». Heute zeugen noch die Linden-Apotheke und das Linden-Café von der einst idyllischen Verkehrsgabelung.
Bisher säumte ausserdem eine kleine Lindenallee die Strasse. Ausgerechnet gegenüber der Linden-Apotheke überzieht nun aber nur noch frischer Asphalt die Stellen, wo früher Linden standen. Bestürzt fragte ein Leser der Zeitung «Bund» in einem Leserbrief: «Wo bleibt der Ersatz der Linden, die im Frühling so wunderbar rochen?»
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Das Inselareal vor dem Neubau des «Sitem»: Damals standen die Linden noch. | Archiv-Luftbild Stadt Bern
Die Antwort von Insel-Sprecher Alex Josty: «Die Linden kommen wieder.» Doch es kann noch rund zwei Jahre dauern. Denn zuerst will die Stadt eine Bushaltestelle vor dem «Sitem»-Gebäude bauen.
Überhaupt, so betont Josty gegenüber Medinside, wollen die Insel-Verantwortlichen das bisher wenig einladende Inselareal künftig mit mehr Bäumen und kleinen Pärken begrünen. Ein Blick in die Pläne zeigt: Das Spital stützt sich dabei auf den unter Sozialmedizinern bekannten «Roseto-Effekt».

Raucher, Trinker, Schlemmer - und trotzdem kerngesund

1961 untersuchten Forscher der Universität Texas unter der Leitung des Sozialmediziners John G. Bruhn das amerikanische Dorf Roseto. Denn in dieser 1600-Seelen-Gemeinde, in der vor allem italienische Einwanderer aus Apulien lebten, lag die Anzahl arteriosklerotischer Herzerkrankungen nur ein Drittel so hoch, wie es nach der US-Statistik zu erwarten gewesen wäre.
Kein Roseto-Bewohner unter 47 Jahren hatte je eine Herzattacke erlitten. Und dies, obwohl sie Zigaretten ohne Filter rauchten, Wein tranken und fettreich assen. Sie lebten alle zehn bis zwanzig Jahre länger als der amerikanische Durchschnitt.

10 Jahre später: So gestresst wie alle anderen auch

Als das Bruhn-Team 1971 wieder nach Roseto kam, um eine Follow-up-Studie zu machen, konstatierten die Mediziner, dass die Roseto-Bewohner nun so herzinfarktgefährdet waren, wie der Durchschnitts-Amerikaner. In einem Jahr waren 12 von 20 Gestorbenen einem Infarkt erlegen. Und zwei von ihnen waren erst Anfang vierzig.
Was geändert hatte: «1961 hatte ich nie eine Familie gesehen, die mit dem Essen begonnen hätte, bevor nicht alle versammelt gewesen wäre. Heute kommen sie zu Tisch, holen sich irgendeinen Bissen und schon sind sie wieder weg», konstatierte der Forschungsleiter John G. Bruhn. Er stellte einen grundsätzlichen Wandel im Zusammenleben fest. «Die enge Familienbindung der italienischen Einwanderer ist weg.»

Enges, aber respektvolles Zusammenleben scheint Gesundheit zu fördern

Die Ärzte schlossen daraus, dass vor allem das harmonische Zusammenleben Grund für die gesunden Herzen der Roseto-Bewohner war. Seither sprechen die Fachleute vom Roseto-Effekt. Damit meinen sie, dass eine enge Gemeinschaft, wo zwar alle nah aufeinander leben, aber respektvoll miteinander umgehen, die Gesundheit fördert.
Diesen Roseto-Effekt wollen sich die Insel-Planer ausdrücklich zunutzen machen. Das Freiraumkonzept greife die Stadtarchitektur von Roseto auf, schreiben sie in einer Mitteilung zu ihren Gestaltungsplänen. Ob es etwas nützt, wenn das Inselareal die Dorfarchitektur von Roseto nachahmt und mehr Bäume pflanzt? Das werden Forscher erst in 10 Jahren entscheiden können.
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