Massiv weniger Frühgeburten während Corona

Deutsche Daten zeigen verblüffende Abweichungen während der Lockdowns. Das könnte wichtige Einsichten für Neonatologie und den Umgang mit Risikoschwangerschaften eröffnen.

, 17. September 2024 um 05:45
letzte Aktualisierung: 14. November 2024 um 10:46
image
Bild: Marcin Jozwiak on Unsplash
Die Corona-Pandemie und die Lockdown-Massnahmen haben offenbar den Anteil der Frühgeburten kräftig beeinflusst – und zwar günstig. Dies besagt eine Studie, die ein Team der Justus-Liebig-Universität Giessen und des Universitätsklinikums Ulm mit den Perinatalzentren in Hessen erarbeitete.
Danach sanken mit Beginn der Lockdowns in Deutschland die Frühgeburten-Zahlen immer weiter ab.
Basis der Untersuchung bildeten alle 184’800 Geburten, die im Bundesland Hessen von 2017 bis 2020 erfasst wurden. Dabei sanken die Frühgeburten (vor der 32. Schwangerschaftswoche) jeweils während der beiden Lockdown-Phasen, welche Deutschland 2020 durchmachte.
  • Birte Staude, Björn Misselwitz, Frank Louwen et al.: «Characteristics and Rates of Preterm Births During the Covid-19 Pandemic in Germany», in: «Jama Network Open», September 2024.
  • doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.32438
Insbesondere die Frühgeburtenrate bei Risikoschwangerschaften – etwa bei Müttern mit schweren Erkrankungen oder pathologischen CTG-Befunden – ging signifikant zurück. Aber auch die Anzahl der Frühgeburten wegen intrauteriner Infektionen war rückläufig.
Konkret:
  • Das Risiko von sehr frühen Geburten war um 13 Prozent tiefer als in der Zeit vor Covid (Odd Ratio 0.87).
  • Am ausgeprägtesten war dabei der Effekt während des zweiten Lockdowns im Oktober und November 2020: Hier war das statistische Risiko sogar um 31 Prozent tiefer als zu «Normalzeiten» (Odd Ratio 0.69).
  • Das Risiko von sehr frühen Geburten bei Müttern mit einer schweren Krankheit war – über die gesamte beobachtete Pandemie-Phase – um 36 Prozent tiefer als davor (OR von 0.64).
Woran lag es? Die Forscher sehen vor allem einen Zusammenhang mit den verstärkten Hygienemassnahmen in jener Zeit. Die Daten aus Hessen besagten zugleich auch, dass sich die Qualität der Versorgung von Schwangeren bis zur Geburt in jener Phase nicht verschlechterte: Der damalige Fokus auf die Covid-Fälle hatte keine greifbaren negativen Auswirkungen für Schwangere. Anders als bei anderen Erkrankungen und in der Notfallversorgung wurden die Vorsorgeangebote und Geburtszentren nicht später aufgesucht.

«Ganzheitlicher Ansatz»

Strikte Hygieneregeln, so eine naheliegende Vermutung, haben eine starke Wirkung, um Frühgeburten zu vermeiden. Dies deutet gerade auch der Rückgang bei den Frühgeburten wegen Infektionen an.
Die Ergebnisse zeigen «die Bedeutung von Programmen, die darauf abzielen, diese Risiken gezielt zu minimieren, um langfristig die Frühgeburtenrate zu senken», sagt Anita Windhorst vom Institut für Medizinische Informatik in Giessen. Und der Ulmer Neonatologe Harald Ehrhardt fügt an: «Die Phase der Pandemie hat gezeigt, dass ein ganzheitlicher Ansatz in der Betreuung von Schwangeren – einschliessich des Schutzes vor Infektionen – vielversprechend sein kann.»

  • coronavirus
  • geburtshilfe
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

B-Status für das Frauenzentrum Bern der Lindenhofgruppe

Das Frauenzentrum Bern ist vom Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) als Weiterbildungsstätte der zweithöchsten Stufe anerkannt.

image

Jetzt definitiv: Spital Muri kann Geburtshilfe schliessen

Die Aargauer Regierung entbindet das Freiämter Spital vom Leistungsauftrag. Eine Erklärung: Wegen sinkender Geburtenzahlen haben andere Spitäler genügend Kapazitäten.

image

Europäische Premiere im Spital Wallis

In Sitten kam erstmals ein Baby nach einer Gebärmuttertransposition zur Welt. Zuvor waren erst drei Kinder nach Anwendung dieses Verfahrens geboren worden.

image

Eltern über 40: Wie Fachpersonen den späten Kinderwunsch erleben

Eine Studie aus Basel zeigt, auf welche ethischen, kommunikativen und emotionalen Herausforderungen das Pflege- und Betreuungspersonal in der Reproduktionsmedizin trifft.

image

Hausgeburt? Ja – aber mit klaren Regeln

Der Schweizerische Hebammenverband hat erstmals eine evidenzbasierte Kriterienliste für Hausgeburten veröffentlicht.

image

Spital Uster baut den ersten Geburtspavillon

Bisher war es nur ein Konzept. Nun macht das Spital Uster mit dem Geburtshaus Zürcher Oberland den ersten konkreten Schritt hin zur neuen Geburtshilfe.

Vom gleichen Autor

image

Diese 29 Erfindungen machen die Medizin smarter

Das US-Magazin «Time» kürte die wichtigsten Innovationen des Jahres aus dem Gesundheitswesen. Die Auswahl zeigt: Fortschritt in der Medizin bedeutet heute vor allem neue Schnittstellen zwischen Mensch, Maschine und Methode.

image

Privatklinik Aadorf: Führungswechsel nach 17 Jahren

Die Privatklinik Aadorf bekommt einen neuen Leiter: Michael Braunschweig tritt die Nachfolge von Stephan N. Trier an.

image

Baselbieter Kantonsparlament stützt UKBB

Das Universitäts-Kinderspital beider Basel soll frische Subventionen erhalten, um finanzielle Engpässe zu vermeiden. Der Entscheid im Landrat war deutlich. Doch es gibt auch Misstrauen.