Liebe Krankenkassen: Vielleicht wird es wirklich Zeit, sich mal Oscar anzuschauen

Digital und völlig simpel: Ein neues Krankenversicherungs-Prinzip will den Markt revolutionieren. In den USA läuft das Modell «Oscar» schon erfolgreich. In Europa geht es bald los.

, 22. Januar 2016 um 10:06
image
  • versicherer
  • trends
  • oscar
Wir haben das Modell ja hier schon einmal vorgestellt: Oscar ist ein Krankenversicherer, der alles zusammen sein will – günstig, digital, praktisch und obendrein gleich eine Reservierungs-Site für Arzttermine.
Nun kommen weitere Hinweise, dass hier – womöglich – das nächste Projekt anrollt, welches eine eingesessene Branche umkrempeln wird. In diesem Fall sind es die Krankenversicherer.
Hinweis eins: Eine Gruppe um den Medien-Unternehmer und –Investor Dieter von Holtzbrinck plant, das Oscar-Prinzip nach Deutschland zu bringen und hierhierhier eine derartige Krankenversicherung zu lancieren; die Firma soll nächstes Jahr in München ihre Tore öffnen (mehr dazu hier, hier und hier). 
Die neue Digital-Kasse soll zuerst eine Kranken-Vollversicherung und eine Pflegeversicherung im Angebot haben – also nicht unbedingt Zusatz- und Spezialversicherungen.
image
Hinweis zwei: In den USA hat Oscar soeben neues Kapital beschafft, 150 Millionen Dollar. Rechnet man die Anteile aufs Gesamtunternehmen hoch, so ist Oscar jetzt ungefähr 3 Milliarden Dollar wert. Das ist etwa doppelt soviel wie die Vaudoise-Versicherungen, gegründet 1895. Im September hatte die Bewertung noch bei 1,75 Milliarden gelegen. 
Zu den neuen Investoren gehört das bekannte Fondshaus Fidelity, und bereits zuvor waren mit Google, Goldman Sachs oder dem Paypal- und Facebook-Milliardär Peter Thiel respektable Namen bei Oscar eingestiegen (mehr dazu hierhierhier, hier und hier).
Kurz: Es gibt eine Menge Experten, die eine Menge Geld darauf setzen, dass hier das Krankenversicherungs-Geschäft revolutioniert werden.
Aber mit welchem Modell? Und was können die hiesigen Versicherer daraus lernen?
In den Details hat Oscar eigentlich gar nicht viel Neues zu bieten. Doch im Mix zeigt sich dann ein neuer Anspruch.
Einige Spezialitäten sind:

  • Oscar-Versicherte können jederzeit mit einem Arzt telefonieren – und zwar gratis; die Versicherung verspricht, dass die Wartezeit unter 10 Minuten liegt.
  • Die einfache Bedienung und die Nutzerfreundlichkeit der Website wird als Kernkompetenz betrachtet. Das erste Kästchen, das die Besucher vorne prominent begrüsst, lautet: «Get Your Quote» – errechne Deine Prämien. Von dort kann man sich durch alle Ansprüche durchklicken und innert Minuten eine Offerte bestellen.
  • Schon in der Darstellung grenzt man sich ab von den «highly complicated health insurance plans», die sonst im Kassenbereich üblich sind.
  • Oscar ist zugleich eine Ärztebuchungs-Plattform. Für die Kunden dient die Site als direkte Kontaktstelle zu Ärzten, Therapeuten, Apothekern oder anderen Gesundheits-Versorgern. 
  • Zudem findet man findet dort auch eine Gesundheits-Suchmaschine.
  • Ferner hat man, ähnlich wie bei Facebook, seine eigene Timeline – hier einfach mit Gesundheits-Informationen (beziehungsweise Verknüpfungen zu Gesundheits-Partnern).

Kurz: Die Oscar-Plattform will sich zu einer alltäglichen Anlaufstelle entwickeln – die Versicherung ist nur ein kleiner Teil davon. Tatsächlich sollen rund 5 Prozent der Kunden die Website einmal pro Tag benutzen.

  • Ein Detail zur allgemeinen Kostenersparnis: Rezeptpflichtige Generika werden von Oscar gedeckt – aber wenn sie teurere Originalmedikamente wählen, bezahlen die Kunden einen Anteil selber.
  • Zugleich stellt Oscar einen Fitness-Tracker zur Verfügung. Wer ihn einsetzt und gewisse vereinbarte Fitnessziele erreicht, bekommt eine Belohnung – zum Beispiel einen Dollar Prämienermässigung pro Tag.
  • Zum geplanten Modell gehört auch, dass Oscar dereinst seine Prämien individuell anpassen will – und zwar nach den gesundheitlichen Werten, die jemand erreicht. Ein Beispiel wäre das Diabetes-Management: Gelingt es einem Patienten, seine Werte zu verbessern, so erhält er einen Rabatt.

Bei diesem Punkt dürfte es hierzulande wohl zu heftigen Diskussionen kommen – schliesslich wird dabei nicht nur die Überwachung intensiver, sondern im Hintergrund scheint auch der Trend zur Zweiklassen-Medizin auf.

  • Ein wichtiger strategischer Aspekt: Die Krankenkasse soll auch ein Hebel sein, um neue Technologien in den Gesundheitsmarkt zu drücken. Mario Schlosser, einer der Gründer von Oscar, schilderte im «Wall Street Journal» ein Beispiel: Bekanntlich plant Google mit Novartis eine Kontaktlinse, die bei Diabetikern zugleich den Blutzuckerspiegel überwacht. Um dieses Produkt unter die Patienten zu bringen, wäre eine Versicherung wie Oscar eine geeignete Plattform.

Im Schnitt bezahlt ein Oscar-Kunde rund 5'000 Dollar an Prämien pro Jahr – es ist für US-Verhältnisse also eher ein höherpreisiges Angebot.
Oscar ist bislang erst im Raum New York, in New Jersey, Texas und Kalifornien tätig; im September hatte es etwa 40'000 Kunden; nun, im Januar 2016, liegt die Zahl bei 125'000.

Oscar-Mitgründer Mario Schlosser erklärt das Prinzip des Unternehmens – und die Pläne, damit das Gesundheitswesen umzukrempeln

«Health Insurance For How You Live Today» – Werbefilm von Oscar:

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Stellenabbau bei Sympany

Der Basler Krankenversicherer Sympany muss sparen und streicht deshalb 74 Stellen.

image

Nestlé drängt in den Gesundheitsmarkt

Kollagen im Kaffee: Nestlé plant «Gesundheitsbooster» für Lebensmittel.

image

City Notfall hat 1,4 Millionen Franken zu viel abgerechnet

Der City Notfall Bern muss 25 Krankenkassen über eine Million Franken zurückzahlen. Der Grund: Er berechnete den Krankenkassen fälschlicherweise eine Pauschale für ihre langen Praxiszeiten.

image

Ricola will französische Apotheken erobern

Mit «Ricola Reconfort» lanciert Ricola in Frankreich eine Apothekenmarke. Der Baselbieter Hersteller will damit den Markt für Halsbonbons ausweiten.

image

Gibt es bald Therapiebänkli in Zürich?

Wer sich auf ein öffentliches Therapie-Bänkli setzt, soll in Zürich bald therapeutische Hilfe bekommen. Die Idee stammt aus Zimbabwe.

image

Versicherer fordern weniger Datenschutz

Den Versicherern sind bei der Nutzung ihrer Patientendaten bislang die Hände gebunden. Dies soll ein neuer Gesetzesvorschlag nun ändern.

Vom gleichen Autor

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.