«Bisher gibt es noch keinen Covid-Impfstoff, der Hoffnung macht»

Der Herbst naht und mit ihm viele Unsicherheiten. Carlos Quinto, FMH-Zentralvorstand, spricht über Post-Covid, den Booster, die Vakzine und über die Stimmung unter den Ärzten.

, 14. Juli 2022 um 05:45
image
  • fmh
  • coronavirus
  • booster
  • impfstoff

Herr Quinto, nach der Basler Fasnacht Anfang März stiegen die Infektionszahlen mit Omikron steil an. Wie ist die Lage hinsichtlich der Patienten mit der Diagnose Post-Covid mehr als drei Monate später? 

Gemäss bisherigen Daten von regionalen Studien in der Schweiz wird damit gerechnet, dass bis zu zwanzig Prozent aller Infizierten Post-Covid entwickeln; hierbei sind allerdings alle Verläufe von sehr schwer bis sehr leicht eingeschlossen. Dies gilt für die Covid-Varianten vor Omikron. Auch zeigt es sich, dass sich die Beschwerden bei der Mehrheit der Betroffen innert Jahresfrist verringern oder gar aufheben. 

Ist das Risiko von Post-Covid bei Omikron also nicht vergleichbar mit Delta?

Bei Omikron ist das Risiko für die Entwicklung von Post-Covid deutlich kleiner. Die hohen Ansteckungszahlen bei Omikron führen aber dazu, dass sehr viele Menschen erkranken – und damit auch die Anzahl der Post-Covid-Betroffenen zunimmt. Leider fehlt bis jetzt die Bereitschaft zur Finanzierung einer nationalen Kohorten-Studie, so dass keine konkreten Zahlen oder zuverlässige Schätzungen national zur Verfügung stehen.

An der Covid-Plattform zu Post-Covid Ende März stellten die Teilnehmenden zahlreiche Forderungen wie etwa Grundlagen für eine einheitliche Diagnostik, bessere Therapien sowie einen nationalen Forschungsschwerpunkt. Gibt es News?

Bezüglich Diagnostik und Falldefinition gibt es Fortschritte. Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin und das Bundesamt für Gesundheit sind aktuell mit dem Thema befasst und in regelmässigem Austausch. Bezüglich eines nationalen Forschungsschwerpunkts Post-Covid gibt es noch keine Neuigkeiten. Es könnte ein drittes Teilprogramm zu den zwei vorbestehenden nationalen Forschungsprogrammen in Zusammenhang mit Covid-19 lanciert werden.

Die Schweiz hat kein nationales Register und verfügt somit über keine verlässlichen Daten hinsichtlich der Pandemie. Bis anhin ist auch keines in Sicht. Was sagt die FMH dazu?

Wie bereits früher erwähnt, ist aus unserer Sicht eine Koordination regionaler Kohorten, respektive sind Gelder zur Vernetzung und Bildung einer nationalen Kohorte essenziell. Ein Registeransatz kann ergänzend verfolgt werden. Wir unterstützen die Forderungen sowohl der Long-Covid-Patienten-Organisation wie auch der Forschenden in dieser Hinsicht.

Nun raten das BAG und die EKIF über 80-Jährigen und dem Gesundheitspersonal zu einem weiteren Booster. Wiederholte Auffrischimpfungen stehen unter Kritik. 

Wir unterstützen die vorgeschlagene Impfstrategie. Es ist allerdings schade, dass noch kein Impfstoff in Monodosen existiert. Dies führt zu Mehraufwand in Arztpraxen und Apotheken, möglicherweise auch zu einer tieferen Durchimpfungsrate. 

Konkret?

Zu «Spitzenzeiten», während derer schnell viele Menschen geimpft werden müssen, wird es weiterhin kantonale Impfzentren brauchen, mit einem Finanzierungsbedarf von Kantonsseite. Allerdings ist es wichtig,

«Die individuelle Beratung beim Hausarzt ist die wirksamste Methode, auch impfkritische Patienten individuell zu beraten. Nachweislich führt das zu einer erhöhten Impf-Bereitschaft.»

dass die Patienten im Rahmen regulärer Arztkonsultationen in der Praxis einzeln geimpft werden können. Die individuelle Beratung beim Hausarzt ist die wirksamste Methode, auch impfkritische Patienten individuell zu beraten. Nachweislich führt das zu einer erhöhten Bereitschaft, sich auch impfen zu lassen.

Wer das BAG-Dashboard beobachtet, stellt fest, dass der Anteil hospitalisierter Personen, die vollständig geimpft sind (mit Auffrischimpfung) deutlich höher ist als der Anteil der Ungeimpften.

Gibt es nur noch wenige Ungeimpfte, so sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Ungeimpfte hospitalisiert werden. Es wäre ein statistischer Fehlschluss zu behaupten, dass eine vollständige Impfung häufiger zu Hospitalisationen führen würde als gar keine.

Am Telefon mit Medinside sagten Sie, dass Sie sich einen Impfstoff mit weniger Nebenwirkungen und einen, der eine längere Wirksamkeit als die mRNA-Impfstoffe hat, wünschen. Gibt es ein Vakzin, das in der Entwicklung ist und den Ärzten Hoffnung macht?

Nein, bisher habe ich noch von keinem solchen Kenntnis. Es befinden sich aber weiterhin Impfstoffe in Entwicklung, die dieses Potential haben können. Es ist somit wichtig, weiterhin in die Forschung und Entwicklung 

«Lebendimpfstoffe sind bei diversen Patientengruppen nicht einsetzbar. Dies kann ein relevanter Nachteil sein.»

von Impfstoffen zu investieren, wie auch in die Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung von Covid-19. Eine Kombinationsimpfung Covid/Influenza könnte praktisch sein, sofern machbar.

Rocketvax entwickelt einen Lebendimpfstoff in Form eines Nasensprays. Sind Lebendimpfstoffe die Rettung?

Lebendimpfstoffe sind bei diversen Patientengruppen nicht einsetzbar. Dies kann ein relevanter Nachteil sein, falls dieselben Patientengruppen auch Risikogruppen hinsichtlich Covid-19 wären. Davon ist sicher bei einem Teil der Risikopatientinnen und -patienten auszugehen, zum Beispiel bei Menschen, die an einer immunsuppressiven Therapie im Rahmen einer Krebsbehandlung oder einer Autoimmunkrankheit leiden oder bei Schwangeren.

Der Herbst naht. Wie ist die Stimmung unter den Ärzten?

Viele haben sich sehr eingesetzt, einige sind erschöpft. Ärztinnen und Ärzte werden sich weiterhin, auch im nächsten Herbst und Winter, für ihre Patienten einsetzen. Auf der politischen Bühne wird die Koordination der Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen sowie eine gemeinsame Umsetzung von erforderlichen Massnahmen eine Herausforderung bleiben.

Gibt es weitere Herausforderungen?

Grosse Sorge bereitet der FMH der Mangel an Ärztinnen und Ärzten, insbesondere Hausärztinnen, Kinderärztinnen und Psychiaterinnen, Pflegepersonal und medizinischen Praxisfachpersonen. Gute berufliche Rahmenbedingungen sowie ein waches politisches Ohr für ihre Bedürfnisse sind das wirksamste Mittel gegen diesen Mangel und die dadurch bedingte schlechtere Behandlungsqualität für Patientinnen und Patienten, und somit längerfristig auch kostensparend.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Schweiz stellt Weichen für langfristiges Coronavirus-Management

Der Bund stellt seine Antwort auf die langfristigen Herausforderungen von Covid 19 vor.

image

Covid: Weniger Spitalaufenthalte durch Nasenspülung

Eine alte Heilmethode könnte das Risiko einer Sars-Cov-2-Erkrankung senken. Das legen neue Forschungsergebnisse nahe.

image

KI-Tool aus Harvard sagt Covid-19-Varianten voraus

Wäre das Tool der Harvard-Forscher zu Beginn der Pandemie eingeführt worden, hätte es die besorgniserregendsten Varianten identifizieren können, bevor sie auftraten.

image

Covid-Bericht: Schlechte Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

Eine Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats zeigt: Der Bund hat während der Corona-Pandemie teils schlecht mit den Kantonen zusammengearbeitet.

image

Wie Covid das Risiko für Herzinfarkte erhöht

Forschende aus den USA haben erstmals eine direkte Verbindung zwischen Covid-19-Infektionen und Herzkomplikationen und Schlaganfällen festgestellt.

image

Covid-Impfstrategie: Wer sich warum impfen lassen sollte

Das Bundesamt für Gesundheit und die Eidgenössische Kommission für Impffragen haben die Covid-19-Impfempfehlungen für den kommenden Herbst und Winter veröffentlicht.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.