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«Wir müssen Überversorgung vermeiden»

Die Situation im Schweizer Gesundheitswesen ist angespannt. Der Druck von Seiten Politik, Gesundheitsfachpersonen und Patienten wächst stetig, gleichzeitig bleibt die Nachfrage nach Leistung und Qualität hoch. Ein Interview mit dem Basler Gesundheitsdirektor Dr. Lukas Engelberger.

, 13. Juni 2019 um 07:00
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Am diesjährigen Forum Gesundheitswirtschaft Basel, das der Basler Gesundheitsdirektor Dr. Lukas Engelberger initiierte, wurde über mögliche Lösungen für ein produktiveres Gesundheitswesen diskutiert. Dabei war der Blickwinkel international und interdisziplinär ausgerichtet.
Dr. Engelberger, welche Lösungsansätze könnten zu einer sinnvollen Qualitäts- und Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens beitragen?Mir ist für Lösungsansätze wichtig, dass wir die Leistungen des Gesundheitswesens weiter verbessern können, ohne die Kosten in die Höhe zu treiben. Dazu bietet die Qualitätssicherung und -förderung einen Ansatzpunkt: Indem wir die Qualität von Leistungen genauer ansehen und insbesondere die Indikationen hinterfragen, können wir Überversorgung vermeiden und die Einzelleistungsqualität steigern. Dabei kann das Gesundheitswesen von anderen Branchen lernen.
Beim Aspekt der Effizienz sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt darin, die heutige Systemfragmentierung durch stärkere Bündelung abzulösen: bei der Gesundheitsplanungsaufgabe der Kantone ebenso wie im medizinischen Bereich der einzelnen Leistungserbringer.
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Fotos: Peter Brandenberger - www.kongress-foto.ch
Die Bevölkerung möchte keinen Abbau von Leistungen, erwartet jedoch, dass das System günstiger oder zumindest nicht teurer wird. Ein kaum lösbares Dilemma; oder?In der Tat. Wie die Ausführungen von Claude Longchamp am Forum Gesundheitswirtschaft gezeigt haben, sind die Gesundheitskosten zwar eine Hauptsorge von Herr und Frau Schweizer. Die Bevölkerung ist jedoch gleichzeitig nicht bereit, Abstriche bei Versorgungssicherheit, Qualität und Wahlfreiheit zu akzeptieren. Dies sind die konsistenten Ergebnisse aus mehrjährigen Umfragen und Volksabstimmungen.
Wie könnten die Patienten noch stärker in die Verantwortung genommen werden?Hier treffen planerische Aufgaben von Bund und den Kantonen auf das individuelle Verhalten von Betroffenen. Ansatzpunkte gab es schon einige wie etwa die Managed Care-Vorlage im Jahr 2012, die jedoch abgelehnt wurde. Wir sehen aber durchaus Fortschritte auf freiwilliger Basis. So nimmt der Anteil der integrierten Versicherungsmodelle laufend zu, und auch der Anteil der eigenen Kostenbeteiligung steigt. 
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Fotos: Peter Brandenberger - www.kongress-foto.ch
Sie haben das Toyota Produktionssystem TPS angesprochen, das weltweilt als Bench Mark für hocheffiziente Produktion in den verschiedensten Industriezweigen gilt. Inwiefern wird dieses bereits heute im Gesundheitswesen angewendet?Es hat insbesondere Einfluss gefunden in Spitälern. Der Begriff „Lean Hospital“ hat sich dafür etabliert. Hier ist der Ansatz zentral, dass alle Prozesse konsequent auf die Patientenbedürfnisse ausgerichtet werden
Viele Erfolgsrezepte basieren auf Erfahrungen aus anderen Branchen. Von welchen Branchen kann die Gesundheitsindustrie lernen?Aktuelle Beispiele kommen aus der Automobilbranche und der Luftfahrt, aber auch Logistik oder Gastronomie haben Berührungspunkte.
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Fotos: Peter Brandenberger - www.kongress-foto.ch
Sie betonten in Ihrem Referat, dass die heutige Systemfragmentierung durch stärkere Bündelung und Synchronisierung abgelöst werden sollte. Was bedeutet das konkret?Die Versorgungsplanung der Kantone sollte regional erfolgen. Wir müssen in grösseren Räumen denken. Die beiden Basel werden das im Sinne eines „Gemeinsamen Gesundheitsraums“ so umsetzen und die planerischen Arbeiten über die Kantonsgrenzen hinweg aufeinander abstimmen.
Dann natürlich medizinisch: Der Patient, die Patientin sollte über die gesamte Versorgungskette begleitet werden, was klar für eine stärkere Rolle der integrierten Versorgungsmodelle spricht. Die medizinischen Dienstleistungen sollten koordinierter erbracht werden.
Die laufenden Diskussionen um «Ambulant vor Stationär» zeigen, dass wir im Gesundheitswesen noch nicht optimal organisiert sind. Stattdessen prägen Interessengegensätze den Diskurs. Wo hakt es?Die Interessen stehen sich teilweise in der Tat diametral gegenüber, so dass Lösungen schwierig werden. Bei „ambulant vor stationär“ denke ich jedoch, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sich dies durchsetzt. Ich gehe davon aus, dass die Vorteile erkannt werden.
Die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen ist wohl eines der explosivsten Grossprojekte im Gesundheitswesen. Welche Resultate erwarten Sie?Wenn wir ein besseres Alignment zwischen den grossen Finanzierern Kantone und Versicherungen finden wollen, müssen die Interessen der Kantone berücksichtigt werden. Wir wollen steuern, regulieren und kontrollieren können, was wir zahlen müssen.
Das Interview wurde in schriftlicher Form geführt
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Fotos: Peter Brandenberger - www.kongress-foto.ch
Nach dem Forum ist vor dem Forum: Am 7. Mai 2020 findet das nächste Forum Gesundheitswirtschaft Basel statt, welches von MediCongress GmbH organsiert wird.
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