Grundversorgung: Das möchten die Leute nicht

Mit Kiosken und KI-Diagnostik sollte in den USA das Gesundheitswesen revolutioniert werden. Jetzt wird das Multimillionen-Projekt abgebrochen. Der Fall zeigt: In der Grundversorgung ist menschliche Nähe unersetzlich.

, 18. November 2024 um 04:44
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Ein «Carepod»  |  Bild: PD Forward
Natürlich: Es war ein Experiment in den USA und muss uns daher nicht weiter betreffen. Trotzdem: Der Fall ist lehrreich. Denn es war ein weiterer (und sehr aufwändiger) Versuch, die medizinische Grundversorgung zugänglicher und zugleich günstiger zu machen.
Jetzt ist das Experiment beendet – abgebrochen ohne weitere Erklärung.
Das Unternehmen hiess Forward, startete vor acht Jahren und erhielt insgesamt mehr als 660 Millionen Dollar an Kapital. Damit wollte es ein Netz von Kiosken bauen, die der medizinischen Grundversorgung dienen. Die so genannten «Carepods» entstanden in Einkaufszentren – zuerst in Ballungszentren wie San Francisco, Chicago und Philadelphia – und boten rasche Checkups aller Art: Kardio-Tests, Schilddrüsentests, Blutprobenentnahmen, Diabetes- oder HIV-Screening, Prüfung von Nieren- und Lebergesundheit und vieles mehr.
Dafür waren die Kabinen mit modernster Medtech versehen – Sensoren, Scanner, Mikrofone, Kameras und Geräte zur Probenentnahme. Wer eintrat, wurde von einer virtuellen Stimme durch die Untersuchungen geführt. Am Ende übermittelte die Kiste die Ergebnisse an Ärzte – und diese stellten bei Bedarf Rezepte aus, welche direkt im «Carepod» ausgedruckt werden konnten. Oder sie überwiesen die Patienten weiter an Spezialisten.
Bezahlt wurde per Abo-Modell: Die Nutzung kostete 99 Dollar pro Monat. Ein Angebot, das angesichts der vielfach un- oder unterversicherten Bevölkerung der USA plausibel erschien.
Zuletzt beschäftigte Forward rund 100 Mediziner. Diese beantworteten den Patienten auch Fragen per App.

Tesla oder iPhone des Gesundheitswesens

Ein weiterer ein Aspekt: Die Informationen waren stark KI-gestützt. Denn es ging auch um Effizienz.
Dies war eine tragende Idee der Gründer und Geldgeber, zu denen die japanische Softbank und der Salesforce-Milliardär Marc Benioff gehörten: dass die altmodische Grundversorgung technologisch in eine neue Ära katapultiert werden soll – und damit auch viel günstiger wird.
«Lasst uns das Gesundheitswesen auf die gleiche Weise aufbauen, wie man einen Tesla bauen würde, auf die gleiche Weise, wie man ein iPhone bauen würde, genauso, wie man einen modernen Fernseher bauen würde», sagte CEO Aoun kürzlich noch auf CNN: «Das heisst: Es ist einfach irgendwie modern und intuitiv und nutzt die neueste Technologie.»
Weshalb das Unternehmen nun Knall auf Fall schliessen musste ist unklar. Erst vor wenigen Monaten hatte es nochmals 100 Millionen an Kapital erhalten. Laut ersten Erklärungen waren die Standorte recht teuer. Und offenbar fehlte es schlicht auch an Kundinnen und Kunden, die sich auf dieses Modell einlassen wollten.
Oder anders gesagt: Wenn es um die Gesundheit geht, möchten die Menschen womöglich immer noch einen Menschen, der sie betreut.
Das Forward-Prinzip: Image-Film.

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