Tamiflu gegen Durchfall

Physiologen der Universität Zürich haben herausgefunden, dass Grippemittel wie Tamiflu gegen Kolibakterien helfen. Dies eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten bei Darmentzündungen.

, 25. August 2015 um 14:09
image
  • universitätsspital zürich
  • forschung
Trillionen von Bakterien besiedeln den menschlichen Darm. Krankheiten, aber auch Antibiotika-Behandlungen, können zu signifikanten Verschiebungen innerhalb dieser Population führen. 
Kritisch wird es, wenn sich ganze Bakteriengruppen plötzlich stark vermehren. Sie beschädigen das Darmgewebe und führen zu Entzündungen. 
Wie solche Umverteilungen ausgelöst werden, war bis anhin noch weitgehend unbekannt. Jetzt haben Physiologen der Universität Zürich entdeckt, warum sich das Darmbakterium Escherichia coli stark vermehrt und entzündungsfördernd wirkt.

Überproduktion von Kolibakterien

Im Normalzustand sind Kolibakterien harmlos und machen nur rund 0,1 Prozent der Darmflora aus. Wenn sie jedoch in grossen Mengen vorkommen, können sie Durchfall oder eine schwere Darmentzündung auslösen. 
Die Zürcher Studie zeigt, dass eine Überproduktion von Escherichia coli auf die Verfügbarkeit des Kohlenhydrats Sialinsäure zurückzuführen ist. Diese kommt in grossen Mengen in den Proteinen der Darmschleimhaut vor. Damit die Bakterien die Sialinsäure überhaupt verwerten können, sind sie auf die Mithilfe des Enzyms Sialidase angewiesen, das von anderen Darmbakterien freigesetzt wird. 
«Bemerkenswert ist, dass Escherichia coli selber keine solche Enzyme produziert», erklärt Thierry Hennet, Professor am Physiologischen Institut der Universität Zürich.

Forscher konnten Ereigniskette nachweisen

Hennet und seinen Kollegen ist es gelungen, die komplexe Ereigniskette einer schweren, durch Escherichia coli ausgelösten Entzündung nachzuweisen: Eine Verletzung der Darmschleimhaut führt zuerst zur starken Vermehrung eines nicht krankheitserregenden Bakteriums, das Sialidase abgibt. Diese verstärkte Enzymproduktion setzt Sialinsäure frei, die eine Überproduktion von Escherichia coli fördert und damit zu einer Darmentzündung führen kann.
Die Forscher fanden zudem heraus, dass durch die Einnahme eines Sialidase-Hemmers die übermässige Bildung vom Escherichia coli verhindert und somit die Krankheitssymptome gelindert werden konnten. 
Interessanterweise wurden solche Sialidase-Hemmer bereits gegen das Influenzavirus entwickelt entwickelt. «Derivate von bekannten Grippe-Wirkstoffen wie zum Beispiel Tamiflu und Relenza könnten somit ebenfalls bei entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden. Dies eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten», sagt Thierry Hennet.
Tamiflu ist das meistverkaufte Grippemittel der Welt. Sein Nutzen ist allerdings sehr umstritten. Möglich, dass es sich nun in einem neuen Anwendungsgebiet beweisen kann.

  • Mitteilung der Universität Zürich «Grippemittel helfen gegen Kolibakterien»

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Schweizer Hoffnung in der Krebsmedizin

Ein neues Medikament gegen das unheilbare Glioblastom schafft Hoffnung: bei manchen Patienten schrumpfte der Tumor um bis zu 90 Prozent.

image

Einseitige Impfung wirksamer? Studie wirft neues Licht auf Impfstrategien

Eine neue Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Mehrfachimpfungen im selben Arm bieten einen besseren Schutz.

image

Epilepsie: Neue Folsäure-Empfehlung für Schwangere soll Krebsrisiko senken

Die Schweizerische Epilepsie-Liga empfiehlt, die tägliche Folsäure-Dosis von bisher vier bis fünf auf ein bis drei Milligramm zu reduzieren.

image

Ehemaliger Zürcher Herzchirurg rechnet mit dem USZ ab

Das Zürcher Unispital wirbt mit Slapstick-Videos für neue Mitarbeitende. Der ehemaliger Whistleblower André Plass findet das gar nicht witzig.

image

Brustkrebs-Screening im Alter birgt Risiko von Überdiagnosen

Eine Studie der Yale Medical School zeigt: Bei Frauen ab 70 Jahren, die eine Mammographien erhielten, wurden häufiger gesundheitlich unbedenkliche Tumore diagnostiziert als bei Frauen, die nicht an der Früherkennung teilnahmen.

image

Aargau will Med- und Health-Tech auf neues Niveau heben

Mit einem Projekt setzen das Kantonsspital Baden, die Stadt Baden und der Kanton Aargau neue Impulse für Innovationen in Medizin und Gesundheitstechnologie.

Vom gleichen Autor

image

Pflege: Zu wenig Zeit für Patienten, zu viele Überstunden

Eine Umfrage des Pflegeberufsverbands SBK legt Schwachpunkte im Pflegealltag offen, die auch Risiken für die Patientensicherheit bergen.

image

Spital Frutigen: Personeller Aderlass in der Gynäkologie

Gleich zwei leitende Gynäkologen verlassen nach kurzer Zeit das Spital.

image

Spitalfinanzierung erhält gute Noten

Der Bundesrat zieht eine positive Bilanz der neuen Spitalfinanzierung. «Ein paar Schwachstellen» hat er dennoch ausgemacht.