Das Hin und Her am Ende des Lebens

Die meisten Menschen werden in den letzten Lebensmonaten verlegt und hospitalisiert, fast jeder siebte Mensch erduldet sogar eine belastende Verlegung. Dies besagen neue Daten von Helsana. Fatal dabei: Heute können weniger Menschen in den eigenen vier Wänden sterben als vor einigen Jahren.

, 9. September 2016 um 16:00
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Wo möchten Sie sterben? Die meisten Menschen sagen: zuhause. Und es ist auch ein gesundheitspolitisches Ziel, lange Heim- und Spitalaufenthalte am Lebensende zu vermeiden und sie etwa mit Spitex- und mobilen Palliative-Care-Angeboten zu ersetzen.
So weit, so gewünscht. Neue Daten, jetzt veröffentlicht im Fachorgan «PLOS One», zeichnen allerdings eine andere Realität. Nämlich dass relativ weniger Schweizerinnen und Schweizer in den eigenen vier Wänden sterben, doch immer mehr im Heim. Allerdings: Die Quote der Sterbefälle im Spital ist in den letzten Jahren auch etwas gesunken.
Dabei zeichnet die erwähnte Studie das Bild einer regen – allzu regen? – Hin- und Her-Verlegung der kranken Menschen in den letzten Monaten ihres Lebens.
Worum geht es? Ein Team von Statistikern und Gesundheits-Wissenschaftlern der Helsana wertete die Daten von 11'300 Menschen aus, die in der Schweiz 2014 gestorben waren. Zwei Drittel davon wurden in den letzten sechs Lebensmonaten mindestens einmal verlegt; ebenfalls knapp zwei Drittel wurden mindestens einmal hospitalisiert. Im Schnitt lag die Zahl der Verlegungen im letzten Halbjahr bei drei.

Caroline Bähler, Andri Signorell, Oliver Reich: «Health Care Utilisation and Transitions Between Health Care Settings in the Last 6 Months of Life in Switzerland», in: PLOS One, September 2016.

Nun tönen die Zahlen ja plausibel: Dass ein Mensch in hohem Alter zum Beispiel wegen eines Sturzes notfallmässig hospitalisiert wird, dass er nach erfolgter Behandlung nochmals heimkehrt, dass dann der Wechsel ins Pflegeheim doch unausweichlich wird – dies mag ein häufiger Ablauf in den letzten Monaten sein.

Es ist gängig. Aber muss das sein?

Doch die von Caroline Bähler, Andri Signorell und Oliver Reich erarbeitete Analyse zeigt auch, dass dies keine Selbstverständlichkeit sein muss: Die Zahl der Verlegungen (und Hospitalisierungen) schwankt in der Schweiz regional. Sie war seltener in Gegenden mit einem dichteren Spitex-Angebot. Und sie war höher in Regionen mit einer vergleichsweise grossen Zahl an ärztlichen Grundversorgern.
Man kann sich also fragen, ob durch Anpassungen der Versorgungsstrukturen für chronisch Kranke und für sehr alte Menschen das Leben erleichtert werden könnte – und dies womöglich bei sinkenden Gesundheitskosten.

Eine Frage der Planung

Denn rund 13 Prozent der Menschen in der Schweiz erfahren in den letzten Lebensmonaten zum Beispiel mindestens eine belastende Verlegung, wie die Helsana-Wissenschaftler es definieren. Das heisst: Sie werden entweder mindestens dreimal innert dreier Monate verlegt – oder einmal in den letzten drei Tagen vor dem Tod.
Ein Verdacht drängt sich auf: «Advance care planning might prevent patients from numerous and particularly from burdensome transitions», wie die Autoren schreiben. Oder auf Deutsch: Bessere Planung könnte den Patienten wohl manch eine belastende Verlegung ersparen.

Die meisten besuchen mehrere Ärzte

Die Daten zeigen ferner, dass fast alle Schweizerinnen und Schweizer in den letzten sechs Lebensmonaten mindestens einmal einen Arzt aufsuchen (95 Prozent). Davon haben fast 90 Prozent Kontakt mit mehr als einem Arzt, und 51 Prozent besuchen in diesem Zeitraum mehr als einen Spezialisten. Die ärztliche Betreuung ist also durchaus intensiv und variantenreich, so lässt sich schliessen.
Aber eben: Dem wichtigen Wunsch, die letzten Wochen und Tage in den eigenen vier Wänden zu verbringen – diesem Wunsch sind wir in den letzten Jahren trotzdem nicht näher gekommen.

Wo man in der Schweiz stirbt

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Sterbeort von 11'300 Menschen in der Schweiz (2014), erfasst nach Alter und Geschlecht. Grafik | Quelle: Bähler/Signorell/Reich
Bild: VitelNet
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