Gesundheitskosten: Spielwiese für Rappenspalter

Generikapreise, Überarztung, Ärztelöhne, Kassenmanager-Gehälter: Wenn es um die Gesundheitskosten geht, streiten wir um drittrangige Details. Sind die wirklich entscheidenden Posten zu kompliziert?

, 4. November 2016 um 17:15
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In den letzten Tagen war es wieder mal speziell auffällig. Die Gesundheitskosten waren ein Dauerthema, aber irgendwie drehte sich die Debatte doch kaum um die Gesundheitskosten. Die diskutierten Fälle behandelten Beträge, die bei den Gesamtsummen für die Schweizer Gesundheit bestenfalls als viert- und fünftrangig erscheinen: Peanuts.
Für Aufregung sorgte zuerst einmal Preisüberwacher: In einem Auslandspreisvergleich stellte Stefan Meierhans fest, dass die Preise der Generika in der Schweiz «deutlich mehr als doppelt so teuer» sind wie im Durchschnitt von 15 europäischen Ländern. Und auch die patentabgelaufenen Originale sind beinahe doppelt so teuer. 
Zum Vergleich:
  • Gesundheitsausgaben total: 75 Milliarden Franken
  • Davon für Medikamente: 6,1 Milliarden Franken
  • Davon für Generika: 0,63 Milliarden Franken.
Reduktion der Gesundheitsausgaben, wenn Schweizer Generika-Preise aufs vom Preisüberwacher genannte Vergleichs-Niveau sänken: 0,42 Prozent.
Am Dienstag folgte dann das Konsumentenmagazin «K-Tipp» (Print), welches angesichts der steigenden Krankenkassen-Prämien die Löhne der Krankenversicherer-Chefs ins Visier nahm – und vorrechnete, dass die CEO der grossen Häuser zwischen gut 500'000 und über 900'000 Franken verdienen: «Bezahlen müssen das die Versicherten». 
Wobei erwähnt sei, dass «3-min.info», das muntere Organ des Apotheker-Vereins IFAK, kurz zuvor einen ähnlichen Auslandsvergleich angestellt hatte: Dort wurde vorgerechnet, dass die Schweizer Krankenkassen-Chefs etwa das Doppelte von vergleichbaren Kollegen in Deutschland verdienten. «Angesichts dieser Zahlen fragt man sich, wo der Länderkorb für die Saläre der Kassenbosse bleibt», so der Kommentar der Autorin.
Zum Vergleich:
  • Gesundheitsausgaben total: 75 Milliarden Franken
  • Davon für Verwaltung: 3,1 Milliarden Franken
Senkung der Gesundheitsausgaben, wenn Krankenkassen-Spitzenlöhne auf deutsches Niveau sänken: Nicht feststellbar.
Tags darauf machte die «Rundschau» von Fernsehen SRF dann die Überarztung zum Thema, oder genauer: Jene Ärzte, die verdächtig viel abrechnen und so von den Krankenkassen ins Visier genommen werden müssen. Verena Nold, die Direktorin von Santésuisse, rechnete vor, dass etwa 25 Millionen Franken an überrissenen Abrechnungen durch die Kontrolleure bekämpft werden müssen. 
Zum Vergleich:
Gesundheitsausgaben total: 75 Milliarden Franken
Ambulante Behandlung durch Ärzte: 11,7 Milliarden Franken
Senkung der Gesundheitsausgaben, wenn die volle Ehrlichkeit ausbräche unter den Praxisärzten: 0,03 Prozent.
Und jetzt, an diesem Freitag, schloss sich der Kreis wieder. Aufgrund eines neuen Berichts und von OECD-Daten thematisierten diverse Medien, dass jeder Schweizer pro Jahr 666 Dollar für Medikamente ausgibt – ein internationaler Spitzenwert. Ein Hauptgrund dafür: Der tiefe Anteil an Generika im verwendeten Arzneienmix (siehe etwa hierhier und hier).
Zum Vergleich: Siehe oben…
Es geht hier nicht darum, diese Themen kategorisch für unwichtig zu erklären: Wer den Rappen nicht ehrt, ist bekanntlich des Goldstücks nicht wert. 
Und in anderen Wochen würden sich andere Beispiele aufführen lassen – etwa die MiGeL-Liste; oder die Frage, ob man die Gehälter von Spitalärzten begrenzen soll (derzeit diskutiert in der Romandie). Oder der Posten «Leistungen in Abwesenheit des Patienten» (immer wieder neu angefacht).

Alibi-Bemühungen

Doch greifbar wird dabei eben auch, dass dies besonders eifrig thematisierten Bereiche unterm Strich relativ kleine Summen umfassen, fast allesamt. Die Debatte scheint bestimmt durch jene Fragen, die bildlich greifbar sind, bei denen politisch auffallen kann – und wo sich einzelne Akteure noch einen gewissen Einfluss versprechen dürfen.
Zum Beispiel: Preisüberwacher Meierhans hat durchaus guten Grund, die Medikamentenpreise aufzugreifen; denn bei den entscheidenden Strukturen der SwissDRG- und Tarmed-Finanzierung kann er sowieso nicht mitreden.
Das mag besser sein als gar nichts. Aber es lenkt vielleicht auch von der grossen strukturellen Fragen ab. Hier noch einmal der Rahmen – die relevantesten Kostenblöcke im Schweizer Gesundheitswesen 2016:

Gesundheitsausgaben total: 75 Milliarden Franken


  • Stationäre Behandlung: 33,8 Milliarden Franken
  • Ambulante Behandlung: Ärzte: 11,7 Milliarden Franken
  • Ambulante Behandlung durch Spitäler: 6,9 Milliarden Franken
  • Zahnbehandlungen: 4,2 Milliarden Franken
  • Physiotherapie: 1,1 Milliarden Franken
  • Spitex: 2,2 Milliarden Franken
  • Verkauf von Arzneimitteln, Apotheken: 4,4 Milliarden Franken
  • Verkauf von Arzneimitteln durch Ärzte: 2,1 Milliarden Franken

Davon Generika: 637 Millionen Franken
  • Therapeutische Apparate: 1,0 Milliarden Franken
  • Prävention: 1,7 Milliarden Franken
  • Verwaltung: 3,1 Milliarden Franken
  • Andere Leistungen: 2,6 Milliarden Franken
Quelle: Kof/ETH
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