Schweizer Ärzteschaft zeigt sich robust – doch es gibt auch Grund zur Besorgnis

Den Schweizer Ärztinnen und Ärzten geht es trotz Krisen gut. Das zeigt eine internationale Befragung bei Grundversorgerinnen und Grundversorgern.

, 14. Februar 2023 um 11:38
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Knapp die Hälfte der Ärzte in der Grundversorgung ist 55-jährig oder älter. | Symbolbild Freepik
Schweizer Ärztinnen und Ärzte geniessen ein hohes Ansehen. Doch wie zufrieden sind sie mit ihrem Job und wie bewerten sie das eigene Gesundheitssystem?
Nachwuchsprobleme, hohe Arbeitspensen, wenig Freizeit, hoher administravier Aufwand und unbefriedigende Löhne: immerhin steht die Ärzteschaft vor grossen Herausforderungen.
Antworten auf diese Fragen gibt eine internationale Umfrage, die unter der Schirmherrschaft der Stiftung Commonwealth Fund in zehn Ländern durchgeführt wurde.
Im Jahr 2022 befragt wurden die Grundversorgerinnen und Grundversorger. Dazu zählen Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinen Inneren Medizin, der Kinder- und Jugendmedizin sowie praktische Ärztinnen und Ärzte.

Die guten Noten

Von den 1114 befragten Grundversorgerinnen und Grundversorgern in der Schweiz bewerten über 90 Prozent die Gesamtleistung des Gesundheitssystems als gut oder sehr gut. Das entspricht international erneut dem ersten Platz. Dies trotz zwischenzeitlicher Covid-19-Pandemie, schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einem Communiqué.
Die Mehrheit (81 Prozent) Befragten gibt an, dass die Qualität der Behandlungen, die sie angeboten haben, während der Pandemie gleich gut geblieben ist wie in der Zeit vor der Pandemie. Eine Verschlechterung wahrgenommen haben elf Prozent.
«Dies ist international das beste Ergebnis und spricht für eine gewisse Robustheit der Behandlungsqualität in Krisensituationen», so das BAG.

Stress nimmt zu

Über die Hälfte (58 Prozent) der Befragten ist äusserst zufrieden oder sehr zufrieden mit der eigenen Praxistätigkeit, was international – wie bereits 2019 – einem ersten Rang entspricht.
Allerdings ist dieses hohe Niveau an Zufriedenheit seit 2019 deutlich zurückgegangen, wie in fast allen befragten Ländern.
Gleichzeit nimmt der Anteil gestresster Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz zu:
43 Prozent bewerten ihre Arbeit als sehr stressig oder äusserst stressig, was deutlich höher ist als 2019 (37 Prozent), im internationalen Vergleich jedoch dem zweitniedrigsten Wert entspricht.

Gute Work-Life-Balance

Eine mögliche Ursache für die Zunahme des Stressniveaus ist laut BAG wohl die Covid-19-Pandemie. Der Grund: Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Ärztinnen und Ärzte geben an, die Arbeitsbelastung habe aufgrund der Pandemie etwas zugenommen oder erheblich zugenommen.
Beim Stressniveau gibt es Unterschiede zwischen den Ärztegruppen. Das tiefste Niveau (32 Prozent) geben Pädiater und Pädiaterinnen an.
Ein Drittel der Befragten ist indes mit der Work-Life-Balance in hohem Masse zufrieden, was im internationalen Vergleich der höchste Wert ist.

Administration ein Problem

Über zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten sehen den Zeitaufwand, der durch administrative Arbeiten wie etwa im Zusammenhang mit der Rechnungsstellung entsteht, als grosses Problem.
Im internationalen Vergleich ist dies der höchste Wert und es entspricht einer deutlichen Zunahme seit 2019 (61 Prozent).
Allerdings gibt ein grosser Anteil der Befragten an, dass sie weniger als zehn Prozent der Arbeitszeit für administrative Arbeiten aufwenden.

55 Jahre oder älter

Während sich der Frauenanteil in der Hausarztmedizin seit 2012 von knapp einem Drittel (30 Prozent) auf fast die Hälfte (46 Prozent in 2022) erhöht hat, erzielt die Schweiz im internationalen Vergleich beim Alter keine guten Noten: Knapp die Hälfte (48 Prozent) der Ärzte in der Grundversorgung 55-jährig oder älter.

«Das ist ein Grund zur Besorgnis.»

Yvonne Gilli, Präsidentin des Berufsverbandes FMH: «Das ist ein Grund zur Besorgnis: Der Anteil der über 60-Jährigen in der Grundversorgung ist hoch, die Hausarztdichte verharrt auf tiefem Niveau und die Auslandabhängigkeit ist gross.»
Um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten, pladiert Gilli in einem Schreiben an die Medien dafür, dass die Rahmenbedingungen für die Ärztinnen und Ärzte – sowohl im Spital wie auch im praxisambulanten Bereich – verbessert und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden muss.
«Zentrale Massnahmen sind weniger administrative Aufgaben, die Erhöhung der inländischen Studienplätze für Medizin, zeitgemässe Tarif- und Finanzierungssysteme, die auch die Interprofessionalität und Digitalisierung berücksichtigen», so Gili weiter.

Immer weniger Einzelpraxen

Weitere wichtige Punkte der Befragung sind:
  • Der Trend zu Gruppenpraxen und die Abkehr von langen Arbeitswochen nimmt zu.
  • Immer mehr Ärzte in der Grundversorgung dokumentieren die Krankengeschichte ihrer Patientinnen und Patienten elektronisch (82 Prozent).
  • Die Grundversorgerinnen und Grundversorger in der Schweiz fungieren im internationalen Vergleich bezüglich elektronischen Austausches (Labordaten oder Krankheitsbilder) mit anderen Gesundheitsfachpersonen in den hinteren Rängen.
  • Abgesehen von der E-Mail-Kommunikation fällt auch das eHealth-Angebot von Seiten der Grundversorgerinnen und Grundversorgen für die Patientinnen und Patienten in der Schweiz vergleichsweise begrenzt aus.
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