Die Pandemie liess uns am eigenen Leibe spüren, wie wichtig Gesundheit sowie solide und gut finanzierte Gesundheitssysteme sind. Gleichzeitig wurden die zahlreichen Probleme, mit denen Gesundheitssysteme im Globalen Süden bereits vor der Pandemie zu kämpfen hatten, plötzlich sichtbarer denn je. Dieser seltene Moment globaler Aufmerksamkeit und bestärkter Einsicht, dass die Bekämpfung von Krankheiten globaler Anstrengungen bedarf, gilt es zu nutzen, um das Schweizer Engagement für die globale Gesundheit über den COVID-Kontext hinaus zu stärken. In der Sommersession behandelt der Nationalrat eine
Motion, welche Gesundheit als Schwerpunktthema der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (EZA) festlegen will.
Schweiz als führender Standort für Gesundheitsforschung
Die Ausgaben für die Gesundheitsförderung der Schweizer EZA sind während der Pandemie stark angestiegen, mit einer überwältigenden Mehrheit für punktuelle Beiträge an die globale Covid-19-Bekämpfung. 2019, vor Ausbruch der Pandemie, wurden aber nur gerade 5.9 Prozent der bilateralen EZA-Beiträge für Projekte im Gesundheits- und Bevölkerungsbereich eingesetzt (
OECD). Die tiefe Prozentzahl überrascht, zumal die strategische Ausrichtung der EZA auch hinsichtlich der komparativen Vorteile der Schweiz definiert wird
(IZA-Strategie 2021-24). Als führender Standort für Gesundheitsforschung (Pharmaindustrie und Akademie) und mit einem einzigartigen Gesundheitssystem müsste die Schweiz im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz in der Vergabe von globalen Gesundheitsprogrammen einnehmen. Der Blick in die weitaus höheren EZA-Ausgaben für Globale Gesundheit beispielsweise im Vereinigten Königreich (15.5 Prozent) oder Norwegen (11.2 Prozent) aber zeigt, dass dem nicht so ist.
Schweiz trug zu einem Rückgang der Kindersterblichkeit bei
Dabei ist die Schweizer Expertise für den Gesundheitssektor im Globalen Süden gefragt und wirksam, wie etwa das Projekt
«PASS Sud-Kivu» zur Unterstützung des Gesundheitssystems im Osten der Demokratischen Republik Kongo durch hochwertige medizinische Leistungen, insbesondere für Mütter, Kinder und Jugendliche, veranschaulicht. Dank ihrer langjährigen Erfahrung in der Stärkung von Gesundheitssystemen, Expertise in der elektronischen Verwaltung von Krankenversicherungen und ihrer guten Regierungsführung trug die Schweiz mit diesem Projekt zwischen 2017 und 2020 zu einem Rückgang der Kindersterblichkeit um fast 27 Prozent bei.
Positive Konsequenzen für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort
An diesem Projekt, welches unter anderem eine Open-Source-Software zur Verwaltung des Krankenversicherungssystems hervorgebracht hat, zeigt sich auch, dass eine höhere Gewichtung der Gesundheit in der EZA positive Konsequenzen für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz hätte, indem neue Synergien und Innovationen vonseiten der Wissenschaft, Pharma- und der Technologieindustrie stimuliert würden.
Komparativen Vorteile der Schweiz in der Gesundheit mobilisieren
Die Weichen für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit der nächsten vier Jahre werden derzeit gestellt, im Schatten tragischer Ereignisse in der Ukraine. Dabei drohen die Pandemie und deren Lehren bereits etwas in Vergessenheit zu geraten. Für die Experten und Expertinnen der Allianz
Santé Globale ist klar: Es gilt, den Moment zu nutzen, um die komparativen Vorteile der Schweiz in der Gesundheit zu mobilisieren und verteilungsgerechte Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt zu stärken.
- Professor Marcel Tanner, Präsident Akademien der Wissenschaften Schweiz, Direktor emeritus Swiss TPH, ist Unterstützer der Allianz Santé Globale.