Globalbudget: «Startschuss für einen Systemwechsel»

Die Globalbudget-Debatte nimmt in der Schweiz rasant Fahrt auf. Was sind die Folgen? Zehn Fragen an Michel Meier, Gesundheitsjurist und Rechtsberater der Gesellschaft der Solothurner Ärztinnen und Ärzte.

, 3. November 2017 um 10:00
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Herr Meier, mit Globalbudgets sollen Gesundheitsausgaben eingedämmt werden. Geht dieser Plan auf?
Nein, das Vorhaben schiesst ganz am Ziel vorbei, wenn es um die gewollte Eindämmung der Kosten geht. Globalbudgets sind der Startschuss für einen Systemwechsel unseres heutigen Gesundheitswesens und der Beginn einer implizit rationierten medizinischen Versorgung. Eine solche Abkehr führt zu einer kompletten Veränderung der Gesundheitslandschaft Schweiz.
Warum?
Globalbudgets richten sich ausschliesslich auf die Entwicklung des einzelnen frei praktizierenden Leistungserbringers. Die freie Arztpraxis hat eher eine kostenneutrale Entwicklung durchlebt und trägt vergleichsweise wenig zur Kostenentwicklung bei. Konkret: Die praxisambulanten Leistungskosten in der Periode 2011 bis 2015 haben sich um durchschnittlich etwas über sieben Prozent pro Jahr erhöht. Der Umsatz des einzelnen frei praktizierenden Leistungserbringers im KVG stieg hingegen um gerade mal zwei Prozent pro Jahr.* Dadurch lassen sich keine Kosten einsparen. 
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    lic. iur. Michel Meier

    Rechtsberater/Vorstand GAeSO

    Michel Meier ist im Vorstand der Gesellschaft der Solothurner Ärztinnen und Ärzte (GAeSO). Er ist Rechtsanwalt mit Praxis in Olten und auf Gesundheitsrecht spezialisiert. Die GAeSO vertritt die Interessen von rund 700 diplomierten Ärztinnen und Ärzten im Kanton Solothurn.

Wird das Gesamtsystem letztlich teurer werden? 
Ja. Korrekturmassnahmen, welche direkt oder indirekt denjenigen einzelnen Leistungserbringer treffen, der in der Regel eine moderate Kostenentwicklung aufweist, lösen einen gegenteiligen Effekt auf die Kostenentwicklung beim einzelnen Arzt aus. Im Ergebnis wird das Globalbudget dann zu einem Finanzierungsinstrument in der Hand der Kantone, das einer Versicherungslösung entgegen steht – und so näher bei einer verhaltenslenkenden Subvention als bei einem Versicherungsfinanzierungsmodell ist. 

«Die Konsequenz ist beispielsweise eine Erhöhung des Schmerzmittelverbrauchs pro Kopf der Bevölkerung, um die ‹Wartezeit› zu überbrücken. Dieses Phänomen ist uns aus Schweden und Holland ja bestens bekannt.»

Welche Auswirkung hat die Ausgabenplafonierung auf die freie Arztpraxis? In Deutschland drohte jüngst ein Landarzt, seine Zulassung deswegen zu verbrennen (hier). 
Die Einführung führt dazu, dass der Beruf des frei praktizierenden Arztes weiter an Attraktivität verliert – und schwächt somit die periphere Versorgung. Wir erreichen nicht nur keine Senkung der Gesundheitskosten, sondern wir rationieren verdeckt den Zugang zu medizinischen Leistungen. Somit schaffen wir eine Zweiklassengesellschaft und heben die Sicherheit in der Grundversorgung komplett auf. Patienten finden dann künftig keinen Hausarzt mehr, da kein Grundversorger mehr bereit ist, unter diesen Bedingungen alle Leistungen allen Patienten gegenüber zu erbringen. Der Fall Günter Krause zeigt dies exemplarisch.
Was dann?
Patienten rennen ins Spital oder zu Spital-Ambulatorien, die durch Steuergelder subventioniert werden. Wobei die Wartezeiten noch länger sein werden, als heute schon auf den Notfällen. Die ambulanten Spitalkosten, welche mit dem KVG und den beiden Initiativen nichts direkt zu tun haben, dürften überdies explodieren, was zu weiteren Kostenerhöhungen führt. Das gewollte Shifting von stationären Leistungen hin zu ambulanten Spitalleistungen nach dem GDK-Slogan: «Ambulant vor Stationär» verstärkt diesen Effekt noch.
Was passiert, wenn das Budget im Verlaufe des Jahres aufgebraucht ist?
Entsprechend werden die Leistungserbringer künftig mit dem Globalbudget die Behandlungen einschränken müssen. Die analoge Problematik kennen wir bereits aus Deutschland. Damit werden auch Eingriffe und Behandlungen, die dringlich und nötig wären, auf das nächste Jahr aufgeschoben. Die Konsequenz ist beispielsweise eine Erhöhung des Schmerzmittelverbrauchs pro Kopf der Bevölkerung, um die «Wartezeit» zu überbrücken. Dieses Phänomen ist uns aus Schweden und Holland ja bestens bekannt. Die Schweiz zeigt in Europa den geringsten Schmerzmittelverbrauch pro Kopf in der Bevölkerung.

«Diesen schwerwiegenden Entscheid müssen wir dem Stimmbürger vorlegen, er darf nicht heimlich eingeschmuggelt werden.»

Welche Auswirkungen hat ein Systemwechsel auf die Prämien?
Aufgrund der ungleichen Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen werden die Prämien stärker steigen, da ja der ambulante Bereich ausschliesslich über Prämien finanziert wird. Wir verteuern also mit Globalbudgets das System, während wir es gleichzeitig erheblich verschlechtern.
Müsste ein solche Diskussion nicht offen geführt werden?
Doch. Mit einer einfachen KVG-Revision ist dies nicht zu bewerkstelligen. Es geht um Fragen, ob und nach welchen Kriterien Leistungen im Schweizerischen Gesundheitswesen eingeschränkt werden sollen. Es geht um Themen wie Risikoselektion, Zweiklassenmedizin, Rechtsgleichheit oder um das Solidaritätsprinzip, wenn Hochkostenfälle oder chronisch Kranke ausgeschlossen werden. Diesen schwerwiegende Entscheid müssen wir dem Stimmbürger vorlegen, er darf nicht heimlich eingeschmuggelt werden. Eine solche Anpassung kann nur, wenn überhaupt, gesamtdemokratisch der Souverän legitimieren. 
Dann führt ein Systemwechsel auch zu keiner Lösung für die schwierige Vertragssituation unter den Tarifpartnern?
Die bestehenden Differenzen lassen sich mit einer aufoktroyierten Organisation nicht überbrücken, zumal die Tarifpartner bereits an der Überwindung der Blockaden arbeiten. Ein Systemwechsel würde die Situation keineswegs vereinfachen, denn es ist davon auszugehen, dass das KVG über weite Strecken neu strukturiert werden müsste und es zu einer inhaltlichen Totalrevision mit neuen Grundlagen käme.
Was wäre dann eine Lösung, um die vorhandenen Unzulänglichkeiten zwischen den Tarifpartnern zu überwinden?
Eine Überbrückung der Differenzen wird nur möglich sein, wenn die Paritäten zwischen Leistungserbringer und Versicherer gleich verteilt werden und die Vetorechte, welche eine Blockade ermöglichen, abgeschafft werden.
*Rechnungssteller-Statistik Sasis Datenpool «ganze Schweiz»
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