Die neuen Mutationen des Corona-Virus bereiten Sorgen. Steuert die Schweiz aufgrund der britischen, brasilianischen und südafrikanischen Variante auf eine dritte Welle zu (siehe Box unten)? Im
Aargau zum Beispiel werden derzeit inzwischen rund 50 bis 60 Prozent der neuen Fälle auf Virusmutationen zurückgeführt.
Dass Viren mutieren ist ein Naturgesetz – Experten gehen davon aus, dass sie sich auch hierzulande weiter ausbreiten und das Infektionsgeschehen dominieren werden. Sie machen jedoch auch Mut, dass sich die Impfungen schnell an die Mutationen anpassen lassen werden. Wie gefährlich diese Mutationen sind; darüber herrscht aber Unsicherheit.
Jetzt hat ein internationales Team mit Beteiligung des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV und der Universität Bern ein Vorgehen entwickelt, das die Übertragbarkeit von neuen Virus-Mutanten genau bestimmen kann.
Sars-CoV-2-Variante ist bereits ein Mutant
Ein Blick zurück: Vor dem Aufkommen neuer Mutanten des Corona-Virus wie zum Beispiel der britischen Variante B.117 war weltweit die sogenannte Sars-CoV-2-Variante D614G am weitesten verbreitet. Doch auch diese Variante war schon eine Mutante des ursprünglichen Sars-CoV-2-Erregers, der die Pandemie ausgelöst hatte, heisst es in der Medienmitteilung der Universität Bern. Nun konnte im Labor und an Tiermodellen gezeigt werden, weshalb die D614G-Variante gegenüber dem ursprünglichen Sars-Cov-2-Virus die Oberhand gewinnen konnte.
Mutationen charakterisieren
«Mit unserem Vorgehen können wir auch neu auftretende Mutationen wie die britische Variante B.117 schneller und besser charakterisieren», sagt Volker Thiel vom Institut für Virologie und Immunologie (IVI), einer der vier Hauptautoren der Studie. Die Erkenntnisse sind für die Bekämpfung neuer Mutanten, die überhand zu nehmen drohen, sehr wichtig, da sie zeigen wie ein Fitness-Vorteil von Virus-Varianten zu höherer Übertragung führen kann. Die Resultate wurden im Fachmagazin
Nature publiziert.
Sars-CoV-2 ansteckender als Ursprungsvirus
Die Sars-CoV-2-Variante D614G trägt eine Mutation im Spike-Protein, die es dem Virus erleichtert an menschliche Zellen anzudocken. In einem ersten Schritt konnten die Forschenden am IVI und im Labor von David E. Wentworth an den Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta (USA) in Zellkulturen mit menschlichen Zellen aus den oberen Atemwegen sowie aus der Nase zeigen, dass die D614G-Variante stärker bindet und sich in den Zellen auch schneller vermehrt als das ursprüngliche Virus. Diese Befunde bestätigten sich auch in vivo, also im lebenden Organismus, in einem neuen Mausmodell, das in dieser Studie beschrieben wird. Diese Experimente wurden ebenfalls am IVI in der Gruppe von Charaf Benarafa, Leiter Molekulare Immunologie, durchgeführt.
Neue Mutation setzt sich deutlich durch
Die Ausbreitung von Sars-Cov-2-Viren lässt sich aber in anderen Tieren besser messen. Als Tiermodelle eignen sich besonders Hamster und Frettchen, die in der Infektionsforschung gut etabliert sind, geht weiter aus dem Communiqué hervor. So geht's: Um die Varianten zu vergleichen, wurde jeweils einem Tier ein Gemisch zu gleichen Teilen der ursprünglichen Version des Sars-CoV-2-Virus und der D614G-Variante unter leichter Narkose in die Nase geträufelt. Nach einem Tag wurde es mit einem gesunden Tier der gleichen Art zusammengebracht, um die Übertragung der beiden Varianten im direkten Vergleich zu messen. Der Versuch wurde mit je sechs solcher Tier-Paare wiederholt. Bei praktisch allen neu infizierten Tieren wurde der Anteil der übertragenen Sars-CoV-2-Viren schon früh fast vollständig von der D614G-Variante dominiert. Die Unterscheidung der Varianten erfolgte dabei mit modernster Sequenziertechnologie und PCR-Technik.
Die Versuche fanden im Team von Martin Beer am Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, in Greifswald-Insel Riems (D) statt. «Unsere Studie zeichnet sich dadurch aus, dass wir die effizientere Übertragung der mutierten Variante im direkten Vergleich mit der ursprünglichen Variante deutlich herausarbeiten konnten», erklärt Thiel.
Mutationen im Wettkampf
Mit diesem Vorgehen kann sogar jede einzelne Mutation oder gezielte Kombination von Mutationen, wie sie jetzt bei zahlreichen Virus-Varianten auftreten, getestet werden. Dabei kann sich das IVI auf eine vor einem Jahr hier entwickelte Klontechnik stützen, mit der Sars-CoV-2-Viren im Labor exakt nachgebaut werden können. Vom britischen Virus weiss man zum Beispiel, dass es nicht nur eine, sondern oft mehr als 14 Mutationen aufweist, wovon acht im Spike-Protein auftreten.
So können mit Hilfe der Klontechnik beliebige Mutationen von Varianten nachgebaut werden, um sie in den hier beschriebenen und erfolgreich etablierten Zellkultur- und Tiermodellen gegeneinander «antreten» zu lassen. Die Ergebnisse zeigen, wie sich einzelne Mutationen auf die Fitness und Übertragbarkeit der neuen Varianten auswirken. «Mit unserer Teststrategie können wir jetzt auch prüfen, wieso sich andere, neu auftauchende Virus-Varianten durchsetzen», sagt Volker Thiel.
Ähnliche Forschungsprojekte zu infektiösen Erregern könnten in Zukunft auch am neu gegründeten Multidisciplinary Center for Infectious Diseases and Immunity (MCIDI) der Universität Bern bearbeitet werden.
Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds SNF, der Europäischen Kommission, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie dem U.S. Department of Health & Human Services, den National Institutes of Health (NIH) / Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) finanziell unterstützt.
Diese drei Mutationen bereiten Sorgen
Drei Virus-Varianten des Sars-CoV-2 wurden bis dato als besorgniserregend eingestuft:
- Variante aus Grossbritannien: B.1.1.7 (N501Y.V1)
- Variante aus Südafrika: N501Y.V2
- Variante aus Brasilien: P1 (N501Y.V3)
Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt es Hinweise darauf, dass diese Varianten deutlich ansteckender sind. Dadurch breitet sich das Virus deutlich schneller aus als dies bei der bisherigen Variante des neuen Coronavirus mit Ursprung in Wuhan der Fall war. Bei allen Varianten gibt es momentan keine Hinweise darauf, dass sie stärkere Symptome verursachen oder zu mehr Todesfällen führen.
Gemäss aktuellem Wissen wirke die Covid-19-Impfung auch gegen die Variante aus Grossbritannien. Für die Varianten aus Südafrika und Brasilien können zum aktuellen Zeitpunkt Auswirkungen auf die Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe nicht ausgeschlossen werden.