Wie die DRG-Kodierung Kooperationen verhindert

Das Abrechnungssystem laut DRG verunmöglicht es Spitälern, in der Akutgeriatrie zusammenzuarbeiten. Für Spitäler in Randregionen ist das ein Problem.

, 10. September 2021 um 12:00
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  • luzerner kantonsspital
  • kantonsspital uri
Das vor bald zehn Jahren eingeführte DRG beziehungsweise Diagnosis Related Groups ist ein Abrechnungssystem. Mit Kodierungen werden stationäre Spitalaufenthalte über Fallpauschalen abgerechnet – und dies unabhängig der Verweildauer.
Das ist soweit bekannt. Dass aber mit dieser Kodierung auch Qualitätsstandards definiert werden, ist nicht im Sinne des Erfinders. Doch genau das passiert im Bereich der Akutgeriatrie.

Verhängnisvolle Mindestvorgaben 

Sämtliche stationäre Spitalaufenthalte werden jährlich erfasst. Um die entsprechende Information weiterverarbeiten zu können, müssen sie kodiert werden. Daraus ergibt sich eine Operationsklassifikation, kurz CHOP-Kodes genannt. Nun ist es so, dass auch qualitative Mindestvorgaben in diese CHOP-Kodes einfliessen.
Als Beispiel sei die Kodierung des CHOP 93.89.9 genannt. Danach muss der Schwerpunktträger Geriatrie überwiegend in der leistungserbringenden geriatrischen Einheit tätig sein. Das heisst, er oder sie kann die fachärztliche Behandlungsleitung nicht gleichzeitig in einem anderen Spital vornehmen, wie aus einem Schreiben der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) hervorgeht. 

Erwünschte Zusammenarbeit wird erschwert

Das führt wiederum dazu, dass ein Spital vom Kanton den Leistungsauftrag «Akutgeriatrie Kompetenzzentrum» erhält, die entsprechenden Behandlungen aber nicht codieren kann. Zudem erschwert dies die Zusammenarbeit verschiedener Spitäler, obschon dies gerade aufgrund von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsüberlegungen erwünscht wird.
Opfer dieser seltsamen Vorgaben sind die Kantonsspitäler Luzern und Uri. Seit 2017 arbeiten sie in der Akutgeriatrie zusammen. Das LUKS stellt die fachärztliche Behandlung sicher; das KSU sorgt sich um die Therapie und Pflege. Laut KSU-Direktor Fortunat von Planta konnten damit die Ziele der akutgeriatrischen Behandlung im KSU weitestgehend erreicht werden. «Fast alle Patientinnen und Patienten können nach der akutgeriatrischen Behandlung ins vertraute Umfeld nach Hause zurückkehren», erklärt von Planta.
Damit lassen sich laut dem KSU-Direktor teure Reha-Aufenthalte oder eine Langzeitpflege verhindern, wie dies im Interesse der Patienten, deren Angehörigen, der Steuerzahlenden und des Gesetzgebers se. Denn für das KSU macht es ökonomisch keinen Sinn, einen Facharzt mit Schwerpunkt Geriatrie anzustellen. Es sei aber auch aus fachlicher Sicht falsch, wenn ein Regionalspital für jede Disziplin eigene Ärzte anstellt. 

Das sagt der Spitalverband

Auch Hplus stört sich an dieser Vorgabe: «Die Anforderung in diesem speziellen CHOP-Code behindert die Strategie der Vernetzung und der Kooperation unter den Leistungserbingern», erklärt erklärt der Spitalverband Hplus.  
Das Beispiel des Kantonsspital Uri und Luzern zeige dies deutlich. «Die Anforderungen sind deshalb versorgungspolitisch kritisch zu beurteilen und entsprechen nicht mehr der Realität der Spitalversorgung beziehungwiese tragen Entwicklungen in diesem Bereich nicht Rechnung.»
Laut Hplus gibt es Anforderungen in einzelnen CHOP-Codes, welche die Anforderungen betreffend kantonalen Leistungsaufträgen übersteuern. «Dies ist versorgungspolitisch sehr kritisch, da dadurch die Anforderungen für die Erteilung eines Leistungsauftrages vom Spital erfüllt werden müssen, jedoch die Kosten dafür nicht abgegolten werden, weil im entsprechenden CHOP-Code die Anforderungen anders festgelegt sind.»



Aus Sicht von Hplus müssen solche Anforderungen der Realität angepasst werden, um die Kooperation und Vernetzung, welche wohlgemerkt politisch gewollt ist, nicht zu behindern.
Nur muss man wissen, dass das Problem keineswegs neu ist: Vor über einem Jahr machten das Luzerner Kantonsspital und das Kantonsspital Uri das Bundesamt für Statistik (BfS), Abteilung Gesundheit und Soziales, auf diesen Missstand aufmerksam und stellten den Antrag, «diese Regelung so rasch als möglich aus den Vorgaben zu streichen und in Zukunft darauf zu achten, dass die Kodiervorgaben die Zusammenarbeit zwischen den Spitälern nicht behindert.»  
Ende April 2021 folgte ein Schreiben der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) an dieselbe Adresse. 
Immerhin: Wie nun Hplus bestätigt, soll der Antrag noch im September in  einer Sondersitzung mit dem BfS behandelt werden. 

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