Ob Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger in Zürich oder sein Kollege Pierre-Alain Schnegg in Bern: Die Anhänger von Mindestfallzahlen können sich durch neue Daten gestärkt fühlen.
Und zwar kommen diese Zahlen aus Deutschland. Sie besagen: Durch höhere Anforderungen an die Fallzahlen könnten hunderte Todesfälle vermieden werden – und in hunderten weiteren Fällen gäbe es weniger Nachsorge-Probleme.
Konkret: Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung führte das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung diverse Modellrechnungen durch, beispielsweise für Eingriffe am Herz, für Prostataentfernungen oder Hüftoperationen. Die Statistiker setzten also beispielsweise die Mortalitäts- und Komplikations-Raten von Spitälern mit wenig Operationen einer bestimmten Art ins Verhältnis zu jenen mit vielen Operationen.
Dabei ergab sich beispielsweise:
- Würden in ganz Deutschland künstliche Hüftgelenke nur noch in Häusern mit 176 oder mehr Eingriffen pro Jahr eingesetzt, so liessen sich 140 Todesfälle vermeiden (zum Vergleich: In Deutschland gibt es gut 300 Kliniken mit weniger als 50 Endoprothesen-OPs pro Jahr).
- Bei einem Aortaklappenersatz reduzierte sich die Sterblichkeit adjustiert von 9,3 Prozent bei Häusern mit weniger als 43 Fällen auf 7,1 Prozent bei Häusern mit mindestens 200 Fällen pro Jahr. Bei einem Mitralklappenersatz sank die Quote sogar von 15,1 auf 11,6 Prozent.
Für alle untersuchten Indikationen – planbare Eingriffe allesamt – kamen die Berliner Analytiker zum Ergebnis, dass mit einer gewissen Höhe der Fallzahlen weniger Todesfälle und Komplikationen und Todesfälle einhergehen.
Was auch zu beachten wäre
Natürlich bringen solche Zusammenhänge nicht automatisch mehr Sicherheit mit sich, auch nicht zwangsläufig tiefere Kosten: Dies wurde und wird bekanntlich in den hiesigen Debatten um Mindestfallzahlen immer wieder eingewendet. Und diese Argumente hört man nun auch in Deutschland als Reaktion auf die neuen Daten aus Berlin
(siehe etwa hier).Zu beachten sei, dass letztlich die Erfahrung der Operateure zählt, weniger die des Spitals, und dass gerade bei Belegarzt-Häusern völlig falsche Resultate herauskommen können. Und zu beachten sei immer auch, dass solche Fallzahlen-Guillotinen selber wieder falsche, ja gefährliche Anreize setzen können: Nämlich indem sie die Spitäler dazu verleiten, zur Einhaltung der nötigen Fallzahlen auch unnötige Eingriffe zu forcieren.
Frage: Wie wirken sich Mindestfallzahlen auf die Anfahrt der Patienten aus?
Antwort: Erstaunlich wenig.
Eine bemerkenswerte Sub-Frage stellten sich die Berliner Statistiker auch noch: Wie würde es sich auf die Anfahrzeiten auswirken, wenn Mindestfall-Zahlen eingeführt würden?
Konkret: Wenn beispielsweise bei Herzklappen-Ersetzungen mindestens 100 Eingriffe, bei Prostata-Enfernungen mindestens 40 oder bei Hüftprothesen mehr als 50 solcher Behandlungen pro Jahr vorgeschrieben wären?
Die Simulation brachte erstaunlich wenig Nachwirkungen ans Licht: Die Fahrzeiten würden sich durchschnittlich um zwei bis fünf Minuten verlängern.
- Ein Spital mit Fachabteilung für Hüftgelenks-Prothetik wäre beispielsweise in elf statt neun Minuten erreichbar.
- Bei einer Prostatektomie würde sich die durchschnittliche Anfahrtzeit von 15 auf 20 Minuten verlängern.
- Bei Herz-Bypässen wären es 28 statt 26 Minuten.
Natürlich passen diese Zahlen auf die deutschen Verhältnisse – doch dabei ergibt sich ein interessanter Verdacht: Angesichts der höheren Spitaldichte in der Schweiz ist zu vermuten, dass sich die Fahrzeiten eher noch weniger verändern würden.
Zürich prüft Mindestfallzahlen pro Operateur
Dass der Zürcher Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger die Mindestfallzahlen teils erhöhen will, ist bekannt.
Bekannt ist auch, dass gewisse gynäkologische Eingriffe hier sehr im Zentrum stehen – und dass allgemein per Anfang 2018 eine Erweiterung der Vorgaben geplant ist.
Wie Heiniger nun in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» präzisierte, wird auch geprüft, bei den Prostataentfernungen die Mindestfallzahl-Vorgabe pro Spital zu erhöhen.
Und andererseits stellt sich die Gesundheitsdirektion die Frage, ob sie auch eine Mindestfallzahl-Vorgabe pro Operateur einführen kann.
Erster Schritt: Ab dem 1. Januar 2017 müssen die Zürcher Spitäler nicht nur die Zahl der Fälle pro Spital, sondern auch pro Operateur erfassen und der Gesundheitsdirektion melden.