Eine Anti-Gewalt-Klausel im Pflegevertrag

Die Genfer Spitex hat ein Programm erarbeitet, um ihre Angestellten vor Aggressionen und Belästigungen zu schützen – mitsamt Training in einer Simulationswohnung.

, 21. März 2025 um 12:57
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Oft alleine unterwegs: Spitex-Mitarbeiterin. |  Bild: Imad
Die Genfer Spitex IMAD (Institution genevoise de maintien à domicile) hat fast 2400 Angestellte. Sie sind meist allein unterwegs. Sowohl bei ihren Einsätzen bei den Klientinnen und Klienten als auch auf dem Weg dorthin sind sie Risiken ausgesetzt.
Daher hat die IMAD ein Massnahmenpaket entwickelt – «Sécurité des collaborateurs isolés», so der Name: Sicherheit für Mitarbeitende, die allein unterwegs sind.
Das «Spitex-Magazin» stellt das Projekt vor. Nebst dem Aggressionsmanagement geht es auch darum, Risikofaktoren zu erkennen, Aggressionen früh zu erkennen und zu versuchen, sie durch die richtige Körperhaltung und das richtige Verhalten zu vermeiden, erklärt Geschäftsführer Olivier Perrier-Gros-­Claude.

Vor allem verbale Gewalt

2023 stellte IMAD fast zwanzig Gewaltvorfälle fests, 2024 waren es schon deren dreissig. «Die meisten betreffen verbale Gewalt», sagt Caroline Mange-Timis, Arbeitsmedizinerin bei der IMAD. 2024 führte die Hälfte dieser Vorfälle zu einer Arbeitsunfähigkeit.
Der Anstieg könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass die Vorfälle vollständiger erfasst werden. Viele Ereignisse werden vermutlich gar nicht erst gemeldet – vor allem dann nicht, wenn sie keinen unmittelbaren Schaden verursachen.
Deshalb soll das Projekt auch die Meldung von Gewaltvorfällen verbessern. Damit wiederum lassen sich Präventionsmassnahmen bei Bedarf intensivieren, etwa durch das Zusammentragen von Best-practice-Beispielen.

Anti-Gewalt-Klausel in Vertrag

«Zudem arbeiten wir darauf hin, Aggressionsvorfälle systematisch mit der Angabe der Umstände zu analysieren und die Mitarbeitenden zu schulen», sagt Caroline Mange-Timis gegenüber dem «Spitex-Magazin»: «Weiter werden wir eine Klausel in den Pflegevertrag mit den Klientinnen und Klienten aufnehmen, die besagt, dass eine Verletzung der physischen oder psychischen Integrität der Mitarbeitenden das Ende unserer erbrachten Leistungen zur Folge hat. Und schlussendlich streben wir eine verstärkte Zusammenarbeit mit den zuweisenden Ärztinnen und Ärzten an.»
Bereits seit 2018 schult IMAD alle Teamleitenden und fast 500 Angestellte mit einem eigenen Programm im Umgang mit Aggres­sionen.
«Dabei arbeiteten wir mit Praxisbeispielen aus dem Arbeitsalltag», erklärt Sandrine Fellay Morante, Direktorin des IMAD-Campus. Die Schulung konzentrierte sich auf verbale und nonverbale Kommunikationstechniken sowie andere Methoden, um bei verbaler oder körperlicher Gewalt wirksam reagieren zu können.

Der neue Schulungsraum ist eine Simulationswohnung

Im Rahmen von «Sécurité des collaborateurs isolés» wird das Programm nun neu aufgelegt und durch weitere Schulungsmodule ergänzt. So kommt beispielsweise eine Simulationswohnung, ein neuer Schulungsraum auf dem IMAD-Campus, zum Einsatz.
Darin sollen Ausbildungssequenzen durchgeführt werden: Dabei werden dei Spitex-Mitarbeitenden gleichzeitig ausgebildet, bestmöglich auf verschiedene Szenarien vorbereitet und in der Nachbearbeitung eines Vorfalls unterstützt.
Dies ermögliche es den Mitarbeitenden, den Fall in einem geschützten Rahmen abzuschliessen und aus der Erfahrung zu lernen, erklärt die Direktorin des IMAD-Campus.
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