Reformbaustellenlabyrinth in Bern – wo geht’s zum Ausgang?

Momentan herrscht in der Bundespolitik ein Chaos an widersprüchlichen Reformbestrebungen im Gesundheitswesen. Anstatt die Gesundheitsversorgung im Lichte der Erfahrungen der Pandemie zu stärken, drohen Staatsmedizin, Rationierung und Schwächung der Leistungserbringer.

, 28. Februar 2022 um 12:55
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In Bern ächzt sich die Politmaschinerie auf Hochtouren durch einen Irrgarten aus Reformvorhaben. Wer genauer hinschaut, stellt mit Schrecken fest: Anstelle der Stärkung des Qualitäts- und Leistungswettbewerbs drohen Plafonierungen, Zulassungsbegrenzungen und Ausweitung der bürokratischen Einflussnahmen der Gesundheitsbehörden – diese agieren dann wohl per Fax. Parteipolitische Spielchen – wie der Eiertanz um einen Gegenvorschlag zur untauglichen Mitte-Kostenbremse-Initiative – führen dazu, dass die staatsinterventionistischen Ideen aus dem Köcher des sozialistisch geführten Gesundheitsministeriums mehrheitsfähig werden. Aktuell drohen "Kostenziele» - Spitäler und Ärzte müssten neu nicht nur Preise verhandeln, sondern auch Mengen und Fallzahlen. Derweil geht den Leistungserbringern zunehmend der Schnauf aus: Die Hausarztmedizin liegt seit Jahren darnieder, und nur gerade 28 % der Akutspitäler wiesen für 2020 ein positives Jahresergebnis aus. Welche Reformen wären alternativ zu forcieren?

Das bestehende System konsequent Weiterentwickeln

Es braucht keine neuen «Zweihänder-Massnahmen» wie Kostenziele/Globalbudgets, Zulassungsteuerung und Beschränkung des Zusatzversicherungsgeschäfts, sondern eine korrekte Umsetzung und Anwendung bestehender Grundlagen und Regelungen. Richtig wäre der Rückzug der Gesundheitsbehörden auf hoheitliche Funktionen und im Gegenzug dazu die Anwendung von akzeptierten Branchenstandards. Dringlich ist der konsequente Wechsel von der Input-Steuerung zur Outcome-Steuerung.
Beispiele gefragt? Längst lägen die Rezepte vor, wie die WZW-Kriterien effektiv anzuwenden wären: Praktiker sollen entlang der Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften die Standards festlegen. Tarifverträge sollen diese Konkretisierungen abbilden. Ziel ist eine transparente, stabile und für alle Akteure verbindliche Praxis zur Anwendung der WZW-Kriterien. Die SIA Normen könnten als Beispiel dienen, wie eine Branche sich anerkannte, stabile und anwendbare Regeln gibt.
Solange die Tarife weder im ambulanten noch im stationären Bereich den tatsächlichen Kosten nachgezogen werden, ist es vermessen, wenn wenig qualifizierte Behörden versuchen, den funktionierenden privaten Zusatzversicherungsbereich zu torpedieren. Staatseingriffe in ein System, das auf einem freien Vertrag zwischen Prämienzahler, Versicherer und Leistungserbringer basiert, sind konsequent abzulehnen.
Der Rückzug der Politik aus der Festlegung der Tarife ist überfällig. Es braucht eine von der Politik unabhängige, fachlich qualifizierte Schlichtungs- und Entscheidungsinstanz bei gescheiterten Tarifverhandlungen. Entstehen vertragslose Zustände, sind Anreize und Sanktionen zu schaffen, um rasche Einigungen respektive zügige Entscheide der neuen Tarifinstanz zu erreichen.

Fehlentwicklungen ausmerzen – alte Zöpfe entsorgen

Sodann müssen längst erkannte Fehlanreize endlich konsequent beseitigt werden. Die einheitliche Abgeltung der ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) ist rasch zu realisieren. Das gleiche gilt für die Durchsetzung von Qualitätstransparenz und Qualitätswettbewerb. Es braucht Mindestvorgaben zur Indikations- und Ergebnisqualität, regelmässige Erhebung durch Dritte und Publikation der Ergebnisse. Dazu gehört auch die Einführung der Vertragsfreiheit: den Vertragszwang entsorgen wir auf den Müllhaufen der Geschichte.
Zu den Fehlanreizen gehört auch der Trend zur Überversorgung infolge der staatlichen Planung der Gesundheitsversorgung. Die Kompetenz der Kantone in diesem Bereich ist von der Maximal- auf die Mindestversorgung umzupolen. Das heisst, die Kompetenz der Kantone ist darauf zu beschränken, planerisch eingreifen zu können, wenn Unterversorgung droht. Es braucht künftig lediglich eine Kompetenz zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit bei Marktversagen.
Schliesslich sind die Bestrebungen zur Konzentration der HSM-Disziplinen objektiver auszugestalten. Die ursprüngliche Idee der Interkantonalen Vereinbarung Hochspezialisierte Medizin IVHSM, unbestritten hochkomplexe Behandlungen – wie etwa Transplantationen, schwere Verbrennungen und schwere Traumata – auf wenige Spitäler zu beschränken, wird mittlerweile definitiv unterlaufen. Es besteht ein Trend, immer weitere Gebiete an sich zu ziehen und eine weit über die ursprünglichen Zielsetzungen hinausreichende unnötige und ungute Zentralisierung an den Universitätsspitälern zu erwirken. Das ist weder unter dem Aspekt der Effizienz noch der Qualität zu rechtfertigen. Vielmehr drohen die hoch subventionierten Universitätsspitäler ökonomisch und betrieblich noch weniger führbar zu werden, als sie heute schon sind. Damit ist niemandem gedient. Die von den Unispitälern und Unikantonen dominierten HSM-Organe sind darum ausgewogener zusammenzustellen. Die Liste der von der prospektiv vom HSM-Prozess betroffenen Bereiche ist künftig vom GDK-Plenum zu beschliessen.
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