«Die Spitäler kommen nicht darum herum, ihre Vergütungssysteme zu vereinfachen»

Der Ruf nach Obergrenzen für Kaderarzt-Honorare wird wieder lauter. Die Politik fordert weniger Fehlanreize und entsprechende Gesetzesänderungen. Fünf Fragen an den Vergütungsexperten Urs Klingler.

, 11. Juni 2020 um 06:46
image
  • ärztelöhne
  • politik
  • ärzte
Herr Klingler, mengengetriebene Arzthonorare und Boni sind Teil der «unternehmerischen Freiheit» und sollten nicht eingeschränkt werden, heisst es. Was halten Sie davon? 
Die unternehmerische Freiheit der Ärzte ist primär tarifgesteuert. Das heisst, wer mehr arbeitet und verschreibt, macht mehr Tarifpunkte und verdient damit mehr. Das unternehmerische Risiko fokussiert also darauf mehr behandelbare Patientinnen und Patienten zu finden, die möglichst gut versichert sind. Insofern ist keine unternehmerische Freiheit gegeben, sondern eine tarifgesteuerte Klarheit, wer Insider ist. Erschwerend ist, dass ein enormes Wissens-Gefälle besteht zwischen Arzt und Patient. Ein Patient würde sich nur schwer gegen eine Behandlung eines Arztes wehren, weil das Wissen und die Erfahrung fehlen. Ausserdem verursachen auch Zweitmeinungen weitere Kosten und die sind gut fürs Geschäft und schlecht für die Kosten des Gesundheitssystems.
Tragen Ärzte überhaupt unternehmerische Mitverantwortung oder sollten diese hauptsächlich qualitativ gute Behandlungen leisten?
Ärzte sind Diener am Menschen und für gute Behandlungen und Patientenzufriedenheit bei vertretbaren Kosten zuständig. Durch relative Leistungsvergleiche lassen sich die Ärzte vergleichen und entsprechend vergüten. Es wird viele gute und ein paar weniger Gute geben. Aber Stars sind genau so selten, wie in jedem andern Beruf und Sport. 

  • image

    Urs Klingler

    Vergütungsexperte

    Urs Klingler ist CEO / Managing Partner der Beratungsfirma Klingler consultants. Er ist Autor von mehreren Fachartikeln und leitet unter anderem den Studiengang Compensation & Benefits Management an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich. Kontakt: urs.klingler@klinglerconsultants.ch

Welches ist das «richtige Entschädigungssystem» für Ärzte? Welches für Kaderärzte? Welches für Belegärzte?
Ärzte sollen gut verdienen, gute Fixsaläre haben für ihre Kompetenz, Fähigkeit und Einsatz, gute Vorsorgelösungen und einen kleineren aber relevanten variablen Anteil, der die relative Leistung, Behandlungserfolg, Patientenzufriedenheit und vernünftigen Einsatz der Mittel honoriert. Es soll keine Anknüpfung mehr geben an Tarife und Finanzierungen jeglicher Richtungen und auch keine Boni. Ärzte sind mehrheitlich Angestellte und von daher an die Bedingungen des Arbeitgebers gebunden. Bei den Belegärzten muss der Leistungsumfang, Anzahl Eingriffe oder Behandlungen relativ verglichen werden. Wahrscheinlich gibt es eine vernünftige Anzahl von Eingriffen die pauschal, bei entsprechender Leistung vergütet werden kann. Mehr ist in diesem Fall nicht mehr, weil die Qualität der Arbeit bei Überbelastung abnimmt.
Sind Ärztinnen und Ärzte in der Tat so geldgesteuert, wie das Medienberichte uns derzeit vermuten lassen?
Es wäre falsch alle Ärzte in die gleiche Schublade zu stecken. Allerdings sind gerade die Koryphäen, die Chefärzte, die Leitwölfe unter den Fachgebieten sicher monetär jahrelang so erzogen worden, dass sie das aktuelle System als ihr System sehen und natürlich entsprechend auch Honorare verteilen, wie sie es für richtig halten. Im Kanton Zürich sogar mit dem Segen des kantonalen Parlaments. Die Mehrheit der Chef- und der Leitenden Ärzte sind Leitwölfe, die ihre Pfründe verteidigen, weil sie es jahrelang so gelernt haben. Da sind sie nicht alleine schuld. Aber ein balanciertes System würde auch alle Ärzte bei Fehlern entlasten und sicher Kosten senken. Ausserdem sind sicher nicht alle Ärzte gleichermassen geldgesteuert, aber es ist halt schon wichtig.
Was empfehlen Sie bezüglich Honorarsystemen den Spitälern generell?
Die Spitäler kommen nicht darum herum, ihre Vergütungssysteme zu vereinfachen, von den Tarifen zu entflechten und gute Leistung angemessen zu honorieren. Exzesse und Fehler belasten den Arzt, das Spital und letztlich die ganze Branche. Es gibt Spitäler, die dieses nachhaltige System eingeführt haben und deren Ärzte froh sind, diesen Schritt mitgemacht zu haben. Sie können freier arbeiten, haben weniger Stress und verdienen trotzdem angemessen bei grösserer Sicherheit.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Zürich bekommt eine neue Kantonsärztin, Appenzell sucht eine

Franziska Kluschke tritt im Februar in die Fussstapfen von Christine Maier.

image

Bundesrat obsiegt gegen Tarifpartner - aber nur knapp

Die Laborkosten steigen und steigen. Das Problem ist nicht der Tarif. Es ist die Menge.

image

Nationalrat: «Tut etwas gegen den Ärztemangel»

Gegen den Willen des Bundesrats verlangt das Gremium nun entsprechende Gesetze.

image

Clinicum Alpinum Liechtenstein: Mitgründer tritt zurück

Marc Risch übergibt das Zepter an Pavel Ptyushkin.

image

Gemeinden stellen sich hinters Spital Zofingen

Sie sehen das Spital als unverzichtbar für die regionale Versorgung und bekräftigen ihre Unterstützung.

image

«Es fehlt der Wille, veraltete Leistungen konsequent zu streichen»

Ist der Leistungskatalog der Krankenkassen zu locker? Der Nationalrat findet nicht. Er lehnte eine Motion gegen unwirksame Behandlungen ab.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.