Medikamente: Engpässe in der Schweiz befürchtet

In deutschen Apotheken sind Kinder-Schmerzmittel Mangelware. Auch in der Schweiz werden laut Enea Martinelli Wirkstoffe knapp. Und zwar nicht «nur» Paracetamol.

, 19. Juli 2022 um 05:09
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Deutschlands Apotheken kämpfen mit Engpässen. Mangelware sind hauptsächlich Kinder-Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol. Hauptgrund für die Engpässe ist die erhöhte Nachfrage wegen der aktuell starken Erkältungs- und Infektionswelle, die einen erhöhten Bedarf an Medikamenten in Deutschland mit sich bringt. Aber auch Lieferschwierigkeiten aus Asien bereiten dort grosse Sorgen. Medinside berichtete darüber. 
Ob der Schweiz ein ähnliches ähnliches Szenario droht, ist laut Enea Marinelli, Chefapotheker der Spitäler Frutigen, Meiringen, Interlaken (fmi), und Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbands Pharmasuisse, nicht vorauszusehen.  
«Wir wissen, dass verschiedene Wirkstoffe wie zum Beispiel Paracetamol knapp sind. Wir wissen aber auch, dass Alufolien für die Verblisterung der Tabletten knapp sind.» Sogar der Karton für die Verpackungen sei manchmal schwierig zu bekommen. «Welcher Hersteller jetzt aber von was genau betroffen ist, dass können wir Apotheker nicht voraussehen.» 
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Enea Marinelli, Chefapotheker der Spitäler Frutigen, Meiringen, Interlaken, und Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbands Pharmasuisse. | zvg
Doch auch wenn keine Prophezeiungen betreffend mögliche Szenarien in der Schweiz gemacht werden können, befürchtet die Branche weitere Engpässe bei Medikamenten. «Sie nehmen ja bereits zu», sagt Martinelli. 
Arzneimittelengpässe sind kein neues Phänomen; rückblickend beruhten sie auf den unterschiedlichsten Gründen (siehe Text weiter unten). Und auch die Abhängigkeit von China und Indien bereitet in der Schweiz schon länger Sorgen.

Nachfrage nach Medikamenten boomt

Neu ist, dass die Nachfrage nach Medikamenten hierzulande explodiert ist. So gaben Schweizer Versicherer von Mai 2021 bis April dieses Jahres 8,3 Milliarden Franken für Arzneimittel aus. Das ist eine Milliarde, oder 13 Prozent, mehr als in den zwölf Monaten davor. Einer der Gründe laut «NZZ» ist die Zunahme von mehr verschriebenen Medikamenten durch die Ärzte für den Atemtrakt.
Klar ist: Eine gesteigerte Nachfragen wirkt sich automatisch auf die Verfügbarkeit aus. «Insbesondere dann, wenn sie nicht voraussehbar ist. Diese Medikamente waren vor allem während der zweiten Corona-Welle knapp. Jetzt hat sich die Lage stabilisiert.»

Diese Medikamente sind knapp

Auf Engpässe bei Medikamenten reagieren viele Konsumenten mit Hamsterkäufen. Manche gehen sogar soweit, dass sie trotz Engpässen Medikamente für sich beanspruchen, die sich nicht zwingend benötigen.
 «Ein aktuelles Beispiel ist Ozempic. Das Medikament, das für Diabetiker gedacht ist, wird auch für Zwecke verschrieben, die im Life-Style Bereich liegen», erklärt Maritnelli. «Das ist insbesondere dann völlig unvernünftig, wenn Diabetiker nicht versorgt seien. Genau den Fall haben wir allerdings aktuell.»
Prekär wird es, stehen den Patienten keine Therapiealternativen mehr zur Verfügung. «So wie zum Beispiel jetzt bei den Medikamenten zur Behandlung des Schlaganfalls. Da sind wir äusserst knapp unterwegs», gibt Martinelli zu bedenken. Gehen diese Medikamente aus, würden Patienten schlimmsten Falls sterben.
Einen Grund zur Panik gibt es allerdings nicht: Schweizer Apotheken richten ihre Vorräte primär auf die Stammkundschaft aus. «Bei heiklen Therapien wird das Lager angepasst. Trotzdem ist es nicht möglich, dass sich die Apotheken auf jedes Szenario vorbereiten können», gibt Marinelli zu bedenken.  

«Es ist eine Illusion, dass wir unsere eigenen Medikamente produzieren»

Das Thema Engpässe bei Medikamenten ist nicht neu. Dieses gab es aus den unterschiedlichsten Gründen in der Vergangenheit immer wieder: 
Immer lauter werden die kritischen Stimmen hinsichtlich der Abhängigkeit von China und Indien. Tatsache ist, dass knapp 70 Prozent der Produktionsorte in China liegen und 80 Prozent der benötigten Stoffe aus Indien kommen. 
Enea Martinelli erachtet es als eine Illusion, dass die Schweiz als führender Pharma-Standort unter den gegebenen Wettbewerbsbedingungen in der Lage ist, eigene Medikamente zu produzieren; auch nicht solche, die in der Top-Ten der Verbraucher-Liste stehen. 
«Die meist verkauften Produkte sind nicht unbedingt die relevantesten für die Therapie.» Die Wichtigkeit der Produkte müsse bewertet werden. Die Menge an sich sei sowieso irrelevant. 
«Die Schweiz muss gemeinsam mit den europäischen Partnern Lösungen für die relevantesten Medikamente finden. Zudem muss darauf geachtet werden, dass bereits bestehende Probleme durch schweizerische Massnahmen nicht noch verschärft werden. Es ist zwar richtig, dass es sich um ein internationales Problem handelt, doch es gibt jedoch Vieles, das wir in der Schweiz tun können.»
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