Spitäler: Wann ist die Zitrone ausgepresst?

Die finanziellen Probleme einzelner Spitäler sorgen für kontroverse politische Diskussionen. Nichts führt an der Tatsache vorbei, dass die Tarife und Entschädigungen zeitgemäss angepasst werden müssen. Ansonsten geraten auch die gesunden Häuser absehbar in Schieflage.

, 28. Dezember 2022 um 10:12
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Die finanziellen Probleme einzelner Spitäler sorgen für kontroverse politische Diskussionen. Jüngst mussten verschiedene Kantone ihren Häusern unter die Arme greifen. Spektakulär der Fall im Aargau, wo der Kanton 240 Millionen Franken aufwenden muss, um sein grösstes Spital vor dem Konkurs zu bewahren. Andere Kantone wie Waadt, Genf oder Basel machen das weniger auffällig, aber mit nicht weniger Aufwand: Sie buttern zusätzlichen Millionen über die GWL in ihre Häuser hinein.
Alle diese Tatsachen verschleiern die Tatsache, dass, um die wirtschaftliche Existenz der Schweizer Spitäler sicherstellen zu können, dringender politischer Handlungsbedarf besteht: Die ambulanten und stationären Tarife sowie die Entschädigungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen müssen generell hinterfragt und angepasst werden.

Spitallandschaft nur noch begrenzt durchhaltefähig

In den Notfallzentren vieler Häuser wurden dieses Jahr so viele Patienten wie noch nie behandelt. Dies nach dem Rekordjahr 2021, in dem auf Grund der Covid-Krise vielerorts schon so viele Patienten wie nie zuvor behandelt worden waren. Rappelvoll sind neben den Notfallzentren auch viele Bettenstationen. Sogar diejenigen Häuser, die keine Betten geschlossen und ihre Infrastruktur (z.B. zusätzliche IPS-Betten und Personal) kontinuierlich ausgebaut haben, stossen momentan vielfach an ihre Kapazitätsgrenzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich im ambulanten Setting. Dort bewältigen viele Häuser Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich und versuchen, die politische Forderung «ambulant vor stationär» konsequent umzusetzen.
Leistungsmässig stehen viele Spitäler einmal mehr vor einem Rekordjahr, wofür den Mitarbeitenden, die sich rund um die Uhr mit viel Engagement für das Wohl der Patienten einsetzen, Lob und Dank gebührt.

Sinkende Erträge auf Grund nicht kostendeckender Tarife

So stark die Leistung, so bedenklich ist das finanzielle Ergebnis. Ohne den Jahresabschlüssen 2022 vorgreifen zu wollen, kann man bereits jetzt festhalten, dass es den allermeisten Häusern nicht gelingen wird, die für die langfristige Existenz wichtige EBITDA-Marge von mindestens zehn Prozent zu erreichen. Dieser Zielwert ist zentral, ermöglicht er doch den Spitälern, Investitionen in Personal und Infrastruktur zu tätigen, um ihre Zukunft eigenständig gestalten zu können.
Folgende Gründe sind für die Verschlechterung der Rahmenbedingungen ausschlaggebend:
  • Die Tarife sind grundsätzlich zu tief und wurden den Kostenentwicklungen kaum angepasst. Der ambulante Bereich ist gemäss dem Branchenverband H-Plus rund 30 Prozent unterfinanziert und der stationäre Bereich rund 10 Prozent. Die Tarife sind weder prospektiv inflations-indexiert noch werden sie automatisch an veränderte Marktsituationen angepasst. Die ungenügende Vergütung der Leistungen anerkennt insbesondere Bundesbern nicht, dort bastelt man lieber an «Kostenzielen, Globalbudgets» und anderen Sparmassnahmen zu Lasten der Spitäler herum.

Woher stammen die Kostensteigerungen?

  • Zum einen führen regulatorische Auflagen zu höheren Kosten für die Spitäler, ohne dass dieser Mehraufwand den Patienten einen konkreten Nutzen bringt. Jüngstes Beispiel: Die Berufsausübungsbewilligung für Ärzte kostet im Aargau ein mittelgrosses Zentrumsspital eine sechsstellige Summe.
  • Zum anderen müssen die Gesundheitsinstitutionen, um attraktive Arbeitgeber zu bleiben, in ihr Personal investieren. Als Folge davon steigen die Personalkosten, der grösste Kostenblock in einem Spital. Viele Spitäler haben ihre Lohnsummen im Rahmen der Lohnrunden mit den Sozialpartnern seit 2012 kontinuierlich erhöht. Nächstes Jahr investieren sie Millionen Franken zusätzlich in ihr Personal. Einzelne Lohnerhöhungen sind so krass, dass die Pflegenden reihenweise ihre Pensen reduzieren und der Personalmangel damit unvermindert fortbesteht oder gar verschärft wird.
  • Schliesslich treffen die Teuerung von Einkaufsgütern und die Energiekrise die Spitäler besonders hart. Allein für die Stromkosten bezahlt beispielsweise das KSB nächstes Jahr 1,3 Millionen Franken zusätzlich.
Vor diesem Hintergrund ist es zwar erfreulich, dass es vielen Häusern gelingt, auch im Geschäftsjahr 2022 überhaupt schwarze Zahlen zu schreiben. Eine EBITDA-Marge von zehn Prozent oder mehr bleibt aber grossmehrheitlich illusorisch. Um die Rahmenbedingungen zu optimieren und weiterhin über eine gesunde finanzielle Basis zu verfügen, brauchen die Spitäler rasch politischen Support.

Konkrete Tarifanpassungen

  • Die ambulanten und stationären Tarife sollten dringend linear um rund fünf Prozent erhöht und inflations-indexiert werden. Das wäre eine erste konkrete Massnahme, um die chronische Unterfinanzierung der Spitäler und Kliniken auf nationaler Ebene zu beheben.
  • Die Entschädigungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen (GWL) sollten derart vereinheitlicht werden, dass sie sich dem nationalen Durchschnitt annähern. Derzeit liegt beispielsweise die GWL-Entschädigung im Aargau pro Fall bei 271 Franken, während der nationale durchschnitt mehr als 2000 Franken beträgt (vgl. Felder).
Diese systemischen Aspekte der Leistungsfinanzierung kommen bei den aktuellen politischen Diskussionen eindeutig zu kurz. Sie sind von der reinen Kostendiskussion zu trennen. Nur eine adäquate Finanzierung der Leistungen kann die Basis schaffen, damit die Führungsgremien der Spitäler überhaupt die Chance haben, ihre Häuser in eine finanziell nachhaltige Zukunft führen können.

Kluge Reformen endlich umsetzen

Daneben brauchen wir in der Gesundheitspolitik eine Verlagerung der ewigen Kostendiskussion auf eine Kosten-/Nutzen-Ebene. Im Vordergrund einer verantwortungsvollen Gesundheitspolitik müssen Wirkung resp. Nutzen, Qualität und die Durchhaltefähigkeit des Gesundheitswesens stehen.
Entscheidend aus Versorgungssicht sind dabei folgende Parameter:
  • Resilienz und Nachhaltigkeit: Wie übersteht ein Versorgungsystem künftige Krisen (wie die jüngste Pandemie)? Hält das Versorgungsystem langfristigen Belastungen und hoher Beanspruchung bei ausreichend Qualität stand? ​
  • Innovation und Digitalisierung: Ist unser System offen gegenüber neuen Versorgungsmodellen, verbesserten Finanzierungsmechanismen und innovativen Technologien?
  • Finanzierung und Qualität:
-Ausrichtung der Entschädigung auf die Maxime: Wer bietet die beste Qualität bei optimalen Kosten?
-Beseitigung von Fehlanreizen: Ersatz von rein mengenbasierten Entschädigungen durch Pauschalen und Einführung der Finanzierung aus einer Hand (EFAS).
Heute braucht es ein Umdenken und das Anstossen eines Reformprogramms für das Schweizer Gesundheitssystem auf Basis obiger Parameter.
  • spital
  • daniel heller
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