Temporärvermittler stehen zunehmend am Pranger. In der Debatte um die Pflegekrise geraten sie immer stärker unter Druck – als Kostentreiber, als Systemproblem, als Sündenböcke.
«Die Vermutung liegt nahe, dass die Temporärvermittler derzeit als Sündenböcke herhalten müssen», sagt Florian Liberatore von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Er spricht damit den aktuell viel diskutierten Verzicht auf Temporärarbeit an – eine Entwicklung, der sich immer mehr Gesundheitsinstitutionen anschliessen. In Zürich hat der Verband Zürcher Krankenhäuser - ihm angeschlossen sind 34 Spitäler und Pflegeeinrichtungen - angekündigt, ab
Sommer 2025 keine temporär angestellten Pflegefachpersonen mehr über Agenturen zu beschäftigen.
Florian Liberatore ist Dozent und stellvertretender Leiter der Fachstelle Management im Gesundheitswesen des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie der ZHAW.
Betriebswirtschaftlich, so Liberatore, sei dieser kollektive Verzicht schwer nachvollziehbar. «Es macht wenig Sinn, sich etwas zu verbieten, das man vielleicht bald wieder braucht.» Hinter dem Schritt vermutet er zwei strategische Motive: Zum einen könnten die Spitäler über das gemeinsame Vorgehen mehr Druck auf die Preise der Agenturen ausüben. Zum anderen eigne sich das Thema gut, um von eigenen strukturellen Problemen wie zu knappen Budgets, Personalmangel oder unzureichender Personalplanung abzulenken - oder intern Veränderungen in der Personalplanung von oben anzustossen.
«Es wird sich unausweichlich die Frage stellen: Betten schliessen oder Schichten in Unterbesetzung fahren?»
Der Branchenverband Swissstaffing hat wegen des koordinierten Vorgehens der Spitäler bereits
bei der Wettbewerbskommission Anzeige eingereicht – wegen des Verdachts auf kartellrechtswidrige Absprachen und Marktmissbrauch. Man wolle erreichen, dass dem Verband Zürcher Krankenhäuser (VZK) untersagt werde, einen kollektiven Boykott des Personalverleihs zu organisieren.
In den Institutionen selbst sorgt der Schritt für Unsicherheit. «Ohne die Temporären wird es für viele Gesundheitsinstitutionen schwierig», so Liberatore. Es werde sich unausweichlich die Frage stellen: «Betten schliessen oder Schichten in Unterbesetzung fahren?» Zwar sei derzeit etwas mehr festes Pflegepersonal verfügbar als in den Vorjahren – der Druck auf die Häuser bleibe aber bestehen.
Pool-Modelle
Viele Spitäler versuchen inzwischen, das Angebot der Agenturen mit internen Pool-Modellen zu ersetzen – also mit flexibel einsetzbaren Mitarbeitenden aus dem eigenen Haus. Dass Temporärfirmen überhaupt so erfolgreich waren, liegt laut Liberatore daran, dass sie ein echtes Bedürfnis erkannt haben: Pflegefachpersonen, die selbstbestimmt und flexibel arbeiten wollen, und Institutionen, die kurzfristig Vakanzen füllen müssen. «Wenn ich mit meinem internen Pool nicht auskomme, bleibt der Griff zur Temporäragentur oft die einzige praktikable Option.»
Was die Forschung zeigt
Florian Liberatore hat im Rahmen des Projekts Crowis untersucht, wie digital vermittelte Temporärarbeit die Pflege in der Schweiz verändert. Die Ergebnisse sind eindeutig: Zwischen 2016 und 2022 setzten die meisten Spitäler regelmässig temporäre Pflegefachpersonen ein – meist langfristig geplant. 2022 lag die Erfolgsquote bei der Vermittlung über die im Projekt untersuchte Plattform bei rund 88 Prozent für klassische Temporäre und 86 Prozent für Pool-Modelle.
Pflegefachpersonen boten im Median 15 Schichten pro Jahr an und wurden durchschnittlich zwölfmal eingesetzt – oft in mehreren Institutionen. Die Studie zeigt: Temporärarbeit schafft Flexibilität, erhöht die Planbarkeit und verbessert die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Sie steigert damit auch die Attraktivität des Berufsbilds.
Allerdings birgt sie auch Risiken wie Integrationsprobleme, Wissenslücken in Abläufen oder Teamkonflikte – insbesondere bei grossen Lohnunterschieden. Entscheidend ist deshalb der Kontext: Wie Temporäre eingesetzt werden, macht den Unterschied.
Strategisch statt ideologisch
Die Studienautoren fordern einen bewussten, qualitätsgesicherten Einsatz temporärer Pflegearbeit. Pflegekräfte sollen die Herausforderungen kennen und aktiv bewältigen. Institutionen wiederum brauchen klare Strategien, Prozesse und ein systematisches Monitoring. Auf nationaler Ebene plädiert die Studie für eine valide Datengrundlage – um Temporärarbeit gezielt und rechtssicher steuern zu können.
Fazit
Temporärarbeit ist weder Allheilmittel noch Problemursache. Sie kann einen wertvollen Beitrag zur Versorgung leisten – wenn sie als gezieltes, durchdachtes Element in die Personalplanung eingebettet wird. Die zentrale Frage lautet nicht: «Ob» – sondern: Wie?