Gesundheitspolitik – Qualitätsstrategie auf dem Holzweg

Was Bundesrat und Verwaltung aus der Qualitätsvorlage des Parlaments machen wollen, ist schlicht bürokratischer Wahnsinn und hat nichts mehr mit dem seit 1996 im KVG verankerten regulierten Wettbewerb zu tun.

, 28. August 2021 um 06:00
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  • felix schneuwly
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Das Vorgehen ist immer wieder dasselbe: Gesundheitsminister Alain Berset bringt eine extreme, vom Gesamtbundesrat abgenickte Vorlage, das Parlament macht Kompromisse und in der Umsetzung auf Verordnungsstufe ist Berset mit seinen eng geführten Leuten im BAG wieder bei seinen ursprünglichen Ideen. Vernehmlassungen sind bloss noch Feigenblätter.
Jüngstes Beispiel ist die bundesrätliche Qualitätsstrategie mit sage und schreibe 21 Vierjahreszielen, die in den Sommerferien mit einer kurzen Antwortfrist von neun Wochen in die Vernehmlassung geschickt worden ist. Eine saubere Bestandesaufnahme, was im schweizerischen Gesundheitswesens in Sachen Qualität bereits gemacht wird, fehlt. Nicht einmal breit anerkannte Qualitätszertifizierungen werden berücksichtigt. Wie wollen die BAG-Experten mit oder ohne Qualitätskommission messbare Sollwerte definieren, ohne den Ist-Zustand festzuhalten?
Dass sich das BAG mit seiner Qualitätsstrategie nur auf das KVG, also nur auf die von der Grundversicherung vergüteten medizinischen Leistungen konzentriert, ist leider eine Folge der auf das KVG fixierten Qualitätsvorlage. Es wird auch nicht zwischen Qualitätssicherung - die von der Finanzierung der medizinischen Leistungen unabhängige gesundheitspolizeiliche Aufgabe der Kantone im Interesse der Patientensicherheit – und Qualitätstransparenz - die seit 1996 im KVG verankerte Anforderung, damit die freie Arztwahl der Patienten kein Blindflug ist – unterschieden.
Das BAG ist unter der engen Führung des Gesundheitsministers auf die Kosten fixiert, ignoriert aber, dass nichts teurer ist als schlechte Qualität. Art. 43 Abs. 6 KVG verlangt von den Tarifpartnern und Behörden eine qualitativ hochstehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst tiefen Kosten.

Vernehmlassungsunterlagen mit zu vielen Schwachpunkten

Da sich die Strategie auf Bundesebene ausschliesslich auf die entsprechenden KVG-Bestimmungen abstützt, besteht die einzige Möglichkeit zur Ausdehnung auf das ganze Gesundheitswesen in der Förderung und Strukturierung der gesundheitspolizeilich motivierten Qualitätssicherung durch die Kantone im Rahmen der Aufsicht über die Medizinalpersonen. Die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen sind mit der Qualitätsvorlage schon im KVG auf unzulässige Art und Weise vermischt worden, obwohl die Governance der Kantone schon lange als eines der Hauptprobleme erkannt worden ist, unter anderem auch von der Expertengruppe Diener. Es führt kein Weg daran vorbei, die Zuständigkeiten klar zu definieren.
Die Kantone sind als Zulasser der medizinischen Leistungserbringer im Rahmen ihrer gesundheitspolizeilichen Aktivitäten für die Patientensicherheit verantwortlich, egal wer die medizinischen Leistungen bezahlt. Die Zulassung klappt einigermassen. Beim Entzug von Bewilligungen werden die wirtschaftlichen Interessen der Ärzte, Spitäler etc. zu oft höher gewichtet als die Patientensicherheit. Der Bund muss dafür sorgen, dass Kassen und medizinische Leistungserbringer die Qualitätstransparenz in den Tarifverträgen regeln und dass die vertraglichen Vereinbarungen auch vollzogen werden.

Wichtige strategische Herausforderungen werden erwähnt, aber nicht angepackt

Auf Seite 7 der Qualitätsstrategie wird die mangelnde Rolle der Patienten im Bereich der Qualitätssicherung thematisiert. Hierzu taugliche Instrumente wie Patientenzufriedenheit (Patientenbefragungen sind in Spitälern bereits Standard) oder PROM (patient related outcome measures) werden aber nicht erwähnt. Auf Seite 12 wird die Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) erwähnt, welche der Bundesrat am 18. November 2015 im Rahmen der Strategie Gesundheit2020, also vor rund sechs Jahren verabschiedet hat. Angesichts der immensen Wichtigkeit dieses Themas ist es beunruhigend, dass hierzu bis heute keine messbaren Ziele und Resultate im Sinne erreichter Ziele vorliegen. Die Nationale Strategie zu Impfungen (NSI) wird auf Seite 13 erwähnt. Angesichts der Probleme im Zusammenhang mit der Impfkampagne gegen COVID19 ist der Handlungsbedarf unbestritten. In den Vierjahreszielen fehlen aber messbare Ziele und Massnahmen.
Auf Seite 16 wird ausgeführt, dass Akteure anderer nationaler Gesundheitsstrategien die Eidgenössische Qualitätskommission EQK über die Erarbeitung qualitätsrelevanter Standards und Erkenntnisse informieren sollten. Besser wäre es, gemeinsam mit diesen anderen Akteuren Standards zu erarbeiten, um Qualitätsdaten nach einem stimmigen Gesamtkonzept erheben zu können.
Auf Seite 17 (2. Absatz, Punkt 3) wird angekündigt, dass die Vierjahresziele mit entsprechenden Massnahmen erreicht werden sollen. Es werden Handlungsfelder und Indikatoren definiert, messbare Ziele und konkrete Massnahmen, um diese Ziele zu erreichen, fehlen aber. Der Bundesrat soll die Ziele festlegen und für die Überprüfung der Zielerreichung sorgen (Seite 18, Punkt 2). Die den Vernehmlassungsunterlagen zu entnehmenden Indikatoren sind aber bei weitem nicht ausreichend konkret und messbar genug, um die Zielerreichung zu überprüfen. Bundesrat und BAG wollen eine Carte Blanche.

Schwammige Vierjahresziele

Gemäss Art. 58 KVG dienen die Vierjahresziele der Qualitätsentwicklung. Art. 58a KVG nennt dann den minimalen Inhalt der Qualitätsverträge im Rahmen einer Aufzählung. Die Qualitätsverträge müssen der Qualitätsstrategie und den Vierjahreszielen dienen. Die umfangreichen Vernehmlassungsunterlagen lassen aber keine effektive und effiziente Umsetzung des gesetzlichen Auftrags erkennen:

  • Die 21 genannten Vierjahresziele sind viel zu zahlreich, zu heterogen, zu offen formuliert und nicht priorisiert. Sie weisen eine stark unterschiedliche systemische Relevanz auf und reichen von Selbstverständlichkeiten im Alltag des Qualitätsmanagements bis hin zu wirklich sinnvollen, systementwickelnden Elementen.
  • Die den einzelnen Zielen zugewiesenen Indikatoren sind zu wenig konkret und teilweise zu banal und werden somit keine brauchbare Messung der Zielerreichung erlauben. Bei zwei Zielen fehlen die Indikatoren ganz, alle anderen Ziele verfügen lediglich über je einen Indikator, wobei sieben Mal „% positiver Antworten“ und vier Mal „Expertenbericht“ genannt wird. Gestützt auf diese Indikatoren wird es kaum möglich sein, die Zielerreichung evidenzbasiert zu beurteilen und die notwendigen Schussfolgerungen daraus zu ziehen.

Eine brauchbare Qualitätsstrategie

Bundesrat und BAG sollten hinsichtlich der Qualitätsstrategie zurück auf Feld eins:

  • Qualitätstransparenz als einziges Ziel mit etappierten Unterzielen ist besser als die 21 zu heterogenen Vierjahresziele. Ohne Qualitätstransparenz sind Patienten nicht in der Lage, medizinische Leistungserbringer endlich datengestützt frei zu wählen, wie es das KVG seit 1996 verspricht.
  • Qualitätstransparenz erfordert Indikatoren, welche a) von den Fachleuten definiert und akzeptiert, b) von den Patienten verstanden und c) messbar sind. Auf dieser Basis ist es für die Krankenkassen auch möglich, nicht bloss die erbrachten medizinischen Leistungen unabhängig von ihrer Wirkung und Qualität zu bezahlen, sondern auch den Behandlungserfolg zu vergüten.
  • So wird Qualitätstransparenz nicht ein etatistisches Bürokratiemonster wie die vorgeschlagene Qualitätsstrategie, sondern das anreizorientierte Fundament für den Qualitätswettbewerb. Der Begriff „Qualitätswettbewerb“ kommt aber weder in der Qualitätsstrategie noch in den Vierjahreszielen vor. Wettbewerb scheint in der Ideologie des Gesundheitsministers und seiner BAG-Crew eh ein Teufelswerkzeug zu sein, das es um jeden Preis zu meiden gilt, auch wenn der regulierte Wettbewerb seit 1996 ein zentraler KVG-Pfeiler ist.

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