Lohndeckel und Kostenbremsen - hilflose Symptombekämpfung

Wer Löhne deckelt oder Gesundheitsausgaben an die Lohnentwicklung koppeln will, leidet am Kostenröhrenblick, ignoriert die Qualität und schadet den Patienten, Prämien- und Steuerzahlern.

, 7. Mai 2021 um 06:00
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  • felix schneuwly
  • lohn
  • kvg
  • gastbeitrag
Immer wieder wird kritisiert, dass Ökonomen im Gesundheitswesen mehr bestimmen als Ärzte. Die Ökonomie ist die Lehre der Zuteilung von Ressourcen, also Geld für Personal und Infrastruktur. Da Ressourcen immer begrenzt sind, wäre es ethisch fragwürdig, die Zuteilung der Ressourcen auszublenden und zu ignorieren, wenn es um die Beantwortung dieser Fragen geht: Wer bekommt die notwendige Medizin? Wer bekommt sie nicht und warum nicht? Und wer bekommt allenfalls die falsche oder überflüssige Medizin? Wer den Kampf um Macht und Mittel, um möglichst hohe Löhne kritisiert, ohne die Qualität der erbrachten medizinischen Leistungen und den Nutzen dieser Leistungen für die einzelnen Patienten sowie für unsere gesamte Gesellschaft zu berücksichtigen, leidet am Kostenröhrenblick. Das ist in manchen Kantonen und vor allem in Bundesbern der Fall.
Das KVG garantiert faktisch unbegrenzte Versicherungsleistungen. Das gibt es in keinem anderen Versicherungsbereich. Unser Wohlstand, die Fortschritte in der Medizin, die steigende Lebenserwartung und Lebensqualität sind gleichzeitig Hauptursachen und Folgen der besseren medizinischen Versorgung und steigenden Gesundheitsausgaben. Wer eine Kostenbremse verlangt, sollte so ehrlich sein und auch eine Begrenzung der versicherten Leistungen verlangen.

WZW und transparente Qualität statt Lohn- und Kostendeckel

Bedeutend intelligenter als Lohn- und Kostendeckel wäre es, endlich dafür sorgen, dass die Krankenkassen nur noch wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Medizin (WZW) zu Lasten der Grundversicherung bezahlen. Zudem muss dafür gesorgt werden, dass die Qualität der medizinischen Leistungen transparent und für Laien verständlich wird, damit Patientinnen und Patienten ihren Arzt, ihr Spital oder andere medizinische Leistungserbringer nicht mit blindem Vertrauen wählen müssen. So verlangt es nämlich das KVG seit 1996.
Auf Indikationsqualität sollten auch die Tarifpartner setzen. Sie könnten das tun, indem sie festlegen, dass zum Beispiel 70 oder 80 Prozent der Untersuchungen und Behandlungen nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Richtlinien der jeweiligen Berufsgruppe durchgeführt werden. 20 bis 30 Prozent wären für medizinisch begründete Ausnahmen. Die Krankenkassen könnten Stichproben machen und würden so nach den Massstäben der medizinischen Fachpersonen prüfen.

Gute Anreize sind anspruchsvoller und besser als Lohn- und Kostendeckel

Lohndeckel sind gut gemeint, aber etwa gleich falsch wie die an das Lohnniveau gekoppelte Kostenbremse der CVP. Der Glaube, in komplexen Systemen ohne Überdruckventil den Deckel draufzusetzen, ohne sich Gedanken zu machen, was denn mit dem Überdruck passiert, ist naiv. Boni, die a) individuelle Leistungen statt Teamwork, b) nur quantitative und nicht auch qualitative Leistungselemente und c) nur kurzfristige Resultate belohnen, sind nicht nur im Gesundheits- und Bankenwesen Gift.
Weder Kostenbremsen, Lohndeckel noch Boni mit falschen Anreizen versprechen Besserung. Wer das System in die richtige Richtung entwickeln will, muss attraktive Rahmenbedingungen schaffen, insbesondere die Fachleute auf den unteren Hierarchiestufen anständig entschädigen und auf intrinsische Motivation setzen. Wer unbedingt auch noch mit Boni zusätzlich belohnen will, muss sich auf mit den Patienten vereinbarte und im Teamwork erreichte mittel- und langfristige Behandlungsziele ausrichten.
Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) müsste eigentlich jeden Arzt ausschliessen, der einen Arbeitsvertrag mit Boni für mehr Eingriffe statt für bessere Qualität, insbesondere Indikationsqualität unterschreibt. Inhaltlich ist auch der neue Schweizer Eid für Ärzte in Ordnung. Aber je umfangreicher so ein Eid ist, desto mehr Zweifel habe ich, denn es geht ganz einfach darum, die Patienten nicht nur in den Referaten und in der Werbung ins Zentrum zu setzen, ihnen zu nutzen und nicht zu schaden. Und wie überall sind auch in der Medizin Leute problematisch, die ihre Werte allzu kreativ dem Wert des Geldes anpassen.
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