Eltern über 40: Wie Fachpersonen den späten Kinderwunsch erleben

Eine Studie aus Basel zeigt, auf welche ethischen, kommunikativen und emotionalen Herausforderungen das Pflege- und Betreuungspersonal in der Reproduktionsmedizin trifft.

, 8. Juni 2025 um 14:33
letzte Aktualisierung: 29. August 2025 um 08:01
image
Symbolbild: Jonathan Borba / Unsplash
Welche Erfahrungen machen Pflege- und Betreuungs-Fachleute, die in der Schweiz ältere Personen bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen begleiten? Ein Forschungsteam um Andrea Martani vom Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Basel hat dazu eine Interviewstudie durchgeführt. Das Thema ist aktuell: Immer mehr Menschen entscheiden sich erst spät im Leben für ein Kind – sei es aus beruflichen, sozialen oder persönlichen Gründen.
In der Folge nehmen auch Anfragen an reproduktionsmedizinische Zentren durch Menschen in höherem elterlichen Alter zu. Was dies konkret für Fachpersonen bedeutet, wurde bisher jedoch kaum erforscht.
In der nun publizierten Studie wurden 15 Fachkräfte aus der Schweiz qualitativ befragt. Sie alle arbeiten mit älteren Personen, die mit medizinisch unterstützter Fortpflanzung ein Kind möchten. Diese «ältere» Gruppe umfasst hauptsächlich Personen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren. Personen über 45, insbesondere Frauen, werden hingegen als «ungewöhnlich» wahrgenommen.
Die Interviews wurden auf Grundlage eines halbstrukturierten Leitfadens geführt und mithilfe thematischer Analyse ausgewertet.

«Want-it-all-Attitüde»

Ein zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Wahrnehmung dieser Patientengruppe als besonders fordernd. Mehrere Befragte schilderten, dass ältere Patientinnen und Patienten mit hohen Erwartungen, einem ausgeprägten Informationsbedürfnis und starkem emotionalen Involvement auftreten.
Dies erfordere nicht nur viel Geduld, sondern auch eine ständige Anpassung in der Kommunikation und Betreuung.
Besonders ausgeprägt zeigte sich laut den befragten Fachpersonen bei manchen Personen eine sogenannte «Want-it-all Attitude» – also die Haltung, alles haben zu wollen: ein gesundes Kind, sofortige Ergebnisse, umfassende Betreuung, möglichst ohne Einschränkungen.
Diese Erwartungshaltung kann zu Spannungen führen, insbesondere wenn medizinische Einschätzungen und ethische Verantwortung mit unrealistischen Hoffnungen kollidieren.
Einige Fachkräfte beschrieben zudem Drucksituationen, in denen Patientinnen oder Patienten deutlich machten, dass sie bereit seien, «alles zu versuchen» – selbst wenn die Erfolgschancen minimal sind. In solchen Momenten geraten medizinisch-ethische Grenzen und der Wunsch nach empathischer Begleitung besonders deutlich aneinander.

Wer entscheidet?

Eine weitere Frage, die sich im Studienmaterial herauskristallisiert: Wie beurteilen Fachkräfte, ob jemand im höheren Alter «geeignet» ist, Mutter oder Vater zu werden? Die Einschätzungen der Befragten schwankten zwischen professioneller Zurückhaltung und persönlichem Unbehagen. Klare Richtlinien fehlen bisher – was Unsicherheit erzeugt.
Dies bringe Fachpersonen in eine ethisch heikle Lage: Sie sind medizinisch ausgebildet, geraten aber in die Rolle von Moralgutachterinnen und Moralgutachtern. Solche Bewertungen können schnell paternalistisch oder diskriminierend wirken, so die Autorinnen und Autoren.
Die Studie zeigt, dass Fachpersonen in der Reproduktionsmedizin nicht nur medizinisch, sondern auch kommunikativ und ethisch stark gefordert sind. Die Forschenden sprechen sich für eine breitere gesellschaftliche Diskussion sowie für die Entwicklung spezifischer Leitlinien im Umgang mit dieser Patientengruppe aus.
  • gynäkologie
  • geburtshilfe
  • reproduktionsmedizin
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

KSOW: Chefarzt übernimmt auch Praxis

Paul Orlowski, Chefarzt der Frauenklinik im Kantonsspital Obwalden, erweitert sein Tätigkeitsfeld: Gemeinsam mit Maren Gütler übernimmt er die Frauenpraxis in Sarnen.

image

Langenthal verliert Geburtshilfe – SoH werben um werdende Mütter

Im Oktober schliesst das Spital Langenthal seine Geburtenabteilung – 15 Hebammen verlieren ihre Stelle. Die Solothurner Spitäler werben kurz vor der Schliessung im Oberaargau für ihre Geburtshilfe und sorgen damit für Kritik.

image

Nach Geburtshilfe-Aus: Deny Saputra übernimmt Gynäkologiepraxis in Frutigen

Nach der Schliessung der Geburtshilfe am Spital Frutigen übernimmt Deny Saputra die Gynäkologiepraxis der Spitäler fmi und führt sie ab September eigenständig weiter.

image

B-Status für das Frauenzentrum Bern der Lindenhofgruppe

Das Frauenzentrum Bern ist vom Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) als Weiterbildungsstätte der zweithöchsten Stufe anerkannt.

image

Jetzt definitiv: Spital Muri kann Geburtshilfe schliessen

Die Aargauer Regierung entbindet das Freiämter Spital vom Leistungsauftrag. Eine Erklärung: Wegen sinkender Geburtenzahlen haben andere Spitäler genügend Kapazitäten.

image

Europäische Premiere im Spital Wallis

In Sitten kam erstmals ein Baby nach einer Gebärmuttertransposition zur Welt. Zuvor waren erst drei Kinder nach Anwendung dieses Verfahrens geboren worden.

Vom gleichen Autor

image

Swiss Bridge Award 2025 geht an Krebsforschende aus Zürich und Berlin

Andreas Moor (ETH Zürich) und Inmaculada Martínez Reyes (DKFZ/Charité Berlin) erhalten je 250’000 Franken für ihre Arbeiten an zielgerichteten Krebstherapien – von «smarten» Proteinmolekülen bis zu personalisierten Immunzellen.

image

Siders: Neues Gesundheitszentrum soll den Ärztemangel kompensieren

Die Praxisgruppe Maison Médicale expandiert im Wallis. Sie plant ein Gross-Zentrum, das Allgemeinmediziner, Spezialisten, Psychiater und Therapeuten unter einem Dach vereint.

image

CHUV: Solange Peters übernimmt die Leitung des Departements für Onkologie

Die Spezialistin für Thoraxtumoren ist auch Trägerin der höchsten internationalen Auszeichnung für Lungenonkologie.