MEBEKO und SIWF im bürokratischen Koma: Eine Reanimation könnte Leben retten

MEBEKO und SIWF behindern Fachkräftemigration und Nachwuchsrekrutierung. Das behördliche Organisationsversagen verletzt die Wirtschaftsfreiheit, bewegt sich zwischen Rechtsverzögerung und Rechtsverweigerung und birgt substanzielles Schadenersatzpotenzial.

Die Rechtsfrage der Woche, 21. August 2025 um 13:48
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Von Mirjam Olah und Daniel Staffelbach
Dem Schweizer Gesundheitswesen mangelt es an qualifiziertem Gesundheitspersonal. Überlastete Notfallstationen, lange Wartezeiten, weniger Zeit für den direkten Patientenkontakt, Frustrationen bei den Fachpersonen und Einbussen in der Versorgungsqualität sind die Folgen des notorischen und kontinuierlich zunehmenden Fachkräftemangels.
Trotz dieser desolaten Ausgangslage wird der natürliche Ausweg – die Fachkräftemigration sowie die Nachwuchsrekrutierung – nachhaltig blockiert. Drastisch zeigt sich die behördliche Blockade am Beispiel der Ärzteschaft.
Die zuständigen Stellen für die Erteilung und Anerkennung von ärztlichen Berufsqualifikationen – die Medizinalberufekommission (MEBEKO) und das Schweizerische Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) – setzen ihre Tätigkeit de facto vollständig aus: MEBEKO und SIWF lassen im Rahmen ihrer Onlinepräsenz explizit verlauten, dass «die Bearbeitungsdauer für Facharzttitel mindestens sechs Monate» betrage, die «Gesamtdauer der Bearbeitung zurzeit bis zu sechs Monaten» in Anspruch nehme.
«Frustration und Empörung in der Praxis»
In der Praxis sind allerdings sogar deutlich längere Bearbeitungsfristen üblich. Frustration und Empörung herrschen deshalb nicht nur beim direkt betroffenen Fachärztenachwuchs und auf Verbandsebene, sondern auch bei den nicht minder betroffenen Arbeitgebern. Der notorische Behördenrückstau bildet seit Monaten Gegenstand des medialen Diskurses und hat zwischenzeitlich auch die Politik auf den Plan gerufen:
  • Der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) forderte anfangs Juni Transparenz und einen klaren Plan zur Verkürzung der Wartezeiten bei Weiterbildungstiteln;
  • am 16. Juni 2025 reichte Cyril Aellen (FDP) im Nationalrat die Motion «Facharzttitelgesuche sind innert nützlicher Frist zu bearbeiten» ein, die den Bundesrat zum Eingreifen auffordert;
  • der Verband Zürcher Krankenhäuser äusserte anfangs August deutliche Kritik am Bundesrat; und
  • letzte Woche forderte H+ Sofortmassnahmen gegen den Anerkennungs-Stau.
Aber was gilt denn eigentlich aus rechtlicher Perspektive? Müssen sich die betroffenen Akteure in Ohnmacht und Geduld üben oder bestehen aktuelle Handlungsoptionen? So viel vorab: weder das SIWF noch die MEBEKO befinden sich in einem rechtsfreien Raum.

Ursprung des Dilemmas – rechtliche Auswirkungen der verzögerten Erteilung und Anerkennung von fachärztlichen Weiterbildungstiteln

Die Erteilung eines eidgenössischen und die Anerkennung eines ausländischen Weiterbildungstitels sind für die Berufsausübung auf unterschiedlichen Regelungsebenen von zentraler Bedeutung. Auf gesundheitspolizeilicher Ebene wird die Aufnahme einer Berufstätigkeit in der Schweiz zur Gewährleistung der Versorgungsqualität anhand der Voraussetzungen im Medizinalberufegesetz (MedBG) in mehrfacher Hinsicht limitiert und ist von einer rechtskonformen Behördenpraxis abhängig:
  • Gemäss Art. 33a MedBG wird bereits für eine Berufsausübung unter fachlicher Aufsicht zunächst ein eidgenössisches oder ein anerkanntes ausländisches Arztdiplom sowie ein Eintrag im Medizinalberuferegister vorausgesetzt;
  • Für die Aufnahme einer fachlich eigenverantwortlichen Tätigkeit bedarf es einer Berufsausübungsbewilligung im Sinne von Art. 34 MedBG, für die nach Art. 36 Abs. 1 f. MedBG zusätzlich ein eidgenössischer oder ein anerkannter ausländischer Weiterbildungstitel vorausgesetzt wird.
Die Voraussetzungen und Modalitäten der Erteilung und Anerkennung von Weiterbildungstiteln werden vorab im MedBG geregelt. Die Zuständigkeiten gestalten sich dabei wie folgt:
  • Die Erteilung eines eidgenössischen Weiterbildungstitels fällt gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. d MedBG in die Kompetenz des SIWF.
  • Für die Anerkennung ausländischer Weiterbildungstitel ist gemäss Art. 21 und Art. 50 Abs. 1 lit. d MedBG die MEBEKO zuständig.
Autorin und Autor:
  • Mirjam Olah ist Rechtsanwältin mit Spezialgebiet Health Care & Life Sciences bei der Zürcher Anwaltskanzlei Walder Wyss. Sie berät zu regulatorischen Fragestellungen auf dem gesamten Gebiet des Gesundheitsrechts mit einem Fokus auf krankenversicherungsrechtlichen Themen und verfügt in ihrem Tätigkeitsbereich über langjährige und weitreichende Erfahrung in der Vertretung von Klientinnen in Gerichtsverfahren und vor Verwaltungsbehörden. Daneben forscht und publiziert sie in ihrem Spezialgebiet.
  • Daniel Staffelbach ist Partner im Team für regulierte Märkte, Wettbewerb, Technologien und IP bei der Zürcher Anwaltskanzlei Walder Wyss. Er berät Klienten im Bereich Health Care & Life Science und Versicherungen, mit besonderem Augenmerk auf Vertrags- und Handelsrecht, öffentliches Recht sowie Arbeitsrecht.
Für das wirtschaftliche Fortkommen ist die Zulassung zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) von zentraler Bedeutung und auch diese ist erst im Nachgang zur Erteilung eines eidgenössischen oder zur Anerkennung eines ausländischen Weiterbildungstitels zugänglich.
Allerdings sind auch hier je nach Kanton zusätzliche Verfahren mit einer Dauer von bis zu drei Monaten zu gewärtigen.
Das SIWF und die MEBEKO verunmöglichen mit ihren unverhältnismässig langen Bearbeitungszeiten hochqualifizierten Fachkräften den Zugang zur Berufstätigkeit in der Schweiz.
Diese Behörden verschulden damit allerdings nicht nur eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit und der völkervertragsrechtlich gewährleisteten Freizügigkeitsrechte der betroffenen Fachpersonen, sondern verursachen zugleich eine grundlegende Verschärfung des Fachkräftemangels und potenzieren zusätzlich die akute Gefährdung der Versorgungslage von Patientinnen und Patienten.
Damit bewegen sich SIWF und MEBEKO juristisch zwischen einem Verstoss gegen das Rechtsverzögerungs- und das Rechtsverweigerungsverbot. In Bezug auf die Anerkennung ausländischer Facharzttitel aus EU/EFTA-Staaten und dem Vereinigten Königreich verletzt das behördliche Verhalten zusätzlich übergeordnetes Völkerrecht.

Übermässige Verfahrensdauer – Verletzung von Verfahrensvorschriften?

Das MedBG statuiert weder in Bezug auf die Erteilung eidgenössischer Weiterbildungstitel noch betreffend die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen eine ausdrückliche Regelung bezüglich der Verfahrensdauer.
Die betroffenen Fachpersonen haben als Teilgehalt aus der allgemeinen Verfahrensgarantie von Art. 29 Abs. 1 Bundesverfassung (BV) einen verfassungsmässigen Anspruch auf Beurteilung ihres Gesuchs innert angemessener Frist.
Gemäss Rechtsprechung schliessen dabei weder eine hohe Geschäftslast noch unzureichende personelle Ausstattung der Behörde eine Verletzung des Rechtsverzögerungs- und Rechtsverweigerungsverbots aus. Welche Bearbeitungsfrist im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV als angemessen gilt, richtet sich im Allgemeinen nach den Umständen des Einzelfalls.
Für das Verfahren der Titelerteilung durch das SIWF halten die massgeblichen standesrechtlichen Grundlagen in Art. 45 Abs. 3 der Weiterbildungsordnung des SIWF (WBO SIWF) immerhin ausdrücklich fest, dass die Bearbeitung von Gesuchen um Erteilung von Facharzttiteln binnen zweier Monate nach Eintreffen der vollständigen Unterlagen abgeschlossen sein soll.
Das übergeordnete und direkt anwendbare Völkerrecht statuiert zwingende Vorgaben zur Verfahrensdauer und bildet damit auf genereller Basis zugleich auch einen verbindlichen Referenzmassstab für die angemessenen Fristen betreffend die Erteilung eidgenössischer Weiterbildungstitel.
«Verletzung der Verfahrensvorschriften der RL 2005/36/EG»
Im Anwendungsbereich der europäischen Berufsanerkennungsrichtlinie, die im Verhältnis der EU zur Schweiz aufgrund des Freizügigkeitsabkommens betreffend die Anerkennung ausländischer Weiterbildungstitel als direkt anwendbar gilt, wird die Dauer des Anerkennungsverfahrens auf völkervertragsrechtlicher Ebene in Art. 51 RL 2005/36/EG verbindlich geregelt. Danach muss die MEBEKO zwingend
  • innerhalb eines Monats den Eingang der Anerkennungsunterlagen bestätigen und mitteilen, ob Dokumente oder Bescheinigungen fehlen; und
  • nach Erhalt des vollständigen Antrags innerhalb kürzester Zeit, und spätestens binnen dreier Monate, über den Anerkennungsantrag entscheiden.
Bei einer Fristüberschreitung gilt ein Antrag auf Anerkennung nicht automatisch als stattgegeben; d.h. die betroffenen Ärztinnen und Ärzte können nach Ablauf der drei Monate nicht einfach ihre Berufstätigkeit in der Schweiz von sich aus aufnehmen.
Dies wäre aber de lege ferenda zumindest für den Bereich der automatischen Anerkennung ein prüfenswerter Lösungsansatz. Für die aus der richtlinienwidrigen Rechtsverzögerung entstehenden Vermögenseinbussen kann die MEBEKO im Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsrichtlinie allerdings schadenersatzpflichtig werden, z.B. wegen entgangener Einkünfte.
Es dürfte ausser Frage stehen, dass sowohl aufseiten der betroffenen Ärzteschaft als auch arbeitgeberseitig aufgrund der erheblichen Verzögerung beachtliche finanzielle Einbussen entstehen.
«Schadenersatzpflicht bei Fristüberschreitung»
In Bezug auf die Anerkennung ausländischer Weiterbildungstitel sieht auch das Abkommen zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland, das seit dem 8. März 2025 in Kraft steht, eine analoge Regelung zur Verfahrensdauer vor. Gemäss Art. 2.7 des Abkommens muss die MEBEKO eine einmonatige Frist zur Eingangsbestätigung und eine maximal viermonatige Gesamtbearbeitungsfrist einhalten.
Aktuell überschreiten MEBEKO und SIWF diese Fristen systematisch. Das diesbezügliche Organisationsverschulden – oder eher Organisationsversagen – eröffnet damit eine Basis für substanzielle Schadenersatzforderungen, gerade auch mit Blick auf die Rechtsprechung zur Rechtsverzögerung und Rechtsverweigerung.

Handlungsoptionen gegen die rechtswidrige Verzögerung

Den betroffenen Fachkräften, ihren Verbänden und auch potenziellen Arbeitgebern stehen die folgenden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zur Verfügung, um sich gegen die systematische Verfahrensverzögerung, negative Entscheide sowie das Organisationsversagen der zuständigen Anerkennungsinstanzen zu wehren:
  • bei Verfahrensverzögerungen:
– Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerden beim Bundesverwaltungsgericht;
– Aufsichtsbeschwerden bei den jeweiligen Aufsichtsinstanzen;
– Geltendmachung von Schadenersatzforderungen entweder im Rahmen eines gesonderten Verfahrens oder zusammen mit einem anderen Rechtsbehelf.
  • bei negativen Entscheiden:
– Anfechtung des negativen Entscheides der Titelkommission des SIFW bei der Einsprachekommission für Weiterbildungstitel des SWIF und anschliessend Anfechtung des Einspracheentscheids beim Bundesverwaltungsgericht;
– Anfechtung des MEBEKO-Entscheids direkt beim Bundesverwaltungsgericht.
Zu erwägen wäre auch ein Staatshaftungsverfahren: Dem Staat obliegt die (Organisations-)Pflicht, seine Behörden in personeller Hinsicht qualitativ und quantitativ so auszustatten, dass sie die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung durchführen und abschliessen können.
Angesichts der systematischen Verletzung der Pflicht zur Bereitstellung bzw. Gewährleistung der erforderlichen personellen Ressourcen (Stichwort: Organisationsversagen) sowohl betreffend die MEBEKO als auch das SIWF bildet auch ein solches Verfahren eine denkbare Handlungsoption.
In Bezug auf sämtliche Handlungsoptionen gilt es allerdings zu beachten, dass die entsprechenden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe in der Regel nur funktionieren, wenn die zuständigen Gerichte suffizienter arbeiten als das SIWF oder die MEBEKO.

Alternative Lösungsansätze als Zwischenlösungen

Je nach konkreter Ausgangslage können alternative Lösungsansätze als Überbrückungsstrategie im Einzelfall erwogen werden:
  • Berufstätigkeit unter fachlicher Aufsicht (Delegationssetup);
  • Berufstätigkeit in eigener fachlicher Verantwortung im Anwendungsbereich der 90-Tage Dienstleistungsfreizügigkeit, sofern ein ausländischer Weiterbildungstitel in einem EU/EFTA-Staat oder dem Vereinigten Königreich erworben wurde (Dienstleistungs-/Selbstständigkeitssetup).
Das Versagen der gesundheitspolizeilichen Anerkennungs- und Erteilungsinstanzen verursacht de facto einen grösseren Rückstau an Zulassung von Ärztinnen und Ärzten, als es jede kantonale Zulassungssteuerung nach Art. 55a KVG schaffen würde.
Damit wird der Zugang für Patientinnen und Patienten zu einer qualitativ hochstehenden und zweckmässigen gesundheitlichen Versorgung über den Behördenweg künstlich erschwert, wenn nicht gar verhindert, ohne dass das zuständige Bundesamt für Gesundheit (BAG) intervenieren würde: «Honi soit qui mal y pense».
  • Der «Rechtsfall der Woche» ist ein Partner-Inhalt von Walder Wyss.
Eine dynamische Präsenz im Markt – Walder Wyss gehört mit mehr als 300 juristischen Experten und Expertinnen an sechs Standorten in allen Sprachregionen zu den führenden Schweizer Kanzleien für Wirtschaftsrecht. Kontinuierliches Wachstum, Kollegialität, Teamarbeit und Leistungswille haben bei Walder Wyss einen hohen Stellenwert – über alle Bereiche und Funktionen hinweg.

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