«Langeweile wäre für mich etwas vom Schlimmsten»

Jürg Hodler steht kurz vor seiner Pensionierung. Der langjährige Ärztliche Direktor des Universitätsspitals Zürich (USZ) blickt im grossen Interview auf seine Karriere zurück und verrät seine neuen Pläne.

, 18. Juli 2022 um 11:16
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Herr Hodler, Sie sind seit elf Jahren als Ärztlicher Direktor am Universitätsspital Zürich (USZ) tätig, wo Sie auch seit zwölf Jahren das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie leiten. Nun haben Sie das ordentliche Rentenalter erreicht: Ende Juli werden Sie pensioniert – wie fühlen Sie sich?

Das Datum meiner Pensionierung beziehungsweise meiner Emeritierung habe ich ja im Voraus gewusst. Ich konnte mich also voll darauf einstellen. Daher ist es für mich keine Überraschung, sondern völlig normal.

Vor diesem Gespräch schrieben Sie in einer E-Mail, dass Sie zurzeit noch «eine sehr volle Agenda» hätten.

Ja, dem ist so. Ich übergebe, wie Sie bereits erwähnt haben, zwei Positionen. Insbesondere als Ärztlicher Direktor hat man ein breites Portfolio. Mein Nachfolger wiederum muss seine Klinik übergeben. Daher haben wir beide aktuell recht viel zu tun.

Welche Emotion – Freude oder Wehmut – überwiegt im Hinblick auf Ihre Pensionierung?

Wie gesagt, dass ich demnächst pensioniert werde, ist für mich völlig in Ordnung. Übrigens habe ich kürzlich mit Politikern diskutiert. Drei Legislaturperioden, also dreimal vier Jahre, empfinden viele als stimmig. Als Ärztlicher Direktor habe ich mein Amt fast gleich lang ausgeübt. Ist man pensioniert, kann es vielleicht schon schön sein, wenn die Dauerbelastung wegfällt. Handkehrum wird man im Ruhestand bestimmt das eine oder andere vermissen, wenn man mit vollem Herzblut dabei war – und das war ich immer am USZ und auch an der Universität Zürich. Um zurück zu Ihrer Frage zu kommen: Ich würde sagen, aktuell ist das Verhältnis zwischen Freude und Wehmut ausgewogen.

Was werden Sie am meisten vermissen?

Das mag Sie jetzt vielleicht überraschen: das Debattieren. Sowohl am USZ als auch an der Universität Zürich wird über alles debattiert, zuweilen bis zum Gehtnichtmehr. Manchmal sollte man vielleicht schneller zu einem Schluss kommen. Andererseits lässt das intensive Debattieren nicht zu, dass man einschläft und Fehlmeinungen über eine längere Zeit vertritt. Es gibt immer wieder Krisen – Stichwort Corona –, doch wenn man eben debattiert, vorausdenkt und verschiedene Möglichkeiten durchdenkt, dann ist man besser vorbereitet.

Und mit Ihrer Familie und Ihren Freunden debattieren Sie auch so gerne?

Nein, eigentlich nicht. Ich muss nicht die ganze Zeit über debattieren, setze das also nicht auch noch im Privaten fort (lacht).

Auf Facebook sieht man Sie auf einem Foto beim Kuchenessen. Haben Sie künftig wieder mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben?

Ich werde sicher mehr Zeit haben, die ich bis anhin so nicht hatte, für verschiedene Dinge. Dazu zählen auch gutes Essen, Reisen etc. Auch für anderes werde ich mehr Zeit haben: Ich habe verschiedene Nebenbeschäftigungen und -mandate, nun werden noch ein paar Aufgaben hinzukommen. Und in gewisse Tätigkeiten, denen ich vorher schon nachgegangen bin, werde ich noch mehr Zeit investieren.

Haben Sie denn schon konkrete Pläne?

Ich bin Verwaltungsrat zweier Regionalspitäler [Spital Lachen AG sowie Spital Männedorf und MRI Zentrum Männedorf AG, Anm. d. Red.]. Diesbezüglich werde ich sicher noch mehr Zeit in Vorbereitungen und Überlegungen investieren. Ich mache diese Aufgaben sehr gerne. Ausserdem bin ich President-elect der International Skeletal Societey – im Oktober werde ich voraussichtlich für zwei Jahre zum Präsidenten gewählt. President-elect bin ich ebenfalls von einem kleinen, aber feinen Serviceclub, dem Rotary Club Zürich au Lac, dessen Präsident ich ab Sommer 2023 für ein Jahr lang sein werde. Zudem werde ich in einigen Beiräten tätig sein und als Auditor im Bereich der ärztlichen Weiterbildung wirken. Und dann wäre da noch meine neue politische Ader…

…Sie kandidierten im März dieses Jahres für den Gemeinderat Hedingen (ZH), und zwar für die FDP.

Ich war schon immer politisch sehr interessiert – das habe ich von meinem Vater geerbt. Als meine Pensionierung näherrückte, liess ich mich als Kandidat für die Erneuerungswahlen in meiner Heimatgemeinde aufstellen. Ich wurde nicht gewählt – es war ein recht harter Konkurrenzkampf. Ich werde aber auf jeden Fall weiterhin kleine Aufgaben in der Partei übernehmen, und wenn sich etwas anbietet, etwa eine Kommissionstätigkeit, würde ich das sicher machen.

In den sozialen Medien folgen Sie mehreren Politikern, unter anderem Petra Gössi (FDP), Mattea Meyer (SP) und René Truninger (SVP). Wie wichtig ist Ihnen Ausgewogenheit bei politischen Themen?

Meine politische Meinung orientiert sich sehr häufig an den Werten, welche die FDP vertritt. Ich scheue mich aber nicht, mit jedem – egal welche politische Couleur er oder sie hat – zu debattieren. Da zeigt sich wieder mein Debattiercharakter. Oft lernt man etwas dabei, wenn man sich mit einem ganz anderen Standpunkt auseinandersetzt. Das heisst nicht, dass ich mein Stimmverhalten ständig ändern würde, aber für Debatten bin ich durchaus offen.

Was werden Sie im neuen Lebensabschnitt für Ihr Gemüt tun?

Die Covid-19-Pandemie hat meiner Frau und mir den Anstoss gegeben, mehr zu wandern. Wir werden daher regelmässig wandern gehen, und lesen werde ich auch wieder mehr. Museen besuche ich ebenfalls gerne, es gibt ja auf der ganzen Welt sehr schöne und interessante. Zudem habe ich mir vorgenommen, Japanisch zu lernen. Das ist sicher kein leichtes Unterfangen (lacht). Aber wenn ich genug Zeit habe, werde ich das sicher machen. So habe ich einen Plan B, für den Fall, wenn die anderen Vorhaben nicht funktionieren würden.

Dann haben Sie ja noch so einiges vor.

Ja, langweilig wird es mir bestimmt nicht. Das wäre für mich etwas vom Schlimmsten.

Ihren ersten Arbeitstag am USZ als Ärztlicher Direktor hatten Sie am 1. Juli 2011. Wie war dieser Tag rückblickend für Sie?

Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht mehr so genau an diesen Tag erinnern. Das hat seinen Grund: Ich bin bereits ab Januar 2011 in das neue Amt eingeführt worden. Es war abgemacht gewesen, dass ich an der Spitaldirektionssitzung teilnehmen würde, wann immer es geht, und dass ich neue Projekte übernehme, während mein Vorgänger die alten abschliesst. Mir ist daher vielmehr der 2. Februar 2011 in Erinnerung geblieben. An jenem Tag war ich zum ersten Mal an einer Spitaldirektionssitzung dabei. Einzelne Personen des Gremiums hatte ich schon vorher gekannt, aber das Gesamtgremium hatte ich so zuvor noch nie gesehen.

Kurz vor Ihrem damaligen Stellenantritt sagten Sie gegenüber der NZZ: «Ich bin Manager mit starkem ärztlichem Hintergrund. Zu 20 Prozent bin ich ja immer noch in der Radiologie tätig.» Hat sich das über die Jahre geändert?

Nein, das ist so geblieben. Für den Spitalrat, die Spitaldirektion und mich war von Anfang an klar, dass ich primär Teil der Spitaldirektion bin, und dies eben mit einem ärztlichen Hintergrund. Für mich wäre es nie in Frage gekommen, dass ich als Vertreter der Ärzte einfach deren Meinung repräsentiere. Denn in einem Gremium müssen die Mitglieder zusammen Entscheide fällen, und das habe ich so durchgezogen.

Welche Fähigkeiten braucht man als Ärztlicher Direktor?

Wichtig ist, dass man sehr viel weiss. Man muss sich nicht nur mit dem Kerngeschäft auskennen, sondern muss eine Grundidee haben von vielen Dingen, zum Beispiel was in der Niederspannungs-Installationsverordnung, den Gesetzen und Verordnungen zur Erdbebensicherheit bis hin zu den Vorschriften der Feuerpolizei steht. Das heisst, man muss viel über verschiedene Themen lesen und informiert sein. Meiner Meinung nach sollte ein Ärztlicher Direktor auch konsistent sein und Durchhaltewillen haben.

Ihrem Nachfolger, Malcolm Kohler, werden mehr Zuständigkeiten zuteil. Kohler wird künftig zusammen mit den drei Ärztlichen Co-Direktoren die Medizinstrategie gestalten und das medizinische Angebot steuern. Welche Erwartungen haben Sie an Ihren Nachfolger?

Ein Ärztlicher Direktor ist ein bisschen in der Position eines Fussballtrainers: Sehr viele Personen denken, dass sie selber alles viel besser wüssten und viel gescheiter entschieden hätten. Davon habe ich persönlich langsam ein bisschen genug. Meine Schlussfolgerung lautet deshalb: Ich rede meinem Nachfolger ganz bestimmt nicht rein.

Sind Sie mit Ihrer Leistung am USZ zufrieden?

Das, was ein Ärztlicher Direktor tut, hat häufig langfristigen Charakter. Darum sollte man diese Frage eigentlich erst etwa in drei Jahren beantworten, und ich würde meinen, das müssten dann andere beurteilen. Dass ich mich jederzeit voll eingesetzt habe, immer loyal zum Betrieb gewesen bin und mich im Spiegel jeden Morgen und Abend anschauen konnte, das würde ich allerdings in Anspruch nehmen.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Es freut mich ungemein, dass ich vom Spitalrat des USZ so lange als Ärztlicher Direktor gewählt wurde. Ich möchte noch anbringen, dass die ärztliche Direktion nie alleine für ein Projekt zuständig war, es waren immer Fachexperten oder andere Direktionen involviert. Ein Thema, bei dem wir viel erreicht haben, ist die ärztliche Weiterbildung und die Laufbahnplanung. Beispielsweise hat das USZ zusammen mit der Universität Zürich ein Certificate of Advanced Studies in Medical Leadership aufgebaut. Diese Ausbildung stösst auf grosses Interesse.

Erzählen Sie von einem gelungenen Projekt, an dem Sie beteiligt waren.

Ein erfolgreiches Grossprojekt des USZ ist das ambulante Gesundheitszentrum, welches sich im Circle am Flughafen Zürich befindet. Die ärztliche Direktion war daran massgeblich beteiligt. Wir vernetzten uns etwa mit der Politik, da es uns ein Anliegen war, dass die Gemeinden nicht das Gefühl bekamen, sie hätten das Nachsehen, und standen regelmässig mit der Bezirksärztegesellschaft sowie den umliegenden Spitälern in Kontakt. Der ganze Prozess bis zur Inbetriebnahme war mit viel Aufwand verbunden.

Werfen wir einen Blick zurück auf die vergangenen zwei Pandemiejahre. Sie leiteten die Covid-19-Taskforce am USZ – was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

In der Covid-19-Pandemie konnte das USZ auf zwei Gremien zurückgreifen: das Leitungsgremium für Führung in ausserordentlichen Lagen (FaoL) sowie die Kommission für gefährliche und hochinfektiöse Krankheiten, die 2014 im Zusammenhang mit der Ebolavirus-Epidemie gegründet wurde. Wir sind stolz darauf, wenn ich das mal so sagen darf, wie wir uns auf die Covid-19-Pandemie vorbereitet haben. Bereits am 28. Januar 2020 fand am USZ die erste Taskforce-Sitzung statt. Wir machten uns vergleichsweise sehr früh Gedanken zu einer möglichen Materialknappheit. So bestellten wir etwa FFP2-Masken und Glas-Schutzbrillen zu einem frühen Zeitpunkt, wo diese eben noch verfügbar waren.

Und was hätten die Führungsgremien respektive -instanzen des USZ während der Pandemie besser machen können?

Jede Welle bringt neue Überraschungen – jede zu einem falschen Zeitpunkt und mit einem anderen Patientengut. Die erste Welle kam viel früher und die zweite fiel heftiger aus, als angenommen wurde. Im Nachhinein zu sagen, was man hätte besser machen können, ist nicht einfach. Ein kritischer Punkt, den ich nennen kann, betrifft die Klarheit gegenüber den unterstellten Führungspersonen. Diese stellten im Rahmen der Aufarbeitung fest, dass sie sich fast andauernd hätten anpassen müssen. Sie hätten etwa zu häufig Regelungen anpassen und entsprechende Schulungen durchführen müssen. Das war ganz klar nie unsere Absicht gewesen. Wir versuchten, möglichst einfache Regelungen zu treffen und diese nicht häufig zu ändern. Auch versuchten wir, nicht auf jede Kleinigkeit zu reagieren, weil dann die einen eben nur noch am Rennen gewesen wären. Trotzdem ist dies bei den Betroffenen offensichtlich nicht immer so angekommen. Solche Situationen müssen ernst genommen werden.

Bevor Sie ans USZ kamen, waren Sie unter anderem Leiter der Radiologie an der Uniklinik Balgrist – was sind die wichtigsten Meilensteine in Ihrer Karriere?

Ich war immer zufrieden an den Arbeitsorten, wo ich gerade war und konnte mich gut entfalten. Während meiner Zeit an der Uniklinik Balgrist – das waren immerhin 18 Jahre, von 1992 bis 2010 – erlebte ich, welch eine Entwicklung die Klinik machte. In der Radiologie entwickelte sich das kleine Röntgeninstitut bis zum wesentlichen Anbieter von radiologischen Dienstleistungen, zum Beispiel in der Magnetresonanz. Was mich sehr gefreut hat, war die Berufung auf den Lehrstuhl Radiologie an der Universität Zürich im Jahr 2010. Für jemanden wie mich mit akademischem Interesse ist das natürlich absolut top. 2011 wurde ich auch noch zum Ärztlichen Direktor des USZ ernannt – das ist schon sehr ehrenhaft, wenn man für dieses Amt, das kein einfaches ist, gewählt wird. Ein äusserst wichtiger Meilenstein in meiner Laufbahn war zudem mein Research Fellowship, welches ich von 1990 bis 1991 an der University of San Diego absolvierte.

Wie war das damals für Sie, als Berner in der achtgrössten Stadt der USA zu leben?

Die Schweiz ist bekanntlich ein kleines Land. Ich bin der Überzeugung – mein hiesiger Mentor und Vorgesetzter war das damals übrigens auch –, dass man für eine akademische Karriere für eine gewisse Zeit im Ausland gewesen sein muss. Ich war eineinhalb Jahre in San Diego. Meine Frau und unsere zwei Töchter – die Kleine war erst vier Monate alt – waren auch dabei. Ich konnte viel profitieren von dieser Zeit. So eignete ich mir etwa viel Fachwissen an. Ich lernte auch, mich in einem fremden Land mit einer anderen Kultur und einer anderen Sprache im Alltag durchzuschlagen und schliesslich auch durchzusetzen. Meine Frau hatte zwar anfangs etwas Bedenken, aber schon während unseres Aufenthalts hat sie lustigerweise San Diego als zweite Heimat auserkoren. Wir werden demnächst mit unseren mittlerweile erwachsenen Töchtern wieder nach San Diego reisen. Meine Frau hat sich das auf ihren 60. Geburtstag gewünscht.

Hatten Sie während Ihrer Zeit in San Diego auch inspirierende Begegnungen?

Ja, es sind sogar langfristige Freundschaften und Bekanntschaften entstanden. San Diego ist fachmässig ein Spitzenort. Ich habe dort sowohl die Basis für meine spätere Habilitation in Zürich als auch für mein wissenschaftliches Netzwerk gelegt. Viele Menschen, die in meinem Radiologie-Umfeld eine wichtige Rolle spielen, sind ebenfalls in San Diego gewesen, etwa der Radiologie-Chef der New York University und viele andere mehr.

Was haben Sie von der amerikanischen Kultur – oder generell während Ihres Auslandaufenthalts – gelernt?

Ich würde sagen, die meisten Vorurteile über Amerikaner stimmen so wenig wie die über Schweizer. Ich denke, dass ich viele Fortschritte im wissenschaftlichen Englisch machen konnte. Zudem lernte ich eine andere wissenschaftliche Methode kennen, namentlich zur Überprüfung von Magnetresonanz-Befunden an Gelenken. Überdies machte ich eine interessante Feststellung: San Diego orientiert sich vielmehr an den Küstengebieten im Pazifischen Ozean als jenseits des Atlantischen Ozeans. Das heisst, die Stadt ist vielmehr auf den Pacific rim als eurozentrisch ausgerichtet. Ich bin und bleibe Europäer sowie Schweizer, fand es aber interessant, mir einmal ein paar Gedanken darüber zu machen, dass man den Weltmittelpunkt vielleicht an einem anderen Ort als in Europa setzen könnte.

Tiefpunkte gehören zum Leben dazu – welche waren es bei Ihnen?

Über Tiefpunkte im Privaten möchte ich in diesem Interview nicht reden, über jene im Beruflichen kann ich Folgendes sagen: Die Missstände, die wir am USZ mit der Gynäkologie, der Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie mit der Herzchirurgie hatten, waren negative Erfahrungen. Dass vieles nicht gut lief, ist eine Tatsache. Mir sind aber die Details bekannt, daher weiss ich auch, dass nicht alles ganz so gewesen war, wie es die Presse dargestellt hatte. Das Ganze hatte vor allem auch negative Auswirkungen auf die Mitarbeiter des USZ, die grundsätzlich zu ihrem Betrieb stehen und loyal sind. Es war ein bisschen wie ein Teufelskreis; wir sind da so schnell nicht mehr herausgekommen.

Haben Sie sich jemals gewünscht, einen anderen beruflichen Weg gegangen zu sein?

Nein. Ich färbe jetzt nicht schön, das ist effektiv so. Ich war immer zufrieden mit meinen Tätigkeiten und den Positionen, die ich hatte.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Welche Person steckt hinter dem Ärztlichen Direktor?

Das ist eine schwierige Frage. Vor ein paar Tagen hielt ich im Rahmen des für mich organisierten Abschiedssymposiums am USZ einen kurzen Vortrag. Darin erzählte ich von den Menschen, die mich besonders geprägt haben. Um Ihre Frage zu beantworten, hilft es vielleicht, wenn ich diese Personen mit Vorbildfunktion etwas beschreibe. Der Erste, der mich geprägt hat, war mein Vater. Er war Oberstufenlehrer und unterrichtete Sprachen, Geschichte und Geographie. Ihm war es extrem wichtig, dass man die Menschen nach dem beurteilt, was sie leisten. Ob Professorentitel, viel Geld oder grosser Mercedes: Das interessierte ihn nicht. Wenn wir, also die ganze Familie, jeweils wandern gingen, fing er bei fast jedem Bauernhof ein Gespräch an. Auch ich interessiere mich sehr dafür, was andere Menschen und besonders die Mitarbeiter des USZ im Alltag machen. Geprägt hat mich auch die Armee – das darf man zwar heute fast nicht mehr sagen. Im Militär lernte ich, was Verantwortung übernehmen heisst. Schon als 23-jähriger Leutnant war ich als Chef für dreissig, vierzig Personen und zehn Fahrzeuge verantwortlich. Als Zugführer, Hauptmann sowie Major – Truppenarzt war ich nie – hatte ich immer Direktunterstellte.

Und wer hat Sie im medizinischen Bereich am meisten geprägt?

Mein Chef während meiner Assistenzzeit, Professor Walter A. Fuchs. Er hat praktisch alle Chefarztpositionen in der Deutschschweiz sowie in Genf mit Studenten aus seiner Schule besetzen können – ein grosser Erfolg, das hat vorher und nachher, so viel ich weiss, niemand anderes geschafft. Gleichzeitig war er sehr direkt, um nicht zu sagen grob. Er hatte mich aber sehr gefördert. Das hat Spuren hinterlassen: Mir ist es ein grosses Anliegen, junge Menschen zu fördern. Eindruck hinterlassen hat bei mir auch der ehemalige Ärztliche Direktor der Uniklinik Balgrist. Professor Christian Gerber war zwar ein strenger Chef, von ihm habe ich aber gelernt: Wenn man ein Problem hat, verschwindet es nicht von selbst, man muss es selber lösen. Kann man ein Problem einmal nicht lösen, muss man das eingestehen. Auch mein damaliger Chef in San Diego, Professor Donald Resnick, hat mich geprägt. Er war äusserst höflich und gleichzeitig sehr kompetitiv. Er hat mir ein bisschen südkalifornische Lockerheit beigebracht – ich bin ja ein relativ strenger Schweizer (lacht).

Welches Talent besitzen Sie, von dem die Wenigsten wissen?

Heute Morgen, als ich mich in der S-Bahn auf die Fragen vorbereitet habe, ist mir dazu nichts in den Sinn gekommen. Ich würde sagen: What you see is what you get. (überlegt) Jetzt ist mir doch noch etwas eingefallen: vielleicht das Schreiben. 1976, als ich ins Gymnasium Kirchenfeld in Bern ging, erhielt ich einen Preis für den besten Maturaaufsatz. Später habe ich verschiedene wissenschaftliche Arbeiten geschrieben; ich war Autor und Co-Autor von mehreren 100 wissenschaftlichen Arbeiten und Buchkapiteln. Ich denke, das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht schreiben könnte. Dieses ‚Talent‘ würde ich mir deshalb noch zuschreiben. Und übrigens: Im Zusammenhang mit meiner kurzen und nicht sehr erfolgreichen politischen Karriere, habe ich angefangen, Leserbriefe zu schreiben (lacht).

Zur Person

Jürg Hodler, geboren 1957, studierte von 1976 bis 1982 Medizin an der Universität Bern. 1987 erwarb er den Facharzttitel für Radiologie. Danach arbeitete er als Oberarzt Radiologie am Universitätsspital Zürich (USZ). Später war er an der Uniklinik Balgrist tätig – zuletzt als stellvertretender Ärztlicher Direktor.
Seit 2010 leitet Hodler am USZ das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie; seit 2011 ist er Ärztlicher Direktor des USZ.
Hodler ist ordentlicher Professor für Radiologie an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich und verfügt über einen «Executive Master of Business Administration». Er hat verschiedene Mandate inne, unter anderem ist er Verwaltungsrat der Spital Lachen AG sowie der Spital Männedorf AG.
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