«Es gibt keinen Grund, Patienten warten zu lassen»

Ein US-Universitätsspital reorganisierte die Notfallstation drastisch – und Personal wie Patienten sind zufrieden. Der Departementsleiter hat aus den Erfahrungen sechs Führungsgrundsätze abgeleitet.

, 21. Dezember 2015 um 05:00
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Notfallabteilungen sind nicht selten überfüllte Einfallstore zu den Spitälern, benützt von kranken oder verletzten Menschen, die gerade keinen anderen Arzt zur Verfügung haben. 
So war es auch am Emergency Department des Universitätsspitals Colorado. Die Leitung stand vor dem Entscheid, die kleine, überfüllte und unpraktische Station zu vergrössern. Doch anstatt daraus eine grosse, überfüllte und unpraktische Station zu machen, wählte man einen fortschrittlicheren Ansatz.   

Patient steht im Zentrum, nicht der Versorger

Richard Zane, Leiter des Departments of Emergency Medicine, University of Colorado School of Medicine and Hospital, installierte ein integriertes Führungsteam, das neue Standards in der Notfallbehandlung setzte. Dies, indem es sich an den Bedürfnissen der Patienten orientierte – und nicht an denen der Institution. 
Handlungsbedarf gab es durchaus: Die Wartezeiten waren lang, viele Patienten verliessen die Notfallstation unbehandelt, Personal und Patienten waren unzufrieden, Gesundheitsbehörden alarmiert. 
Seither wurde die Behandlungsdauer um 40 Prozent verringert, die Patienten warten in Durchschnitt weniger als acht Minuten, bis sie einen Dienstarzt sehen. Kein Patient verlässt mehr die Station, ohne untersucht worden zu sein. Die Behandlungskosten pro Patient sind um knapp einen Fünftel gesunken.

Zu viel qualifiziertes Personal

Zunächst setzte Zane ein achtköpfiges Leadership-Team aus erfahrenen Fachkräften ein, von denen jedes Mitglied wiederum ein acht- bis zehnköpfiges interdisziplinäres Komitee um sich hatte. Um Ideen auszutauschen und Doppelspurigkeiten zu vermeiden, rotierten die Mitglieder der Komitees untereinander. 
So wurden eine gewisse Zeit lang Abläufe, Behandlungen und Leistungen detailliert gemessen und ausgewertet. Es zeigte sich zum Beispiel, dass Mitarbeitende, die hohe Kosten verursachen – wie Pflegefachleute oder Ärzte –viel mehr Zeit mit Aufgaben verbrachten, die eigentlich unter ihren Qualifikationen lag. In der Folge wurden die kostengünstigeren Positionen aus-, die hochqualifizierten Funktionen abgebaut. 

Sechs Richtlinien

Aus den Erfahrungen der neuen Organisation ergaben sich sechs einfach verständliche Führungsprinzipien, die Richard Zane in der neusten Ausgabe des «Harvard Business Review» beschreibt: 


  • 1. Patienten ins Zentrum stellen: Jeder einzelne Prozess, jedes technische Gerät ist auf den Patientennutzen ausgerichtet; es dient nicht der Bequemlichkeit des Personals oder dem Vorteil der Institution. «Es gibt keinen Grund, einen Patienten warten zu lassen, bis der Arzt für ihn bereit ist», so Zane. Heute wird jeder Patient gleich nach Eintritt von einem ausgebildeten Arzt empfangen. Das Wort «Triage» ist verboten. 
  • 2. Daten erheben und anwenden: Jeder Prozess, der den Patienten betrifft, wird beobachtet, erfasst und ausgewertet, wenn nötig mit Stoppuhren. Die Ergebnisse werden mit internen und externen Zielvorgaben verglichen. Werden sie verfehlt, werden umgehend Korrekturen eingeleitet. Alle Verbesserungen werden dokumentiert. 
  • 3. Mit einer Stimme sprechen: Jeder Mitarbeitende ist eingeladen, Kritik zu äussern und Verbesserungsvorschläge zu machen. Aber sobald ein Entscheid gefällt ist, wird er implementiert. Dann gibt es nichts mehr daran zu deuteln.
  • 4. Jede Meinung berücksichtigen: Jeder Mitarbeitende mit Patientenkontakt kann sich mit Inputs Gehör verschaffen. Ein Atemtherapeut regte beispielsweise an, dass es gewissen Patienten eher diene, wenn eine mobile Röntgenstation zu ihnen gebracht werde anstatt dass sie sich zum Apparat hinbewegen müssen. Dieser Vorschlag wurde in wenigen Tagen umgesetzt. 
  • 5. Jederzeit hochstehende Betreuung liefern: In der Art und Weise, wie Tests und Behandlungen angeordnet werden, gibt es grosse Unterschiede - selbst für Patienten mit ähnlichen Diagnosen. Das ist nicht produktiv und der Pflege abträglich. Indem rund 50 verschiedene Behandlungsrichtlinien entwickelt und definiert wurden, konnte die Produktivität markant erhöht werden. Die Behandlungskosten pro Patient sind um 18 Prozent gesunken. 
  • 6. Den Standard setzen: Über 40 medizinische Institutionen haben sich bereits von Colorado inspirieren lassen. Die Departementsleitung hält Referate auf der ganzen Welt. 
Gemäss Richard Zane liegt die Patientenzufriedenheit in der Notfallabteilung heute bei 77 Prozent, sie soll aber auf 90 Prozent steigen. Um dies zu erreichen, wurde nun die Optimierungsrunde 2 eingeleitet. 
Richard Zane, MD: «How We Transformed Emergency Care at Our Hospital» in: «Harvard Business Review», 17. Dezember 2015
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