«Es ist richtig, nur noch dringende Operationen durchzuführen»

Die Intensivstation im Spitalzentrum Biel ist voll belegt, erklärt CEO Kristian Schneider im Interview. Er findet es zudem trotz der vielen leeren Betten richtig, dass keine Wahleingriffe vorgenommen werden dürfen.

, 9. April 2020 um 13:00
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Herr Schneider, korrigieren Sie mich: Ihr Personal steht untätig herum und wartet auf Corona-Patienten.

Wir haben tatsächlich Mitarbeitende, die wenig zu tun haben. Für sie haben wir aber klare Regeln, was den Abbau von Überstunden, Ferien und Jubiläumsfrei angeht. Ja, wir haben Leute, die derzeit unterbeschäftigt sind. Aber ein grosser Teil der Mitarbeitenden hat viel bis sehr viel Arbeit.

Wie verhält es sich mit der Belegung der stationären Betten?

Normalerweise verzeichnen wir mit unseren 219 stationären Betten eine Belegung von Plusminus 90 Prozent. Derzeit sind aber nur rund zwei Drittel belegt. Weniger Leistungen als sonst erbringen wir auch im ambulanten Bereich, der normalerweise voll ausgelastet ist.

Und die Intensivstation?

Wir haben sie von 9 auf 13 Betten aufgestockt. Sie ist derzeit voll belegt. Corona-Patienten auf der Intensivstation haben wir 6.

Sie haben 13 Betten auf der Intensivstation und demnach auch 13 Beatmungsgeräte?

Nein, wir haben aktuell nur 8 Beatmungsgeräte. 5 weitere sollten wir vom Militär erhalten. Die Bestellung haben wir deponiert, wir warten aber noch auf eine Bestätigung, wann wir sie erhalten werden.

Demnach sind Sie am Anschlag. Sie können gar keine zusätzlichen Covid-Patienten mehr aufnehmen.

Am Anschlag sind wir nicht, aber ja, wir sind gut ausgelastet. Wir haben im Schnitt zwischen 10 und 18 Covid-Patienten auf der Bettenstation, die Sauerstoffzufuhr erhalten. Man sollte nicht davon ausgehen, dass jeder hospitalisierte Covid-Patient unbedingt beatmet werden muss. Das ist ein falsches Bild.

Offenbar ist der Verlauf bei der Covid-Erkrankung sehr unberechenbar. Patienten mit einem leichten Verlauf erleiden plötzlich einen Absturz und müssen beatmet werden.

Das ist so. Viele Patientinnen und Patienten haben zwar Mühe zu atmen, müssen aber dank der Sauerstoffzufuhr nicht beatmet werden. Wir kennen alle erdenkliche Verläufe: von «Ich spüre fast gar nichts», bis hin zu tagelangem Husten, von Bedarf nach Sauerstoffzufuhr bis hin zur Beatmung mit Intubation. Wir müssen diese gesamte Bandbreite abdecken können. Das ist unser Spektrum.

Aber eben: Ihre Beatmungsgeräte sind besetzt. Was tun Sie, wenn einem Patienten auf der Bettenstation die Sauerstoffzufuhr nicht mehr genügt?

Wenn wir heute einen zusätzlichen Patienten beatmen müssten, müssen wir ihn in ein anderes Spital verlegen. Das kommt auch vor.

In welches?

Wir haben einen Überblick über sämtliche Intensivstationen im Kanton Bern und den umliegenden Kantonen Fribourg, Neuchâtel, Solothurn, und arbeiten eng zusammen. 
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    Kristian Schneider

    ist seit November 2017 CEO des Spitalzentrums Biel. Vorher amtete er als Generaldirektor im Hôpital du Jura in Delémont. Ursprünglich bildete sich der heute 48-Jährige zum Pflegefachmann aus, übernahm am Universitätsspital Basel (USB) aber rasch Managementaufgaben als Stationsleiter der Inneren Medizin und der Notfallstation sowie als Leiter Pflege des Departements Innere Medizin. 2009 erwarb Schneider an der Uni Bern das Diplom für Management im Gesundheitswesen.

Wie das? Werden da die Kapazitäten täglich per Fax ausgetauscht, wie das angeblich zwischen den Kantonen und dem Bund geschieht?

Die Leiter der Intensivstationen haben sich selber organisiert und sind stets darüber auf dem Laufenden, wo wie viele freie Plätze noch vorhanden sind. Anhand der Daten können wir auch die Entwicklung beobachten.

Ist es wirklich sinnvoll, dass auch Spitäler ohne Intensivstation und ohne Beatmungsgeräte ihre Betten für Covid-19-Patienten freihalten müssen? Was machen sie, wenn ein Patient beatmet werden muss?

Wir haben hier in der Region ein sehr gutes Beispiel, wie das funktioniert. Mit der Hirslanden-Klinik Linde haben wir abgemacht, dass sie kein zusätzliches Beatmungsdispositiv schaffen, sondern dass wir hier im Zentrumsspital die Anzahl Beatmungsplätze erhöhen. Die Klinik Linde stellt bei Bedarf Material und Personal zur Verfügung. Dafür werden nicht so akut erkrankte Covid-Patienten in der Linde hospitalisiert. Und wenn es ihnen schlechter geht, werden sie zu uns verlegt.

Hat es sich schon ergeben, dass ein Linde-Patient zu Ihnen verlegt wurde?

Natürlich. Es hat sich schon mehrfach ergeben, dass sich der Zustand eines in der Linde hospitalisierten Patienten verschlechterte, so dass er intensivpflegebedürftig und dann zu uns verlegt wurde.

Und wenn Sie keinen Platz haben wie jetzt?

Wir haben für solche Fälle schon seit Jahren einen Vertrag und eine eingespielte Zusammenarbeit mit dem Inselspital. Und jetzt gibt es ja auch den täglichen Kontakt der diversen Intensivstationen. Das ist eine gute Kaskadenorganisation, die gewährleistet, dass die Patientinnen und Patienten sicher das bekommen, was sie brauchen. Für all das benötigen wir im Moment relativ viel Vorhalteleistung.

Sie haben viele leere Betten auf den Bettenstationen. Wäre es wirklich ein Risiko gewesen, Routineeingriffe wie Hüft-, Knie- oder Schulteroperationen durchzuführen?

Bei einer Pandemie ist man im Nachhinein immer schlauer. Und wenn ich als Prämisse annehme, dass sich die Situation bei uns genauso hätte entwickeln können wie im Osten Frankreichs oder im Norden Italiens, dann wären wir von Patienten überrannt worden. Wir wären maximales Risiko gefahren, wenn wir solche Wahleingriffe weiterhin vorgenommen hätten. 

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient nach einer Hüftoperation in der Intensivstation gepflegt werden muss, liegt im Promillebereich, oder?

Jede Operation hat ein Restrisiko. Es kann gut sein, dass es einem Patienten auch nach einer Hüftoperation nicht so gut geht. Das hängt auch von allfälligen weiteren Vorerkrankungen ab. Wenn wir weiter operiert hätten, wären wir für die Covid-Patientinnen und -Patienten rasch an die Kapazitätsgrenze gekommen. Wir halten es für richtig, dass der Bundesrat verordnet hat, nur noch dringende Operationen durchzuführen.

Nun sollen aber die Vorgaben des Bundesrats gelockert werden. Was halten Sie davon?

Ich teile die Meinung von Gesundheitsökonom Willy Oggier: (Das Interview mit Willy Oggier finden Sie hier) Wir dürfen auf keinen Fall auf die hobby-epidemiologischen Diskussionen der politischen Parteien reinfliegen. Wir haben jetzt die Chance, die Kurve weiterhin flach zu halten. Das hat gut funktioniert in der Schweiz. Wenn wir jetzt lockern, so könnte das zu einer mittleren Katastrophe führen. Die Diskussion, die die FDP-Präsidentin Petra Gössi angerissen hat, ist gefährlich. Man kann eine Pandemie nicht mit liberal-ökonomischen Grundsätzen bekämpfen ‒ das geht nicht.
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