Mit seinen 80 Milliarden Franken Umsatz (Stand 2015) ist das Gesundheitswesen wirtschaftlich ein Koloss - und von zentraler Bedeutung für die Bevölkerung der Schweiz. Doch die Kosten steigen und steigen. Doch Kurskorrekturen sind schwierig, wie die Vergangenheit und Gegenwart zeigen. Das liegt nicht zuletzt an der schieren Grösse des Gesamtsystems. Doch nicht nur, davon ist Heinz Locher überzeugt.
Für den Gesundheitsökonomen fehlen schlicht Ideen für positive Veränderungen. Und wenn es doch welche gebe, dann häufig die falschen. Doch woran liegt das?
Die grossen Akteure lähmen das System
Der ehemaligen Spitalplaner und Krankenkassenfunktionär sagt, dass neue Modelle durch die etablierten Akteure verhindert werden. Dies «aus Angst vor Machtverlust» - Locher nennt den Ärzteverband FMH als Beispiel - oder «aus Ängstlichkeit» - Locher nennt die Santésuisse.
Eine Folge davon sei etwa, dass keine neuen Berufsgruppen direkt mit den Versicherern abrechnen, sondern dies höchstens nach einer Auftragserteilung durch eine Ärztin oder einen Arzt tun können - oder sich gar anstellen lasse müsse, wie etwa Psychologinnen und Psychologen. Das sei nicht sinnvoll.
Die starke Position und das Beharren der grossen Akteure sorge derweil für Produkte- und Geräteinnovationen an der Spitze der Versorgungskette. Dort komme es in der Folge zu einem Leistungsausbau, der mit einem Kostenwachstum einhergehe.
Weg von den Institutionen
Für Locher ist dies die falsche Entwicklung. Man müsse nicht Institutionen stärken, sondern die Versorgung - dies patientengerecht und dezentral. Er zitiert dabei IT-Pionier Bill Gates, der einmal sagte, «Banking is necessary banks are not» - es brauche Bankdienstleistungen, aber keine Banken.
Lahmer Experimentierartikel?
Um Änderungen im System zu ermöglichen und anzustossen, plant der Bund die Einführung eines Experimentierartikels. Durch diesen sollen neue Modelle getestet werden. Locher begrüsst das. Doch er fürchtet, dass der grossen Einfluss der Akteure den Experimentierartikel in der Praxis zum wenig griffigen Absichtspapier verkommen lassen wird.
Damit dies anders kommt, setzt Locher auf «disruptive Innovationen von unten». Weil sich die Akteure in der Branche gegenseitig blockierten, brauche Akteure aus der Zivilgesellschaft, die diese anstossen. Bei Bedarf auch mittels Crowdfunding.
Doch was für Innovationen wären für Locher sinnvoll? Der Gesundheitsökonom nennt einige Beispiele:
- Modelle der integrierten Versorgung: Dabei werden die Koordinationsorgane als Leistungserbringer im Sinne des KVG zugelassen.
- Die Zahl der Berufsgruppen, die direkt abnehmen kann, wird ausgeweitet.
- Pilotprojekte des «Advanced care planning»: Gesundheitliche Vorausplanung der Betreuung und Behandlung für Situationen der Urteilsunfähigkeit.
- Austesten der Anreizwirkungen sogenannter Health Saving Accounts, wie sie etwa in Singapur zur Anwendung kommen. Bei diesem Konzept sparen Personen ähnlich wie bei der Altersvorsorge Geld - spezifisch etwa für den Bezug künftiger Pflegedienstleistungen.
Was für Innovationen braucht das Gesundheitssystem aus Ihrer Sicht?