Die fallfinanzierte Finanzierung im Gesundheitswesen sei gescheitert.
Das sagte vergangene Woche die oberste Berner Spitalplanerin, Annamaria Müller. Sie regte deshalb auf «Medinside» eine tiefgreifende Reform an - hin zu einer Leistungsfinanzierung. In dieser würden nach Müllers Vorstellung mehrere landesweit konkurrenzierende Gesundheitsversorger jeweils alle medizinischen Dienstleistungen abdecken. Bezahlt würden sie jährlich mit einer Kopfpauschale pro eingeschriebenem Mitglied. Alle Einwohnerinnen und Einwohner müssten sich dazu einem der Gesundheitsversorger anschliessen. Müller erhofft sich dadurch eine bessere, günstiger und nachhaltigere Versorgung.
Mit ihrer Idee kann Müller auch Gesundheitsökonomen überzeugen - zumindest im Grundsatz. «Das Modell ist gut und wurde bereits früher in der leider abgelehnten Managed-Care-Vorlage anvisiert», sagt der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher auf Anfrage. Der Ökonom Christian Schmid vom CSS Institut schrieb auf Twitter, der Vorschlag von Annamaria Müller werde ähnlich bereits heute bei Managed-Care-Modellen angewendet. «Diese weisen tatsächlich Vorteile gegenüber dem Einzelleistungstarif auf, die perfekte Lösung stellen sie jedoch nicht dar.»
Deutsches Vorbild
Der Gesundheitsökomom Willy Oggier hat bereits im Jahr 1999 im Buch «Spitalfinanzierungsmodelle für die Schweiz –Trends und Empfehlungen aus Sicht der Gesundheitsökonomie» die Vorteile einer Versorgungsfinanzierung hervorgestrichen. «Im Rahmen neuer Rechtsgrundlagen kommt der Versorgungsorientierung besondere Bedeutung zu. Gesetzliche Bestimmungen sollten daher konsequenterweise von einem versorgungsorientierten System ausgehen.»
An Müllers Vorschlag kritisiert Oggier heute, dass er die freie Arztwahl einschränke. Dies weil sich Patienten einem Versorger anschliessen müssten. Doch auch Oggier empfiehlt, Spitäler mit Pauschale pro Einwohner des Einzugsgebiets oder pro Patient auszustatten. «Spitäler wissen am besten, was stationär und was ambulant erbracht werden sollte.» Oggier verweist auf das Beispiel der Region Itzehoe, wo ein solches Modell getestet wird.
Seit 2003 arbeitet das Zentrum für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe mit einem jährlichen Globalbudget. Dieses wurde vom Anbieter und den Versicherungen gestützt auf die Zahlen aus dem Jahr 2002 festgelegt. Nach 15 Jahren sind die Erfahrungen positiv. Die Zahl der behandelten Patienten ist gänzlich stabil - ebenso sind es die Kosten. Zudem erfolgte eine eine starke Verlagerung hin zu ambulanten Behandlungen. Den präventiven Aspekten kommt eine grosse Bedeutung zu. «Der Anreiz besteht nicht mehr darin, durch immer mehr Patienten und Leistungen mehr Geld in das System zu bekommen, sondern die vorhandenen Ressourcen für eine verbesserte Gesundheitsförderung nutzen zu können», sagt dazu Professor Arno Deister, der Leiter des Zentrums. Im Juni 2018 wurde ein Neubau eingeweiht, der den veränderten Anforderungen gerecht wird.
Kommt Reha-Kliniken künftig eine zentrale Aufgabe bei der Versorgung zu?
Für Oggier sollten solche Modelle in allen Bereichen und disziplinübergreifend zur Anwendung kommen. «Ein solcher Ansatz kann nur funktionieren, wenn möglichst viele medizinische und soziale Kompetenzen gebündelt werden können.» Dies könne ein Grundversorger in der ambulanten Praxis nicht leisten. Anstatt Akutversorgern möchte Oggier die Steuerung und damit das gesamte Budget an Anbietern übergeben, «welche wissen, worauf es bei sozialer und beruflicher Integration ankommt.» In der Schweiz seien dies in der Regel vor allem Rehabilitations- und Psychiatrische Kliniken. Diesen käme in Oggiers Modell eine zentrale Funktion zu.