Wie lange kann sich Bundesrat Berset den lockeren Umgang mit der Wahrheit noch leisten?

Im Gespräch mit Urs Gredig war Bundesrat Alain Berset am 20. Mai in der Sendung «Gredig direkt» einmal mehr souverän. Aber nicht nur in diesem Interview verbiegt Alain Berset ein paar wichtige Fakten, die ich hier aufgreife.

, 25. Mai 2021 um 06:45
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Bundesrat Bersets Behauptung im SRF-Tagesgespräch vom 23.10.20, dass man Ende Januar und Anfang Februar 2020 noch nicht wusste, dass sich SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch überträgt, war schlicht falsch. Möglich ist, dass ihm das seine Berater zu diesem Zeitpunkt verschwiegen.
Auch Alain Bersets mehrfach wiederholte Behauptung, der Bundesrat sei im Herbst 2020 von der Taskforce zu spät über die epidemiologische Entwicklung informiert worden, ist falsch. Die Task Force publizierte am 9. Oktober eine sehr deutliche Lagebeurteilung. Dass die schlimmsten Prognoseszenarien der Taskforce nicht immer eingetroffen sind und der Bundesrat für seine Entscheide die Verantwortung trägt, ist ein anderes Thema.
Im Interview vom 19. Dezember 2020 fragte SRF-Bundeshausredaktor Urs Leuthard den Gesundheitsminister, ob er wirklich allen zuhöre:
Alain Berset: «Wir haben allen zugehört…»
Urs Leuthard: «… aber haben dann anders entschieden…»
Alain Berset: „… und müssen dann die Verantwortung übernehmen für das ganze Land.“
Als Urs Gredig den Bundesrat auf Fehler im Krisenmanagement ansprach meinte dieser, “am Anfang die Wissenschaft zu wenig hinterfragt" zu haben. Damit schob er nicht zum ersten Mal Fehler auf die Taskforce ab, ohne diese zu erwähnen. Auch nach Gredigs Einspieler mit der Entschuldigung der Deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zum korrigierten Entscheid über die sogenannte «Osterruhe» wirkte der Gesundheitsminister nachdenklich, wies einmal mehr darauf hin, dass auch der Bundesrat Fehler mache, ohne konkrete Fehler zu erwähnen oder sich für einen zu entschuldigen.
Das Maskentheater ist ein frühes und deutliches Beispiel der bisweilen trickreichen Krisenkommunikation. Der Nutzen von Masken für die allgemeine Bevölkerung wurde zu Beginn der Pandemie primär von den BAG-Leuten um Daniel Koch (ehemaliger Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten) bestritten. Auch ich ging damals dem Geschwurbel von Daniel Koch auf den Leim, bis ich am 1.4.2020 in der NZZ las, dass Daniel Koch und seine Leute den eigenen BAG-Empfehlungen widersprach. BR Bersets Aussage bei Gredig direkt, dass man den Nutzen der Masken nicht bestritten habe, weil es zu wenig davon hatte, ist also schlicht falsch.
Dazu kommt, dass wissenschaftliche Taskforce erst am 31. März 2020, also 15 Tage nach Lockdownbeginn aktiv wurde und drei Wochen später in einem Policy Brief über die Wirkung der Masken mit der deutlichen Empfehlung informierte, Masken zu tragen. Im Protokoll des Krisenstabs vom 20. Mai 2020 wird der damalige Taskforce Leiter Matthias Egger zitiert: “Dass Masken schützen, ist ‹common sense›. Dies muss auch so kommuniziert werden.” Und weiter: “Es wird aber klar festgehalten, dass ein allfälliger Entscheid zum Tragen von Masken aufgrund des Druckes von aussen auf der politischen Stufe gefällt wird und nicht aus epidemiologischer Sicht.” Egal wie gross der Nutzen der Masken ist. Die unredliche Kommunikation hat ohne Not viel Vertrauen zerstört.
Beim COVID-Zertifikat bleibt Gredig auf der Ebene der möglichen Diskriminierung, fragt aber nicht, ob ab dem 7. Juni auch die Prozesse funktionieren, die nötig sind, damit die Daten der Geimpften, Genesen und negativ Getesteten auf das Zertifikat kommen. Das ist kein trivialer Punkt, denn die SwissCovidApp funktioniert auch, die Anbindung an das Contact Tracing aber je nach Kanton unterschiedlich. Auch das elektronische Patientendossier (ePD) scheitert an den Prozessen, die es braucht, damit die für Fachpersonen und Patienten relevanten Daten strukturiert ins ePD kommen. Und im Gegensatz zur Durchimpfung ist das COVIDfree-Zertifikat abgesehen von der EU-Kompatibilität kaum von externen Faktoren abhängig.
Wer wie BR Berset und seine BAG-Crew zwar meint, selbstkritisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen, aber Fehler vor allem abstreitet und anderen in die Schuhe schiebt, wird kaum aus Fehlern lernen. Und weil man in Krisen rasch entscheiden muss, steigt die Fehlerquote. Deshalb ist es in Krisen besonders wichtig, Fehler rasch zu erkennen, sie einzugestehen und so schnell wie möglich zu korrigieren. Eine selbstkritischere Haltung würde die Glaubwürdigkeit des Gesundheitsministers, des BAG und des Gesamtbundesrats stärken und übrigens auch dem bundesrätlichen Krisenkommunikationskonzept entsprechen. Dort steht:

  • Geschwindigkeit kommt vor Vollständigkeit;
  • Botschaften werden einfach und verständlich formuliert;
  • wenn einzelne Infos (noch) nicht verbreitet werden können, wird dies begründet;
  • auch Unangenehmes wird angesprochen;
  • Fehler werden eingestanden.

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