E-Patientendossier: Graben zwischen Spitalärzten und Praxisärzten

Das eHealth-Thema kommt immer besser an in der Bevölkerung. Doch eine Gruppe interessiert’s nicht – ausgerechnet jene Gruppe, bei der die meisten ihr Patientendossier eröffnen möchten…

, 10. März 2016 um 19:00
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Seit 2009 wird im Rahmen der InfoSocietyDays das Swiss eHealth Barometer erstellt. Die Studie, durchgeführt vom Forschungsinstitut gfs.bern, erfasst einerseits die Haltung von Gesundheitsprofis, andererseits ist es repräsentative Erhebung der Meinung von Stimmberechtigten.
Heute wurde das Barometer 2016 eröffnet, und es bezeugt, dass elektronische Patientendossier zunehmend stärker ankommt und die Bedeutung von eHealth erkannt wird. In der Repräsentativ-Umfrage gab beispielsweise eine Zweidrittels-Mehrheit an, sich «sehr» oder «eher» für eHealth zu interessieren. Oder: Klare Mehrheiten in allen Gruppen von Gesundheitsfachpersonen würden heute eine Weiterbildung in diesem Bereich ausdrücklich begrüssen.
«Swiss eHealth Barometer 2016»


Doch in der neusten Erhebung tut sich auch eine interessante Differenz auf: Es geht um die Praxisärzte. Zwar zeigen auch sie steigendes Interesse an eHealth – und die Krankengeschichten führen sie zunehmend elektronisch. Dennoch scheint hier ein erheblicher Widerstand gegen die digitale Neuerung zu herrschen, womöglich gar mit zunehmender Tendenz. 
Ein Beispiel: Von allen befragten Gruppen der Gesundheitsberufe beurteilt eine Mehrheit den Impact von eHealth eher positiv. Die Praxisärzte allerdings sind hier mehrheitlich skeptisch – nur 40 Prozent erwarten davon Verbesserungen in ihrem Arbeitsumfeld. Zum Vergleich: Bei den Spitalärzten beträgt die «Optimismus-Quote» 67 Prozent.

Hier die Praxisärzte – da Spitalärzte und Apotheker

Die Skepsis der Praxisärzte spiegelt sich auch in der Frage des Datenschutzes: Wie gross ist das Vertrauen, dass die Diskretion digital klappt? Darauf antworteten 62 Prozent der repräsentativ befragten Stimmberechtigten positiv; aber nur nur 35 Prozent der Praxisärzte äusserten solch ein Vertrauen.
Das war die tiefste Quote unter allen befragten Gruppen der Branche, und überhaupt waren die Niedergelassenen das einzige befragte Segment, wo eine Mehrheit Zweifel an der Datensicherheit äusserte. Bei den Spitalärzten erreichte der Vertrauenswert zum Beispiel 52 Prozent, bei den Apothekern waren es sogar 72 Prozent.

Praxisärzte als Anwälte der Patienten

Bei der Präsentation der Daten am «Swiss eHealth Forum» in Bern sprach Studienleiter Golder von einer «diametralen Geschichte» bei der Ärzteschaft. Während die Spitalärzte grundsätzlich ja sagen zur digitalen Entwicklung, habe sich das Bild bei den Praxisärzten etwas eingetrübt. Allein: Dies sei eine kritische Trendgruppe, so das gfs-Geschäftsleitungsmitglied. Und diese Entwicklung müsse man sehr ernst nehmen.
Lukas Golder interpretiert die Vorbehalte so, dass sich Ärzte als Anwälte der Patienten sehen und diese vor Datenmissbrauch gerade durch Krankenkassen schützen wollen. Zudem dürften viele von ihnen am Nutzen beziehungsweise am Kosten-Nutzen-Verhältnis zweifeln.

Sinkendes Interesse an Ausbildung

Nächstes Beispiel dafür: Eine eigentliche Ausbildung in eHealth erachtet eine Mehrheit aller befragten Gesundheits-Fachpersonen als Bedürfnis. Aber auch hier fallen die Praxisärzte auf; der Wunsch nach einer Ausbildung ist zwar auch hier noch mehrheitlich vorhanden, doch im Gegensatz zu den anderen Profis nimmt hier das Interesse von Jahr zu Jahr ab.
«Dieser Unterschied scheint dabei einem genuin unterschiedlichen Bedürfnis zu entsprechen und ist nicht etwa in einem dezidiert unterschiedlichen Durchschnittsalter geschuldet», federt das GfS-Team unter Leitung von Lukas Golder eine naheliegende Erklärung ab.
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Vertrauen in den Hausarzt – Antworten auf die Frage: «Bei wem möchten Sie Ihr elektronisches Patientendossier eröffnen?»
Ein Fazit der neuen Daten lautet also, «dass es nicht sinnvoll ist, die Ärzteschaft über einen Kamm zu schlagen», so die GfS-Meinungsforscher. 
Allein: da könnte sich ein grundsätzlicheres Problem auftun. Wie lässt sich eHealth durchsetzen, wenn sich die Hausärzte eher dagegen sträuben? 

Papier scheint sicherer

Denn pikanterweise wären ausgerechnet diese die erste Anlaufstelle für die Einrichtung des digitalen Patientendossiers: 39 Prozent der befragten Stimmberechtigten möchten heute schon ein elektronisches Patientendossier eröffnen; auf Empfehlung hin würden es sogar 49 Prozent in Erwägung ziehen. Und in dieser Gruppe würde die grosse Mehrheit ihr elektronisches Patientendossier am liebsten beim Hausarzt eröffnen – die Quote unter den am Dossier Interessierten erreichte 77 Prozent. Lediglich 4 Prozent empfanden das Spital als richtige Anlaufstelle, und sogar nur 1 Prozent hätte gern die Apotheke als Login-Punkt für das eigene Patientendossier.
Eine grundsätzliche Sorge der Bevölkerung betrifft offenbar den Datenschutz: 64 Prozent erachten einen Datenmissbrauch mit Einsicht in elektronisch abgelegte medizinische Daten als sehr oder eher wahrscheinlich. Hier geniesst das Papier offenbar weiterhin mehr Vertrauen. Denn sind die Patientendaten in Papierform abgelegt, so beurteilen nur 48 Prozent eine missbräuchliche Einsicht als sehr oder eher wahrscheinlich.

Zur Methode

Beim siebten Swiss eHealth-Barometer wurden die Befragungen teils online, teils postalisch durchgeführt. Befragt wurden 594 repräsentativ ausgewählte Ärztinnen und Ärzte, 22 der 26 angeschriebenen eHealth-Verantwortlichen auf Ebene der Kantone, 95 eHealth-Verantwortliche von Spitälern, 374 Apothekerinnen und Apotheker, 498 Verantwortliche von Alters- und Pflegeheimen, 16 Verantwortliche der Kantonalverbände von Curaviva sowie erstmals 199 Mitglieder der Spitex-Basisorganisationen.
Zugleich wurde auch eine repräsentative Befragung bei Stimmberechtigten zur öffentlichen Meinung rund um eHealth durchgeführt. Dabei befragte das Institut GfS 1'212 Personen telefonisch. 
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