Bis Qualitätsinitiativen Wirkung zeigen, vergeht meist einiges an Zeit. Bei «Martha's Rule» ist das womöglich anders. Diese Aktion für Patientensicherheit lancierten die Spitäler des NHS-Systems im vergangenen Jahr.
Benannt wurde das Projekt nach einem 13-jährigen Mädchen, das 2021 gestorben war: Die Ärzte hatten eine Sepsis unterschätzt – obwohl die Familie mehrfach auf gesundheitliche Verschlechterungen hingewiesen hatte.
Die Einsicht aus dem Schicksal von Martha Mills lautete: Man soll Bedenken von Angehörigen oder Aussenstehenden ernst nehmen. Mehr noch: Man benötigt ein System, damit diese Bedenken systematisch in die Behandlung eingespeist werden.
- Von September 2024 bis Februar 2025 gab es 2'289 Interventionen im Rahmen des Martha's-Rule-Verfahrens. In einem Fünftel dieser Fälle führten diese Einmischungen zu Veränderungen oder Verlegungen.
- 129-mal wurde dadurch ein lebensrettender Eingriff ausgelöst; unter anderem wurden 57 Patientinnen oder Patienten auf eine Notfall- oder Intensivstation verlegt.
- In weiteren 336 Fällen gab es Anpassungen bei der Behandlung, nachdem Angehörige im Rahmen von Martha's Rule vorstellig wurden.
- In 340 Fällen führte eine Einmischung der Angehörigen zur Lösung klinischer Probleme (etwa, wenn es zuvor Verzögerungen bei der Medikation gegeben hatte); und in 448 Fällen wurden so Kommunikationsprobleme behoben.
«We are not even a year into the rollout of Martha’s Rule and it is already one of the most significant changes in patient safety in recent years.» — Stephen Powis, Medical Director NHS
Intervenieren sollen nicht nur Angehörige, sondern beispielsweise auch Pflege- oder therapeutisches oder administratives Personal, das am Rande involviert ist. Damit dies wiederum funktioniert, muss ein Eskalationspfad eingerichtet werden. Konkret:
- In den beteiligten Spitälern werden die Patienten mindestens einmal täglich in einer strukturierten Form gefragt, ob sie sich besser oder schlechter fühlen.
- Alle medizinischen Angestellten können eine Einschätzung aus einem anderen Team beziehungsweise in einem anderen Team verlangen, wenn sich der Zustand einer Person nach ihrer Einschätzung verschlechtert und nicht reagiert wurde.
- Dieser Eskalationspfad steht auch den Patienten selbst, ihren Angehörigen oder Betreuungspersonen zur Verfügung. Er wird offensiv bekannt gemacht.
Laut der jüngsten Auswertung, soeben veröffentlicht, waren es in drei Viertel der Fälle (73 Prozent) Angehörige, die solch einen «escalation request» anbrachten.
Das Fazit von Personal wie auch von Spitalmanagern scheint mehrheitlich positiv. Stephen Powis, der oberste ärztliche Leiter des NHS,
liess sich jüngst zitieren mit der Aussage: «Martha’s Rule ist noch nicht einmal ein Jahr in Kraft und schon jetzt handelt es sich um eine der bedeutendsten Veränderungen in der Patientensicherheit der letzten Jahre. Hunderte von Anrufen haben zu Verbesserungen in der Patientenversorgung geführt – und zweifellos Leben gerettet.»
Erste Schritte in Luzern
«Martha's Rule» könnte nun in der Schweiz vor der ersten Umsetzung stehen:
Der «Blick» berichtet aktuell
über den Fall eines einjährigen Buben, der im Februar im Luzerner Kinderspital starb. Die Ärzte hatten ihn nach Hause entlassen, obwohl die Mutter auf seine kritische Lage hinwies. Wenig später wurde eine Wiederaufnahme nötig, aber das Kind konnte nicht mehr gerettet werden.
Auch in diesem Fall kritisiert die Mutter öffentlich, dass ihre Einwände im Spital zuwenig beachtet worden seien.
Martin Stocker, Leiter des Kinderspitals Luzern und Chefarzt Neonatologie, will nun reagieren: Er werde für das LUKS-Kinderspital ebenfalls die Einführung von «Martha's Rule» fordern. «So hoffe ich, dass wir etwas aus Ihrem furchtbaren Schicksal lernen können», sagte Stocker im «Blick». Anfang Juli werde man im Spital über die beste Art der Umsetzung diskutieren, dann soll die neue Regel eingeführt werden.