In Italien hat erstmals ein Gericht entschieden, dass es in Ausnahmefällen nicht strafbar sei, einem irreversibel kranken Menschen beim Suizid zu helfen. Auslöser des Urteils war der Fall von «DJ Fabo», einem 39-jährigen Mailänder, der mit Hilfe der Schweizer Organisation Dignitas in einem Sterbehospiz in Pfäffikon sein Leben beendet hatte.
Für Sterbehilfe gab es bisher bis zu zwölf Jahre Gefängnis
Das Urteil kam unerwartet. Denn Sterbehilfe ist in Italien gesetzlich verboten. Ärzten, Krankenpflegern oder Privaten, die jemandem dabei helfen, aus dem Leben zu scheiden, drohen zwischen fünf und zwölf Jahre Haft. In den letzten Jahren haben sich deshalb viele schwerkranke Italiener auf der Suche nach Hilfe ins Ausland begeben, die meisten von ihnen in die benachbarte Schweiz.
Der neuste Entscheid des Gerichts stiess auf ganz unterschiedliches Echo. Linke Zeitungen befürworteten das Recht, in Würde zu sterben. Rechte Zeitungen reagierten schockiert. Und die Ärzte tun sich schwer: Die katholische Ärztekammer (AMCI) kündete sogleich an, dass mindestens 4000 italienische Ärzte sich dem Urteil widersetzen würden. Bisher gab es allerdings noch keine grossen Proteste.
Nicht Ärzte sollen das tödliche Mittel verabreichen, sondern Beamte
Differenzierter sieht es Filippo Anelli, Präsident des Fnomceo, dem Nationalverband der Chirurgen und Zahnärzte. Anelli will, dass bei Suizid-Beihilfen nicht Ärzte, sondern extra dafür bestimmte Beamte das tödliche Medikament verabreichen sollen. Das heisst: Auch wenn unheilbar Kranke das Recht auf Beihilfe zum Suizid haben, soll kein Arzt dazu verpflichtet werden, diesen auszuführen. Denn die Beihilfe zum Suizid gehöre nicht zu den angestammten Aufgaben der Ärzte.
In der Schweiz gibt es unter den Ärzten ähnliche Diskussionen. Hier war der Auslöser, dass die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) im letzten Mai die ethischen Richtlinien zur Suizidbeihilfe gelockert hatte. Demnach soll ein Arzt das tödliche Mittel Natrium-Pentobarbital verschreiben dürfen, wenn ein Patient sein Leiden wegen einer Krankheit oder Einschränkung als unerträglich empfindet.
Dürfen sich Schweizer Ärzte den Patientenwünschen widersetzen?
Die alte Richtlinie erlaubte die medizinische Suizidbeihilfe hingegen nur, wenn «die Erkrankung des Patienten die Annahme rechtfertigt, dass das Lebensende nahe ist».
Josef Widler, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich und CVP-Kantonsrat, wehrte sich gegen die neuen Richtlinien. Sie würden die Sterbehilfe zu einer ärztlichen Tätigkeit machen. Mit einer Bestimmung, die das subjektive Empfinden des Patienten in den Vordergrund stelle, gerieten die Ärzte unter Druck: Sie könnten sich dem Patientenwunsch nach Verschreibung von Natrium-Pentobarbital kaum mehr widersetzen.
Für FMH ist unerträgliches Leiden kein objektiv überprüfbares Kriterium
Für die Schweizer Ärzteverbindung FMH gilt derzeit immer noch die alte Richtlinie aus dem Jahr 2012. Die FMH hat die entsprechende Änderung der Standesordnung abgelehnt. Grundsätzlich würde die FMH zwar die neue SAMW-Richtlinie «Umgang mit Sterben und Tod» aus dem Jahre 2018 befürworten, heisst es bei der FMH auf Anfrage von Medinside. Doch sie möchte Richtlinien mit objektiv überprüfbaren Kriterien.
Die alten SAMW-Richtlinien für Suizidbeihilfe seien klar gewesen: Nämlich, dass das Lebensende nahe sei. Die neuen Richtlinien von 2018 stellten stattdessen als Bedingung, dass ein «unerträgliches Leiden» vorliegen. Das sei ein undefinierter Rechtsbegriff.
Müssten Ärzte abwarten, bis die Patienten wirklich leiden?
Es würde vom Arzt verlangt, ein persönlich verantwortetes Urteil darüber zu fällen, ob das Leiden eines Patienten oder einer Patientin unerträglich sei. Zudem dürfte ein Arzt gestützt auf die Bestimmung der revidierten Richtlinie erst dann Suizidbeihilfe leisten, wenn das Leiden des Patienten unerträglich wäre. Bei Patienten, mit einer schweren, tödlichen Erkrankung, die aber noch nicht unerträglich leiden, wäre die Suizidbeihilfe unzulässig.
Deshalb hat die FMH die SAMW-Richtlinie «Umgang mit Sterben und Tod» aus dem Jahre 2018 nicht in ihre Standesordnung aufgenommen.