Neue FMH-Standesregeln könnten Sterbehilfe erschweren

Die Sterbehilfe-Organisationen sind in Aufregung: Die Ärzteverbindung FMH will neue Richtlinien schaffen. Sie würden die bisher liberale Suizidhilfe erschweren.

, 11. Mai 2022 um 13:30
image
In acht Tagen könnte die FMH an ihrer Ärztekammer-Sitzung die Aufnahme von brisanzen Suizid-Richtlinien beschliessen. Die Schweizer Sterbehilfe-Organisationen sind empört: «In Hinterzimmer-Manier wurden mehrere Neuformulierungen beschlossen, welche von der FMH abgenickt werden sollen – ohne Einbezug der Schweizer Ärzteschaft durch eine sonst übliche Vernehmlassung und Mitsprachemöglichkeit», schreiben sie in einer Mitteilung.

Kein Gesetz, aber trotzdem verbindlich

Die geplanten Änderungen haben Vertreter der Ärzteorganisationen FMH gemeinsam mit der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ausgearbeitet. Die Richtlinien sind zwar kein Gesetz. Doch Ärztinnen und Ärzte müssen sich danach richten, wollen sie keine Sanktionen riskieren.
Die neuen Richtlinien könnten die bisher sehr liberale Praxis in der Schweiz tatsächlich einschränken. Das sind die fünf wichtigsten Punkte:

Zwei Wochen Verzögerung

  • Der Arzt muss mindestens zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen mit dem Patienten führen.
Eine solche Verzögerung sei für Patienten mit starken Schmerzen oder zunehmender Atemnot unzumutbar, kritisieren die Sterbehilfe-Organisationen.

Schwerwiegendes Leiden


  • Die Krankheitssymptome oder Funktionseinschränkungen müssen schwerwiegend sein.
Das Kriterium «schwerwiegend» verunsichere die Ärzte, finden die Gegner. Nur der Patient und nicht der Arzt könne entscheiden, ob etwa Inkontinenz oder der Verlust des Augenlichts für einen Patienten schwerwiegend sei.

Angehörige und Betreuungsteam einbeziehen

  • Es muss auf die Bedürfnisse der Angehörigen, des interprofessionellen Betreuungsteams und des Umfelds Rücksicht genommen werden.
Diese Forderung sei für einen Arzt praktisch nicht umsetzbar und würde die Suizidhilfe sehr oft verhindern, fürchten die Sterbehilfe-Organisationen.

Erwägung von Alternativen

  • Therapeutische Optionen und andere Hilfsangebote müssen gesucht, mit dem Patienten abgeklärt und angeboten werden.
Diese Forderung, so die Gegner, sorge für Verwirrung. Müssten Alternativen konkret angeboten und auf Erfolg ausprobiert werden, würde das oft zu lange dauern.

Verbot von Altersfreitod und Bilanzsuizid

  • Ethisch nicht vertretbar ist Suizidhilfe bei gesunden Personen.
Diese Vorgabe würde einen Altersfreitod oder einen Bilanzsuizid ausschliessen. Das möchten die Sterbehilfe-Organisationen verhindern.

Ist Verschärfung unnötig?

Die Sterbehilfeorganisationen finden, dass die strengen Richtlinien auch aus Ärztesicht unnötig seien: «Bereits heute besteht für Ärztinnen und Ärzte keinerlei Verpflichtung, bei der Suizidhilfe mitzuwirken», führen sie ins Feld.
Die neuen Regelungen würden aber jene Ärzte, die dies aus Überzeugung und in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen tun, massiv einschränken, fürchten sie. «Wer wagt es angesichts dieser Vorgaben noch, Rezepte für das Sterbemedikament auszustellen?», fragen sich die Organisationen.

Bisherige Richtlininen nicht in Standesordnung

Dass die FMH und die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften die Suizidhilfe jetzt zum Thema macht, hat einen Grund: Schon 2018 hat die Akademie Richtlinien erarbeitet. Sie wurden aber damals von der Ärzteorganisation FMH nicht genehmigt und somit auch nicht ins ärztliche Standesrecht überführt.
Offenbar sind nun aber auch zu den neuen Richtlinien die Meinungen innerhalb der FMH und der Akademie geteilt. Jedenfalls schreiben die Sterbehilfe-Organisationen in ihrer Mitteilung, dass ihnen der Änderungsentwurf von Personen zugespielt worden sei, die sich «vehement dagegen wehren.»

Würden die Ärzte verunsichert?

Diese Personen möchten verhindern, dass Ärztinnen und Ärzte, welche die Richtlinien konsultieren, bei der Suizidhilfe verunsichert und abgeschreckt würden. Sonst werde die ärztliche Unterstützung bei der Suizidhilfe erschwert oder gar verunmöglicht.
Genau das dürfte allerdings das Ziel der neuen Richtlinien sein. Ob dieses Ziel eine Mehrheit der FMH-Verantwortlichen anstrebt, wird sich an der Ärztekammer-Sitzung zeigen.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Das Ende des Numerus Clausus ist beschlossen

Trotz Widerstand von Bundesrat Guy Parmelin setzt das Parlament auf eine Alternative zum NC für angehende Schweizer Ärzte.

image

VSÄG: Schlagabtausch zwischen abgewählter Präsidentin und Kantonsarzt

Monique Lehky Hagen wurde als Präsidentin der Walliser Ärztegesellschaft abgewählt - und warf dem Kantonsarzt Eric Masserey Manipulation vor. Dieser kontert.

image

Spital Emmental: Neues Führungsteam für das chirurgische Departement

Ab Januar 2025 wird Matthias Schneider Chefarzt der Chirurgie, André Gehrz sein Stellvertreter in Burgdorf. Stephan Vorburger wechselt intern.

image

Allcare: Hausarztkette in Zürich ist konkurs

Ärztemangel, galoppierende Lohnforderungen, fehlendes Commitment: dies die Erklärungen für die Notlage.

image

Hohe Auszeichnung für Insel-Kinderarzt

Philipp Latzin wurde mit der Goldmedaille der «European Respiratory Society mid-career in paediatrics» für seine Lungenforschung ausgezeichnet.

image

Uri und Obwalden suchen einen neuen Kantonsarzt

Jürg Bollhalder tritt per Juni 2025 zurück.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.