Tendenz zur Kardiologie-Überversorgung im Aargau

Weil auf einen Schlag mehr Kardiologen im Aargau tätig sind, kann es künftig zu einer Überversorgung kommen. Dies geht aus einer medizinischen Expertise hervor. Denkbar wäre deshalb nun eine Rationierung der angebotenen Mengen.

, 24. Februar 2020 um 07:28
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Im Kanton Aargau sind die mit den Leistungsaufträgen verbundenen Anforderungen im Bereich Kardiologie weiterhin erfüllt. Zu diesem Schluss kommen Abklärungen zur Versorgungssituation, wie die Staatskanzlei mitteilte. «Die Ergebnisse lassen jedoch eine Tendenz zur Überversorgung erkennen», steht in der Mitteilung zu lesen.
Für die Lagebeurteilung wurde unter anderem eine «medizinische Expertise» durchgeführt, offenbar von einem Chefarzt eines anderen Kantonsspitals. Den Namen will das Departement für Gesundheit und Soziales (DGS) auf Anfrage nicht veröffentlichen. Ebenso keine näheren Angaben zur Methodologie dieser Bedarfsanalyse.

Streit statt Zusammenarbeit

Der Prüfung vorangegangen ist ein Streit, weil das Kantonsspital Baden (KSB) den jahrelangen Kooperationsvertrag mit dem Kantonsspital Aarau (KSA) für die invasive Kardiologie einseitig gekündigt hatte - und gleichzeitig eine Kooperation mit der Hirslanden Klinik Aarau eingegangen war. Nach der Kündigung arbeiten nun fünf Kardiologen mehr im Kanton Aargau. Dies, weil mit der neuen Form der Zusammenarbeit mehrere Kardiologen zu Hirslanden wechselten und das KSA die freien Stellen wieder besetzen musste. 
Um künftige Überkapazitäten in der Kardiologie zu verhindern, will das DGS nun «ein spezielles Augenmerk auf das Monitoring in den Bereichen Kardiologie und Herzchirurgie hinsichtlich Fallzahlen und Indikationsqualität legen», heisst es weiter. Auf Sofortmassnahmen wie etwa eine Neuausschreibung der Leistungsaufträge werde derzeit aber verzichtet.

Höchstfallzahlen festlegen

Im Rahmen dieses Leistungsauftrags-Monitorings können allfällige Fehlentwicklungen erkannt und im Bedarfsfall die nötigen Massnahmen ergriffen werden. Das DGS werde prüfen, «ob die Zahl der kardiologischen Eingriffe statistisch bedeutsam ansteigt oder ob Eingriffe durchgeführt werden, ohne dass dies nötig wäre», erklärt die Leiterin der Gesundheitsabteilung Barbara Hürlimann gegenüber Medinside. Auch die Massnahme der Höchstfallzahlen werde mit Blick auf die neue gesundheitspolitische Gesamtplanung im Kanton grundsätzlich zu diskutieren sein.
Die Differenzen haben die beiden Aargauer Kantonsspitäler inzwischen nach diversen Klärungsgesprächen «gütlich beigelegt», teilt die Staatskanzlei weiter mit. Als Grund für die Kündigung hatte das KSB insbesondere den Wunsch genannt, weiterhin mit den Kardiologen zusammenarbeiten zu wollen, die neu in der mit Hirslanden assoziierten Praxis Kardiologie Mittelland arbeiten. 

Keine juristische Auseinandersetzung

Das KSA wäre befugt gewesen, beim Verwaltungsgericht Klage wegen Vertragsbruchs einzureichen. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch erzählt, das KSA konnte seinen Auftrag in der Kardiologie gegenüber dem KSB nicht mehr einhalten. Dies führte zu Unstimmigkeiten zwischen den beiden Spitälern. Der neue Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati soll es aber nicht goutieren, dass der Konflikt in der Öffentlichkeit ausgetragen werde. 
In einem gemeinsamen Schreiben an die Zuweisenden vom Dezember 2019 schreibt das Kantonsspital Baden zudem versöhnlich: «Es ist wichtig festzuhalten, dass wir mit dieser Veränderung weder die Qualität der Leistungen der invasiven Kardiologie des KSA noch von Personen aus dem KSA in Frage stellen wollte, die nach unserer Beurteilung jederzeit tadellos und qualitativ einwandfrei war».

Kanton kann Kooperation rechtlich nicht durchsetzen

Für den Kanton Aargau als Alleinaktionär ist die Zusammenarbeit zwischen KSA und KSB im Rahmen der Eigentümerstrategie «zentral» und «ein grosses Anliegen». Die beiden kantonalen Häuser sind «weiterhin bemüht», mit konstant hoher Qualität ihre Versorgungsauftrage zu erbringen. Sie arbeiten dazu in diversen Bereichen konstruktiv zusammen, wie die beiden Kantonsspital-Chefs im oben erwähnten Brief an die Zuweisenden schreiben.
Die Eigentümerstrategie hält die strategischen Interessen des Eigentümers fest, rechtlich ist diese aber nicht bindend. Der Kanton als Alleinaktionär der Kantonsspitäler verfügt nur über begrenzte Einflussmöglichkeiten auf die Spitäler, wie aus einer Antwort der Regierung auf einen Vorstoss im Kantonsparlament hervorgeht. Mit anderen Worten: Das oberste Leitungsorgan muss die Eigentümerstrategie respektive die engere Kooperation in seiner eigenen Unternehmensstrategie nicht zwingend berücksichtigen. Die Einhaltung der Eigentümerziele könne nur durch die Wahl der «richtigen» beziehungsweise die Abwahl von nicht strategiekonform agierenden Verwaltungsräten durchgesetzt werden.
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