«Hört auf mit dem Begriff ‚Long Covid‘»

Natürlich gibt es das Syndrom. Aber laut einer neuen Studie unterscheidet es sich nicht von anderen postviralen Leiden.

, 19. März 2024 um 14:22
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Es könnte auch Long Influenza sein. Oder Long Rhinovirus  |  Bild: Oscar Keys on Unsplash
Der Streit hat bereits begonnen. Denn was die Gesundheitsbehörden des australischen Bundesstaates Queensland soeben ankündigten, fällt direkt in den politischen Long-Corona-Streit. Es geht um eine Studie, die demnächst an einem Fachkongress in Barcelona veröffentlicht wird; und deren Lead Author ist John Gerrard, seit 2021 der Chief Health Officer von Queensland. Zuvor war er im Hauptberuf Infektiologe.
Unter Gerrards Leitung wurden im Frühjahr 2022 sowohl Grippe- als auch Covid-Patienten getestet – und obendrein Menschen, die sowohl Influenza- als auch Covid-negativ waren, aber ebenfalls solche Symptome hatten.
Dann, ein Jahr später, untersuchte das Forscherteam um Gerrard dasselbe Sample von 5’100 Personen erneut: Per Fragebogen wurden die Menschen nach ihrer aktuellen Befindlichkeit und allen Symptomen befragt.
Dabei meldeten insgesamt 16 Prozent aller Probanden gewisse impairments. Nach Abzug von Sonderfaktoren und Spezialaspekten (zum Beispiel weitere Erkrankungen) zeigte sich,
  • dass 3,0 Prozent der covid-positiven Menschen nach einem Jahr noch anhaltende Symptome verspürten.
  • Bei den ursprünglich negativ getesten Menschen betrug der Wert 4,0 Prozent.
  • Bei jenen Testpersonen, die im Jahr zuvor Grippe gehabt hatten, lag der Wert bei 3,4 Prozent.
Kurz: Der Unterschied lag eher im Zufallsbereich, als dass er die Existenz eines spezifischen Phänomens namens Long Covid belegen würde.
Und so äusserte John Gerrard jetzt die Erklärung, dass Long Covid vielleicht bloss als andersartige und schwere Krankheit erschienen sei, weil es während der Pandemie so viele Fälle gab.
«Long Covid manifestiert sich als postvirales Syndrom, das sich nicht unterscheidet von jenen bei Influenza und anderen Atemwegserkrankungen.»
Jetzt aber sei es wohl an der Zeit, den Begriff «Long Covid» zu begraben – weil er impliziert, dass genau dieses Virus vermehrt zu anhaltenden Symptomen führt.
In Tat und Wahrheit sei aber etwas anderes wahrscheinlich: Long Covid «manifestiert sich als postvirales Syndrom, das sich nicht unterscheidet von jenen bei Influenza und anderen Atemwegserkrankungen»: So ein Fazit der Autoren.

Zweimal genau 94 Prozent

Untermauert wird dies durch einen qualitativen Aspekt: Die Studie erfasste auch die spezifischen Symptome jener Testpersonen, welche moderate bis ernsthafte Einschränkungen vermeldeten. Und da zeigte sich eine Übereinstimmung, die verblüffend stark war.
Sowohl unter den covid-positiven als auch unter den covid-negativen Patienten nannten genau 94 Prozent eines dieser Symptome: Fatigue, «Brain Fog» (also zum Beispiel Konzentrationsstörungen), verringerte Belastbarkeit, Veränderung beim Geruchs- und Geschmackssinn.
Also exakt jene Phänomene, die gemeinhin mit Long Covid in Verbindung gebracht werden.
Dass sich Infektiologe Gerrard – und dann die Behörden in Queensland – nun dermassen deutlich gegen die Weiterverwendung von «Long Covid» aussprechen, hat zwei Gründe. Erstens: «Diese Terminologie kann unnötig Angst hervorrufen; und in manchen Fällen führt Über-Wachsamkeit zu längeren Symptomen, was die Genesung behindert.» Obendrein sei es an der Zeit, solche Langfrist-Syndrome auch mit einer grösseren Perspektive zu erforschen, in welcher mehrere Viren als Auslöser berücksichtigt werden.

Evidenz von Absenz?

In ersten Reaktionen äusserten sich mehrere Professoren in Australien mit Vorsicht. Philipp Britton (Universität Sydney, Long Covid Australia Collaboration) begrüsste die Studie und erachtete die Ergebnisse als plausibel. Allerdings sei es momentan noch «overstated» und nicht hilfreich, bereits das Ende von «Long Covid» auszurufen; dazu sei die Arbeit methodisch noch zu unvollständig.
Jeremy Nicholson (Murdoch University) war ebenfalls noch nicht bereit, «Long Covid» zu entsorgen: Die Absenz von Evidenz sei bekanntlich noch nicht die Evidenz von Absenz – und die von Gerrard et al. vorgelegte Beweislage sei noch zu dünn.
  • Die Studie wird im April am European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases in Barcelona veröffentlicht.
  • Gemeinsames Vorab-Communiqué von Queensland Government und European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (mit weiteren Experten-Einschätzungen).
Weitere Reaktionen:


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