Welche Erfahrungen machen Pflege- und Betreuungs-Fachleute, die in der Schweiz ältere Personen bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen begleiten? Ein Forschungsteam um Andrea Martani vom Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Basel hat dazu eine Interviewstudie durchgeführt. Das Thema ist aktuell:
Immer mehr Menschen entscheiden sich erst spät im Leben für ein Kind – sei es aus beruflichen, sozialen oder persönlichen Gründen.
In der Folge nehmen auch Anfragen an reproduktionsmedizinische Zentren durch Menschen in höherem elterlichen Alter zu. Was dies konkret für Fachpersonen bedeutet, wurde bisher jedoch kaum erforscht.
In der nun publizierten Studie wurden 15 Fachkräfte aus der Schweiz qualitativ befragt. Sie alle arbeiten mit älteren Personen, die mit medizinisch unterstützter Fortpflanzung ein Kind möchten. Diese «ältere» Gruppe umfasst hauptsächlich Personen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren. Personen über 45, insbesondere Frauen, werden hingegen als «ungewöhnlich» wahrgenommen.
Die Interviews wurden auf Grundlage eines halbstrukturierten Leitfadens geführt und mithilfe thematischer Analyse ausgewertet.
«Want-it-all-Attitüde»
Ein zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Wahrnehmung dieser Patientengruppe als besonders fordernd. Mehrere Befragte schilderten, dass ältere Patientinnen und Patienten mit hohen Erwartungen, einem ausgeprägten Informationsbedürfnis und starkem emotionalen Involvement auftreten.
Dies erfordere nicht nur viel Geduld, sondern auch eine ständige Anpassung in der Kommunikation und Betreuung.
Besonders ausgeprägt zeigte sich laut den befragten Fachpersonen bei manchen Personen eine sogenannte «Want-it-all Attitude» – also die Haltung, alles haben zu wollen: ein gesundes Kind, sofortige Ergebnisse, umfassende Betreuung, möglichst ohne Einschränkungen.
Diese Erwartungshaltung kann zu Spannungen führen, insbesondere wenn medizinische Einschätzungen und ethische Verantwortung mit unrealistischen Hoffnungen kollidieren.
Einige Fachkräfte beschrieben zudem Drucksituationen, in denen Patientinnen oder Patienten deutlich machten, dass sie bereit seien, «alles zu versuchen» – selbst wenn die Erfolgschancen minimal sind. In solchen Momenten geraten medizinisch-ethische Grenzen und der Wunsch nach empathischer Begleitung besonders deutlich aneinander.
Wer entscheidet?
Eine weitere Frage, die sich im Studienmaterial herauskristallisiert: Wie beurteilen Fachkräfte, ob jemand im höheren Alter «geeignet» ist, Mutter oder Vater zu werden? Die Einschätzungen der Befragten schwankten zwischen professioneller Zurückhaltung und persönlichem Unbehagen. Klare Richtlinien fehlen bisher – was Unsicherheit erzeugt.
Dies bringe Fachpersonen in eine ethisch heikle Lage: Sie sind medizinisch ausgebildet, geraten aber in die Rolle von Moralgutachterinnen und Moralgutachtern. Solche Bewertungen können schnell paternalistisch oder diskriminierend wirken, so die Autorinnen und Autoren.
Die Studie zeigt, dass Fachpersonen in der Reproduktionsmedizin nicht nur medizinisch, sondern auch kommunikativ und ethisch stark gefordert sind. Die Forschenden sprechen sich für eine breitere gesellschaftliche Diskussion sowie für die Entwicklung spezifischer Leitlinien im Umgang mit dieser Patientengruppe aus.