Halbwahrheiten, Irrtümer und Widersprüche in der Spitaldiskussion

Die Spitaldiskussion ist in der Sackgasse: Zu viele Leute mit zu wenig Fachverständnis reden mit. Halbwahrheiten und Irrtümer werden zu Dogmen und führen zu widersprüchlichen Reformrezepten.

, 12. August 2022 um 11:28
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Den Spitälern geht es nach zwei Jahren COVID-Bewältigung und unter dem Druck einer aus dem Ruder gelaufenen Kostendiskussion nicht gut. Die jüngst publizierte ZKB-Studie Schweizer Spitäler hält fest: «Die bereits bis anhin finanziell schwierige Lage der Spitäler hatte sich mit den negativen Auswirkungen der Coronapandemie zusätzlich verschärft.
Besonders der Personalaufwand in Prozenten des Umsatzes stieg bei den meisten Spitälern an. Die Gründe dafür waren ein in einigen Spitälern der gesunkene Umsatz sowie insbesondere der coronabedingte zusätzliche Personalaufwand, die Überzeitentschädigungen, nicht bezogene Ferien, Coronaprämien. Die bonitätsrelevanten Kennzahlen verschlechterten sich teilweise deutlich.»
Bundespolitiker streiten sich, mit welchen Staatsinterventionen man die steigenden Kosten deckeln könnte. Mit Globalbudgets, getarnt als Kostenziele, masst sich die Politik an, Spitalleistungen zu kontingentieren und damit letztlich zu rationieren. Und in den Kantonen spielen sich die Gesundheitsbehörden via Vergabe der Leistungsaufträge zum Richter darüber auf, ob ein Spital (weiter) existieren kann oder soll, und was durch einzelne Häuser angeboten werden darf oder nicht.
Das Schlimme an der Diskussion besteht darin, dass viele Schlagworte, Irrtümer oder Halbwahrheiten die Diskussion beherrschen und immer wieder zu widersprüchlichem Verhalten führen.

Schlagwort 1: «Wir haben zu viele Spitäler» 

 In dieser Pauschalform ist die Aussage falsch – auf Grund der kantonalen Spitalplanungen («Jedem Täli sein Spitäli») haben wir zu viele Spitäler, die das Gleiche anbieten, und zwar zu mediokren Konditionen – preislich und qualitativ. Angezeigt wäre eine gezielte Spezialisierung einzelner Häuser, um in bestimmten Disziplinen eine «Best Excellence» Position zu erreichen. 
Wenn also zwei Spitäler in kürzester Distanz und mit kleinem Einzugsgebiet dasselbe Angebot haben, und die Spitalführungen es verpassen, ihre Strategien anzupassen, muss wohl oder übel der Versorgungsplaner eingreifen. Besser koordinierte spezialisierte Angebote könnten hingegen dank höherer Fallzahlen zu Angeboten führen, die mit bestem Preis-Leistung-Verhältnis bei gleichzeitig höherer Qualität überzeugen. 
Umso grösser ist der Frust, wenn – wie in Zürich aktuell – die Gesundheitsdirektion günstig anbietende und qualitativ anerkannte private Spezialisten aus dem Markt wirft und dabei noch offen deklariert, dadurch die teuren staatlichen Häuser schützen zu wollen. Dabei wäre sie von Gesetzes wegen zur Förderung des Wettbewerbs verpflichtet.

Schlagwort 2: «Es gibt keinen echten Wettbewerb im Spitalwesen»

Natürlich gibt es den, aber er ist reguliert. Seit der Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) per 1. Januar 2012 und der damit verbundenen freien Spitalwahl spielt der Wettbewerb. So nehmen die Zahlen der Spitalbetriebe, der Fallzahlen sowie der Bettenzahl deutlich ab; die Zahl der ausserkantonalen Spital- und Klinikaufenthalte sowie der Aufenthalte in Privatkliniken hingegen nimmt tendenziell zu. Auch gewinnen spezialisierte Leistungserbringer Marktanteile. 
Es wird aber von den Staatsinterventionisten zu wenig unternommen, um diesen primär um Qualität stattfindenden Wettbewerb zu fördern und ihn zu vitalisieren. So bräuchte es zur Beurteilung der zu finanzierenden Leistungen vernünftige Kriterien. Das KVG verlangt WZW: «Wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» – die Operationalisierung dieser Kriterien würde helfen, das zu korrigieren. Aber das Departement Berset verweigert die Arbeit. Heute entscheidet Willkür.

Schlagwort 3: «Mehr ambulant vor stationär»

«Es braucht mehr ambulant vor stationär, um die Steigerung der Gesundheitskosten einzudämmen.» Im Zusammenhang mit den steigenden Gesundheitskosten und den wachsenden Krankenkassenprämien wird der Druck auf die Spitäler weiter zunehmen, Behandlungen vermehrt ambulant, statt stationär vorzunehmen. Die Schweiz hat hier in vielen Bereichen einen Rückstand zu vergleichbaren ausländischen Gesundheitssystemen. 
Dieser Trend belastet mit der heutigen Tarifsituation aber die Spitäler finanziell, da die ambulanten Behandlungen einen tieferen Kostendeckungsgrad aufweisen als die stationären. Und im Moment bremst der Bund mit seinem Eingreifen in die qualitative und quantitative Zulassung von ambulanten Leistungserbringern diesen Trend bereits wieder. 
Im Gegenzug blockieren die Kantone die Umsetzung der politisch vom Parlament angestrebte einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS), die Fehlanreize beseitigen und sehr wahrscheinlich einen weiteren Schub in Richtung ambulanter Behandlungen zur Folge hätte.

Schlagwort 4: «Die Spitäler bauen zu viel»

Viele Spitäler haben über die letzten Jahre von der Substanz gelebt und wirtschaften in zunehmend veralteten Infrastrukturen. Wie effizient gearbeitet werden kann, um eine ausreichend hohe EBITDA-Marge zu erreichen und investieren zu können, ist umstritten. Nicht bestritten ist hingegen, dass der Zustand der Infrastruktur massgeblich mitbestimmend ist, um eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. 
Die dafür notwendige EBITDA-Marge für ein Spital liegt bei mindestens 10 Prozent. Das ist beispielsweise auch die Marge, die einzelne Kantone wie Aargau, Luzern, St. Gallen oder Zürich in den Eigentümerstrategien ihrer Kantonsspitäler als finanzielles Ziel vorgeben. Eine EBITDA-Marge von 10 Prozent dürfte jedoch eher knapp bemessen sein, um bei den teils kostspieligen Investitionen die Abschreibungen, Amortisationen und Zinskosten tragen zu können. 
Im aktuellen Umfeld steigen die Zinskonditionen rasch an; für eine 15-jährige Anleihe über 125 Millionen Franken muss im Sommer 2022 bereits von bis zu einer halben Million höheren jährlichen Zinskosten ausgegangen werden, als noch 2021. Dieses Geld muss ein Spital zuerst verdienen.

Schlagwort 5: «Panoptikum der Geldgierigen»

«Das Gesundheitswesen ist ein Panoptikum der Geldgierigen»: Dieser aus der Partei Mitte stammende infame Vorwurf ist eine Zumutung für alle, die im Gesundheitswesen arbeiten und Verantwortung für die Gesundheit unserer Bevölkerung übernehmen. Es ist unbestritten, dass die Hauptursache für die Kostensteigerung – auch gemäss der bereits erwähnten ZKB Studie – die wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen unserer immer älter werdenden Wohlstandsgesellschaft ist: «Die Bevölkerung stellt mit steigendem Einkommen und Wohlstand immer mehr Ansprüche an das Gesundheitswesen. Die Gesundheit ist das wertvollste Gut im Leben», so die ZKB. Das zu anerkennen heisst nicht, dass nicht an der Effizienz und Effektivität unserer Versorgungslandschaft gearbeitet werden muss. Beschimpfungen durch Politiker, die wenig bis gar nichts von der Sache verstehen, hingegen bringen in der Reformdebatte nichts.

Mehr Wettbewerb statt mehr Planung

Was wir nach den Erfahrungen der Pandemie brauchen, ist nicht mehr staatliche Planung und Eingriffe, sondern mehr Wettbewerb und mehr Innovation.
Das Debakel staatlicher Planung führt uns die Energiestrategie 2050 vor Augen: Betriebsblindheit, Ideologie und die Vermessenheit, auf 30 Jahre hinaus planen zu können, führen nach nur gerade ein paar Jahren dazu, dass wir ab diesen Winter mit Strommangellagen rechnen müssen. Die Energieplaner des Bundes haben technologische Entwicklungen vergessen und die Tatsache, dass andere auch auf die Idee kommen könnten, mehr Strom zu brauchen, einfach ausgeblendet; die vorausgesetzten Stromimporte finden nun einfach nicht statt.
In einem Kanton führte die staatliche Planung der Pflegebetten nach wenigen Jahren zu über 300 zu viel gebauten Betten – die dann leer standen. Die fleissige Planerin der Gesundheitsdirektion hat in ihren linearen Annahmen die Marktentwicklung vergessen: Ausbau der Spitex, neue Anbieter wie Home Instead und bessere Altersmedizin.
In der Gesundheitspolitik brauchen wir nicht mehr staatliche Planung, sondern eine Verlagerung der ewigen Kostendiskussion auf eine Ebene, wo der Nutzen, die Qualität und die Durchhaltefähigkeit des Gesundheitswesens im Vordergrund stehen. Entscheidend aus Versorgungssicht sind dabei folgende Parameter:
  • Resilienz und Nachhaltigkeit: Wie übersteht ein Versorgungsystem künftige Krisen (wie die jüngste Pandemie)? Hält das Versorgungsystem künftig langfristigen Belastungen und hoher Beanspruchung bei ausreichend Qualität stand? ​
  • Innovation und Digitalisierung: Ist es offen gegenüber neuen Versorgungsmodellen, verbesserten Finanzierungsmechanismen und innovativen Technologien?
  • Preis/Leistung: Wer bietet beste Qualität bei optimalen Kosten?
Heute braucht es ein Umdenken und das Anstossen eines Reformprogramms für das Schweizer Gesundheitssystem auf Basis obiger Parameter. Dazu ist aber wohl eine neue Politikergeneration nötig.
  • daniel heller
  • gastbeitrag
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