Antibiotika-Leitlinien oft missachtet – besonders von älteren Hausärzten

Die Umsetzung der Antibiotika-Ziele bleibt unvollständig. Speziell bei akuter Sinusitis und Pharyngitis weichen die Ärzte oft ab – teils aus Gewohnheit, teils auch wegen Patientenerwartungen. Dies offenbart grosse Schweizer Studie.

, 21. Juli 2025 um 10:09
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Symbolbild: Medinside
Seit 2019 gibt es in der Schweiz nationale Richtlinien für den Einsatz von Antibiotika bei häufigen Infektionen wie Sinusitis, Pharyngitis oder Harnwegsinfekte. Ziel ist es, die Verschreibungspraxis zu standardisieren und so die Entstehung antibiotikaresistenter Keime zu bremsen. Doch wie sehr werden diese Guidelines eingehalten?
Eine Studie, primär erarbeitet an der Universität Lausanne, wertete dazu 52’100 Antibiotikaverschreibungen aus. Und sie kommt zum Schluss, dass noch viel Verbesserungspotential besteht. Denn etwa 18 Prozent der Verschreibungen bei Erwachsenen und 19 Prozent bei Kindern entsprachen nicht den Empfehlungen.
  • Jelena Dunaiceva, Noémie Boillat-Blanco, Danyu Li, Anne Niquille, Arnaud Peytremann, Catherine Plüss-Suard, Yolanda Mueller: «Do Swiss family physicians prescribe antibiotics in line with national guidelines? A cross-sectional study», in: «Swiss Medical Weekly», Juni 2025.
  • doi: 10.57187/s.4234
Am stärksten waren die Abweichungen bei akuter Sinusitis bei Erwachsenen (39 Prohzent) sowie bei Pharyngitis bei Kindern (38 Prozent) auf. Bemerkenswert war dabei,
  • dass Hausärzte deutlich häufiger Antibiotika nicht nach Richtlinie verschrieben als Kinderärzte;
  • dass ältere Ärzte (über 65 Jahre) fast dreimal so häufig von der Leitlinie abwichen wie jüngere Kolleginnen und Kollegen zwischen 31 und 45 Jahren;
  • dass Abweichungen wohl eher in Einzelpraxen als in Gruppenpraxen vorkommen (wobei dies begrenzt signifikant ist);
  • dass dem Patientenwunsch wohl teilweise entsprochen wird. Oder anders: Wurde die Einstellung der Patienten gegenüber Antibiotika vom Arzt als «favourable» eingeschätzt, so kam es tendenziell eher zu Abweichungen von der Leitlinie.

Einsatz von Zweitlinienmitteln

Bemerkenswert ist aber auch, dass keine Unterschiede zwischen den Sprachregionen feststellbar waren. Bekanntlich gibt es beim Antibiotika-Einsatz insgesamt signifikante Differenzen zwischen romanischen und deutschsprachigen Gegenden, sei dies in der Schweiz, sei dies zwischen Frankreich und Deutschland. Geht es um Abweichungen von den Leitlinien, so wird der «Röstigraben» indes weniger greifbar.
Beim Geschlecht der Patienten zeigten sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede, mit Ausnahme der Pharyngitis: Hier wurden den Patientinnen seltener unempfohlene Antibiotika verschrieben als den Patienten.
Die typischsten Abweichung von den Guidelines war, dass die Ärzte Breitbandantibiotika wie Beta-Lactamase-Inhibitoren oder Makrolide einsetzten, obwohl sie laut Leitlinie meist nur als Zweitlinienmittel vorgesehen sind.
Die Studie umfasste den Zeitraum 2017 bis 2022, und so zeigte sich immerhin, dass es nach der Einführung der Leitlinien 2019 doch auch zu Anpassungen kam. So sank der Anteil nicht empfohlener Antibiotika bei der Sinusitis von 48 auf 39 Prozent und bei der Pneumonie von 19 auf 15 Prozent. Bei Kindern war der Rückgang in fast allen Indikationen messbar.
Allerdings stieg der Anteil der nicht leitlinienkonformen Verschreibungen bei Erwachsenen mit Pharyngitis sogar leicht an – von 22 auf 29 Prozent.
  • Zusammengefasst: Die Umsetzung der nationalen Antibiotika-Leitlinien verläuft schleppend. Zwar sind erste Fortschritte sichtbar, doch gerade bei älteren Ärztinnen und Ärzten, in Hausarztpraxen und unter dem Einfluss von Patientenerwartungen bleibt die Verschreibungspraxis oft hinter den evidenzbasierten Empfehlungen zurück.

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