Gutachten für die IV: Spitäler haben wenig Interesse

Es wäre eine lukrative Tätigkeit, IV-Gutachten zu erstellen. Doch die meisten Spitäler wollen nicht.

, 3. Dezember 2025 um 08:12
image
Bild: Joey Banks / Unsplash
Die Invaliden-Versicherung (IV) möchte mehr öffentliche Spitäler für Begutachtungen gewinnen. Sie verspricht sich davon mehr Qualität, mehr Unabhängigkeit und mehr Akzeptanz der Gutachten.
Doch bei den Spitälern ist das Interesse gering. Ein Grund dafür ist, dass medizinische Gutachten nicht zum Kernauftrag eines Spitals gehören. Ralf Kocher, der zuständige Bereichsleiter beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), hat Verständnis: «Es kann sehr schwierig sein, die Verfügbarkeit der einzelnen Sachverständigen mit den Tätigkeiten in einem Spital – zum Beispiel mit Notfällen – zu koordinieren.» Eventuell sei auch die Entschädigung nicht genug hoch, besonders bei Sachverständigen in seltenen Fachdisziplinen.
Grundsätzlich sei bei den Spitälern der Wille für eine Gutachtertätigkeit aber schon da, erklärt Ralf Kocher. Nur zeige das Beispiel des Genfer Universitätsspitals (HUG), dass es der Spitalbetrieb offenbar kaum zulasse, genügende Ärztinnen und Ärzte für die Gutachtertätigkeit zur Verfügung zu stellen. Die Gutachterstelle des HUG erstellte letztes Jahr nur zehn Gutachten, bei denen mehrere Fachdisziplinen einbezogen waren.

«Musterbeispiel USB»

Derzeit sind nur vier öffentliche Spitäler als Gutachterstellen für die IV tätig: Neben dem HUG sind dies noch das Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit in Lausanne, das Regionalspital Bellinzona und das Universitätsspital Basel (USB) mit seiner Asim-Gutachterstelle. Diese ist für Rolf Kocher das «Musterbeispiel für eine sehr gute Einbettung einer Gutachterstellen in ein Universitätsspital».

Insel gab ihre Begutachtung auf

Bis Ende 2011 gab es im Berner Inselspital die Medizinische Abklärungsstelle Medas, die 300 bis 600 polydisziplinäre IV-Gutachten pro Jahr erstellte und damit auch einen kleinen Gewinn erwirtschaftete. Dann wurde Medas geschlossen. Offiziell deshalb, weil es nicht zum Kernauftrag eines Universitätsspitals gehöre, IV-Gutachten zu erstellen.
Doch soll sich die Spitalleitung auch vor schlechter Presse gefürchtet haben. Dieses Risiko besteht. Fragwürdige Entscheide aufgrund von Gutachten in komplizierten IV-Fällen tauchen oft in den Medien auf.

Deshalb wünscht sich die IV mehr Gutachten von öffentlichen Spitälern

  • Unabhängigkeit: Öffentliche Spitäler sind wirtschaftlich kaum von Gutachtenaufträgen abhängig. ​Dies reduziert potenzielle Interessenkonflikte.
  • Praxisbezug: Gutachter in Spitälern sind in den klinischen Alltag eingebunden, was eine praxisnahe und fundierte Beurteilung ermöglicht. ​
  • Fachwissen: Universitätsspitäler und grössere Kliniken haben Zugang zu den neuesten medizinischen Erkenntnissen und können das in die Gutachten einfliessen lassen.
  • Breite Abdeckung: Spitäler haben viele medizinische Fachbereiche und können auch bei seltenen Krankheitsbildern auf Spezialisten zurückgreifen. ​
  • Förderung des Nachwuchses: Die Einbindung von Spitälern in die Begutachtung könnte die Ausbildung neuer Gutachter fördern. ​Das Verfassen von Gutachten ist ein Teil der fachärztlichen Ausbildungen.
  • Professionalisierung und Imageverbesserung: Mehr Gutachten von öffentlichen Spitälern könnte die Begutachtung professionalisieren und das Vertrauen in die IV-Gutachten erhöhen. ​
Die Vorgaben für Institutionen, welche poly- und bidisziplinäre Gutachten erstellen, sowie die geltenden Tarife sind hier abrufbar.
  • invalidenversicherung
  • akut
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Erstes standortübergreifendes Lungentumorzentrum zertifiziert

Das KSW und die Spital Thurgau AG haben als erstes standortübergreifendes Lungentumorzentrum in der Schweiz die Zertifizierung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) erhalten.

image

Gemeinde will dem Spital Savognin fix mit einer halben Million pro Jahr helfen

Sparmassnahmen wie ein Saisonbetrieb sind vom Tisch: Nun will die Gemeinde Surses dem Center da Sanadad Savognin unter die Arme greifen.

image

Spitäler halbieren Verlust – aber zwei Drittel bleiben im Minus

2024 reduzierten die Schweizer Spitäler ihren Verlust – nach 777 Millionen Franken im Vorjahr waren es nun 347 Millionen. Aber immer noch schreiben fast zwei Drittel der öffentlichen Kliniken rote Zahlen. Die Zahl der Ärzte stieg stärker als jene des Pflegepersonals.

image

Die Ärzte von Wetzikon stellen sich hinter das GZO Spital

Eine Schliessung des Spitals in Wetzikon würde für die Region einen irreparablen Verlust an Fachpersonal und Versorgungskapazität bedeuten.

image

Neue Generaldirektorin für die Clinique de La Source

Die Intensivmedizinerin Carlotta Bagna übernimmt im Januar 2026 die Leitung der Privatklinik in Lausanne

image

Spital Männedorf will sich Zukunft mit Mietwohnungen sichern

Das Spital baut eine Villa um und vermietet sie an Gutbetuchte. Die Mieteinnahmen gehören zur Finanzstrategie.

Vom gleichen Autor

image

Stefan Lichtensteiger wird CEO der Winterthurer Psychiatrie

Nach einem halben Jahr als zwischenzeitlicher Direktor ist er definitiv ernannt worden: Der ehemalige Chef des St. Galler Kantonsspitals leitet nun die IPW.

image

Klinik Lengg: Neue Leitende Ärztin der Klinik für Kinder und Jugendliche

Bigna Bölsterli wird Leitende Ärztin für pädiatrische Epileptologie am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum an der Klinik Lengg.

image

Das sind die ersten 4 von 16 geplanten Kostendämpfern fürs Gesundheitswesen

Apotheken und Hebammen sollen mehr Kompetenzen erhalten. Ausserdem müssen die Kantone faire Referenztarife für ausserkantonale Behandlungen festlegen.