GB hat einen Anästhesisten-Mangel – und die CH?

Der Personalmangel in der Anästhesiologie soll durch Aufstockung der Ausbildungsstellen bekämpft werden – das fordert der britische Verband der Anästhesisten.

, 11. Juni 2021 um 12:19
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«Angesichts des Arbeitskräftemangels in der Anästhesie scheint es dringend notwendig, dass die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht wird.» Dies schreibt der britische Verband der Anästhesisten in einem offenen Brief, der an die vier britischen Gesundheitsminister ging.

700 Ärzte ohne Ausbildungsplatz 

Der Verband fordert, dass die Zahl der Ausbildungsplätze für die höhere Facharztausbildung in der Anästhesie in diesem Jahr von rund 350 auf 700 verdoppelt wird – das soll auch in den folgenden zwei Jahren so bleiben. Einer aktuellen Schätzung zufolge stünden rund 350 Ausbildungsstellen für rund 1050 Bewerber zur Verfügung – für 700 Ärzte, die sich in Anästhesie ausbilden lassen wollten, gäbe es also keine Plätze, schreibt der britische Verband, der 10 000 Anästhesisten, darunter rund 3500 Auszubildende, vertritt. Gründe für den Bewerbungsanstieg sind unter anderem: 
> Angehende Anästhesisten, die sonst ein Jahr im Ausland verbracht hätten, um ihre Ausbildung zu vertiefen, wären wegen der Reiseeinschränkungen in Grossbritannien geblieben.
> Da sie während der Pandemie im Einsatz waren, sei es für sie schwierig gewesen, ihre Ausbildungsziele zu erreichen.
> Viele hätten nun den Wunsch, ihre Ausbildung so schnell wie möglich abzuschliessen - ohne weitere Unterbrechungen. 
Es gebe einen «erheblichen» Mangel an Fachärzten für Anästhesie, ist im Brief zu lesen. Bestätigen würden dies die Ergebnisse von Zählungen der Royal College of Anesthetists; so mangle es dem Land an um die 2000 Anästhesisten. Gäbe es nicht mehr Anästhesisten, die ja eng mit den Chirurgen zusammenarbeiten würden, könne der pandemiebedingte Rückstau an chirurgischen Eingriffen nicht bewältigt werden, schreibt der britische Verband weiter.

Situation in der Schweiz  

Hat die Schweiz ebenfalls ein Personalproblem bei den Anästhesisten? «Die Situation in Grossbritannien ist mit derjenigen in der Schweiz nicht direkt vergleichbar», schreibt die Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR) auf Anfrage. Eine Zuspitzung des ärztlichen Fachkräftemangels habe schon vor der Pandemie aufgezeigt werden können; diese werde sich wahrscheinlich in Zukunft noch akzentuieren. Gemäss einer demographischen Umfrage, die SGAR 2018 unter den anästhesiologisch tätigen Ärzten in der Schweiz durchgeführt hat, würden in wenigen Jahren gegen 60 Anästhesisten jährlich in den Ruhestand gehen. Diese könnten nicht ersetzt werden, wenn künftig nicht mehr junge Kolleginnen und Kollegen den Facharzttitel Anästhesiologie – als in den Jahren zuvor – erwürben.
Unter den 442 Ärzten in Weiterbildung haben von 2014 bis 2018 jährlich knapp 53 den schweizerischen Facharzttitel Anästhesiologie erlangt. Das Durchschnittsalter beim Erwerb des Facharzttitels beträgt 36 Jahre. Die durchschnittliche Weiterbildungszeit dauert laut der Befragung rund neun Jahre. Die Gründe sind: Teilzeitarbeit während der Weiterbildungszeit und mit «Fremdjahren», welche aufgrund des breiten anästhesiologischen Spektrums oft in Innerer Medizin, Chirurgie, Intensiv-, Schmerz- oder Notfallmedizin absolviert werden.

90 Prozent der Anästhesie-Einrichtungen in der Deutschschweiz

«Der Bedarf an Fachkräften mit jährlich über einer Million Anästhesien – jeder achte Schweizer benötigt eine Anästhesie jedes Jahr – ist durchaus bemerkenswert», schreibt die SGAR, die im März 2021 erstmals Zahlen über die Anzahl durchgeführter Anästhesien in der Schweiz publizierte. Die Zahl der Anästhesien pro 100 000 Einwohner ist im französischen Teil mit 12 049 deutlich niedriger und im italienischen Teil mit 14 229 etwas höher. 90 Prozent aller niedergelassenen Anästhesie-Einrichtungen befinden sich in der Deutschschweiz. 
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